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KRIMINALITÄT/053: Pakistan - Cyber-Kriminalität gegen Frauen nimmt zu, Rechtliche Handhabe fehlt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. November 2010

Pakistan: Cyber-Kriminalität gegen Frauen nimmt zu - Rechtliche Handhabe fehlt

Von Zofeen Ebrahim


Karatschi, 25. November (IPS) - Vier Männer vergewaltigten eine pakistanische Schülerin, die sie vorher unter Drogen gesetzt hatten. Danach verlangten sie von der Familie des Opfers Schweigegeld. Als die Eltern der jungen Frau nicht zahlten, sondern zur Polizei gingen, stellten die Angreifer die mit einem Handy gefilmten schaurigen Szenen kurzerhand ins Internet.

Die Familie des Opfers fand immerhin den Mut, an die Öffentlichkeit zu gehen. In dem südasiatischen Land, in dem vor allem Männer das Sagen haben, ist dies keine Selbstverständlichkeit. "Wir lassen uns lieber missbrauchen und belästigen, als dass wir in den Augen der Gesellschaft als 'entehrt' dastehen", sagte Fariha Akhtar, die selbst ein Stalking-Opfer war und sich nun für Frauenrechte engagiert.

Pakistanerinnen werden somit zur leichten Beute für Cyber-Kriminelle. Der technologische Fortschritt kommt ihnen dabei entgegen. In den vergangenen Jahren hat das Land zunehmend Anschluss an die internationale Internet-Gemeinde gefunden. Davon profitierten Geschäftsleute, private Nutzer von sozialen Netzwerken - und eben auch Verbrecher.

Wie die Sonderstaatsanwältin Nighat Dad erklärte, werden immer mehr Frauen Opfer von Cyber-Pornografie. Mit Hilfe von Programmen wie Photoshop entstehen obszöne Bilder, die auf Websites hochgeladen und über Mobiltelefone verschickt werden.

Verlässliche Statistiken über die Zahl derartiger Übergriffe gibt es nicht, weil viele Betroffene aus Scham schweigen. "Internet-Technologie gilt als Männersache", meinte Akhtar. Frauen seien nicht genügend informiert, um sich schützen zu können, wenn sie im Netz surften.


Gewalt gegen Frauen im Netz nicht ausreichend geahndet

Laut dem Institut für Politische Studien, einer Denkfabrik in der Hauptstadt Islamabad, wurden allein zwischen 2007 und 2009 mehr als 400 Anzeigen wegen Cyber-Kriminalität erstattet. In keinem dieser Fälle gehe es aber um Gewalt gegen Frauen und pornografische Darstellungen.

Auch die 27-jährige Zara, die eigentlich anders heißt, musste üble Attacken über sich ergehen lassen. Eigentlich lief für die junge Betriebswirtin alles bestens. Sie war glücklich liiert und konnte sich über eine Beförderung in einem Telekom-Unternehmen freuen. Einem Kollegen passte dies offensichtlich überhaupt nicht. Der Mann stellte manipulierte Fotos, auf denen Zara nackt zu sehen war, auf die Firmenwebsite. Für das Opfer begann ein Albtraum. "Ihr Leben brach zusammen", erinnerte sich ihre Schwester.

Der Täter wurde später gefasst und gestand, die Fotos verfremdet zu haben. Er habe Zara eine "Lektion erteilen wollen", weil sie sich geweigert habe, bestimmte Informationen mit ihm zu teilen, berichtete die Schwester. "Ihr Chef versuchte sie davon zu überzeugen, in der Firma zu bleiben. Sie brachte es aber nicht mehr über sich, ihren Kollegen zu begegnen, nachdem diese ihre angeblichen Nacktfotos gesehen hatten." Als sich die Gerüchte wie ein Lauffeuer verbreiteten, trennte sich schließlich auch ihr Verlobter von ihr.

Nach Ansicht von Experten sind Menschen in Entwicklungsländern solchen Übergriffen wesentlich schutzloser als in den Industrienationen ausgeliefert. Schahzad Ahmad von der Organisation 'Bytes for all' (B4A) macht dafür "nicht vorhandene rechtliche Strukturen" verantwortlich.

Eine Rechtsverordnung zur Verhinderung digitaler Straftaten lief im November vergangenen Jahres aus. Selbst wenn Cyber-Kriminelle nun festgenommen würden, gebe es keine Möglichkeit mehr, sie rechtlich zur Verantwortung zu ziehen, beklagte Akhtar. Überdies sei die Justiz damit überfordert, die "Komplexität solcher Straftaten" zu bewerten.


Behörden sind Opfern keine große Hilfe

Die Frauenaktivistin erkannte jedoch an, dass sich die Behörden zumindest darum bemühen, gegen Belästigungen durch Mobiltelefone vorzugehen. Gegen Hacker kann sich aber auch der Staat manchmal nicht wehren.

Einem Mädchen, von dem ständig neue Facebook-Profile veröffentlicht worden seien, habe sie geraten, sich an das 'National Response Centre for Cyber Crimes' zu wenden, berichtete Akhtar. Danach habe sie aber herausgefunden, dass die Website dieser Behörde gehackt worden sei. "Ich habe mich dann gefragt, ob das Zentrum wirklich helfen könnte."

Laut Akhtar sind die Täter in der Regel männlich und kennen das Opfer persönlich. Ihr sei bisher nur ein Fall bekannt, in dem eine Frau eine andere im Internet belästigt habe. In der Zukunft dürfte auf Aktivistinnen wie Akhtar in Pakistan noch viel Arbeit zukommen.

Selbst in den entlegensten Dörfern wird mittlerweile mobil telefoniert. Nach Angaben der nationalen Telekom-Behörde gibt es landesweit rund hundert Millionen Nutzer von Handys. Und etwa 18 Millionen der insgesamt rund 175 Millionen Pakistaner im Internet. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.ips.org.pk/
http://bytesforall.net/
http://www.nr3c.gov.pk/
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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2010