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KRIMINALITÄT/069: USA - Weltweit höchster Anteil von Gefangenen, Haftanstalten chronisch überfüllt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Februar 2013

USA: Weltweit höchster Anteil von Gefangenen - Haftanstalten chronisch überfüllt

von Carey L. Biron



Washington, 7. Februar (IPS) - Einen "beispiellosen" Anstieg der Zahl von Strafgefangenen in den USA hat der Forschungsarm des US-Kongresses festgestellt. Ergebnis ist eine gravierende Überfüllung, der die Infrastruktur des föderalen Strafvollzugs nicht gewachsen ist.

Aus einem kürzlich veröffentlichen Bericht des 'Congressional Research Service' (CRS) geht hervor, dass die Zahl der Insassen in Bundesgefängnissen in den vergangenen 30 Jahren von 25.000 auf 219.000 gestiegen ist. Das bedeutet einen Zuwachs von fast 790 Prozent. In den USA werden mehr Menschen inhaftiert als in irgendeinem anderen Land. Auf jeweils 100.000 Einwohner des Landes kommen 716 Häftlinge.

"Dies ist das größte Menschenrechtsproblem in den USA. Denn viele Gefangene stammen aus den unteren Einkommensschichten und gehören ethnischen Minderheiten an, die oftmals von der Gesellschaft vergessen werden", sagte Maria McFarland, stellvertretende Direktorin des USA-Programms der Organisation 'Human Rights Watch' (HRW).

In der jüngeren Vergangenheit hat McFarlands Büro als Folge einer Politik der strengen Urteile beobachtet, dass zunehmend junge und sehr alte Menschen hinter Gitter kommen. "Im vergangenen Jahr wurden etwa 95.000 Jugendliche unter 18 Jahren inhaftiert. Diejenigen, die in Jugendstrafanstalten sitzen, sind hier nicht eingerechnet", erklärte sie.

Zwischen 2007 und 2011 stieg der Anteil der Gefangenen über 64 Jahren 94 Mal so stark an wie der der übrigen Häftlinge. Laut McFarland sind die Haftanstalten nicht ausreichend ausgestattet, um alte Menschen versorgen zu können. "Man muss sich auch fragen, welche Bedrohung sie überhaupt für die Gesellschaft darstellen und welche Rechtfertigung es für ihre Inhaftierung gibt."

Dem neuen CRS-Report zufolge kommen immer mehr Menschen wegen Verstößen gegen die Einwanderungsbestimmungen und wegen Waffenbesitz ins Gefängnis. Der größte Teil wird aber wegen kleiner Drogendelikte bestraft.


Inhaftierungen oft ohne abschreckende Wirkung

"Untersuchungen belegen, dass die Inhaftierungen in den neunziger Jahren zwar dazu beitrugen, die Zahl der Gewaltverbrechen zu senken. Im Verhältnis zu der stets weiter steigenden Zahl der Gefangenen sind die positiven Auswirkungen inzwischen aber gering", sagte Nathan James, Autor des Berichts. Als einen möglichen Grund für die Entwicklung vermutet James, dass zunehmend Menschen für Straftaten ins Gefängnis kämen, die danach von anderen fortgesetzt würden.

Einen Massenvergewaltiger wegzusperren, sei sinnvoll, weil auf diese Weise weiteren Vergewaltigungen vorgebeugt werde, meinte er. Anders verhalte es sich jedoch mit Drogendealern. "Sobald sie hinter Gittern verschwinden, werden sie von anderen ersetzt. Die Gefangennahme einer Einzelperson hat also keine abschreckende Wirkung."

Der Anstieg der Zahl der Strafgefangenen muss aber auch im Zusammenhang mit Veränderungen innerhalb des Strafvollzugs auf Bundesebene gesehen werden. In den vergangenen Jahrzehnten wurde in den USA zunehmend mit harter Hand gegen Kriminalität vorgegangen. Selbst Straftäter, die nicht gewalttätig sind, müssen mit hohen Haftstrafen rechnen.

Die Überfüllung der Haftanstalten ist unterdessen zu einem erheblichen Problem geworden. Das gesamte föderale Gefängnissystem arbeitete 2011 nach Erkenntnissen von CRS 39 Prozent über seiner maximalen Kapazität. Die Ausgaben verdoppelten sich auf fast 6,4 Milliarden Dollar. Dazu trug auch der Umstand bei, dass Infrastrukturprobleme im Umfang von Hunderten Millionen Dollar vernachlässigt wurden und sich dadurch verschlimmerten.

Die Probleme auf der Bundesebene stehen im Gegensatz zu der Situation in manchen Bundesstaaten. Während ein Staat wie Kalifornien sogar mit einer noch besorgniserregenderen Überbelegung der Gefängnisse umgehen muss und 2011 vom Obersten Gerichtshof zu Gegenmaßnahmen aufgefordert wurde, hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass viele Bundesstaaten das Problem aktiv angehen.

Einige dieser Maßnahmen lassen sich mit ernsten Haushaltsdefiziten erklären. Durchschnittlich kostet jeder Sträfling die USA zwischen 25.000 und 30.000 Dollar. Laut einem neuen Bericht der unabhängigen Gruppe 'Sentencing Project' in Washington, die sich für eine Gefängnisreform einsetzt, sank die Zahl der Häftlinge 2011 um durchschnittlich 1,5 Prozent. Im vergangenen Jahr billigten die Parlamente in 24 Bundesstaaten zudem Strategien, die dem Report zufolge "dazu beitragen können, die Zahl der Gefangenen zu senken."


Gegenmaßnahmen einzelner Staaten reichen nicht aus

Der Umfang der Aktivitäten der Staaten zur Reduzierung der Zahl der Gefängnisinsassen habe sich deutlich verändert, meinte Vineeta Gupta von der 'American Civil Liberties Union' (ACLU). "In einigen Staaten gibt es derzeit Diskussionen, die noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wären. Man geht gegen Kriminalität klüger und nicht härter vor. Keine dieser Maßnahmen ist allerdings umfassend genug, um das ganze Ausmaß des Problems in den Griff zu bekommen."

Wie Gupta kritisierte, bewegt sich die Regierung in Washington leider in die entgegengesetzte Richtung. Die Rekordzahl von Häftlingen erklärt sie unter anderem damit, dass Zentralregierung und Bundesstaaten in den vergangenen zwei Jahrzehnten Mindestvoraussetzungen für eine Verurteilung festgelegt hätten. Infolgedessen würden bestimmte Straftaten automatisch bestimmte Haftstrafen nach sich ziehen, vor allem bei Drogenkriminalität. Die Richter seien nicht mehr in der Lage, nach dem jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.fas.org/sgp/crs/misc/R42937.pdf
http://www.hrw.org/united-states
http://sentencingproject.org/doc/publications/sen_State%20of%20Sentencing%202012.pdf http://www.aclu.org/
http://www.ipsnews.net/2013/02/u-s-prison-population-seeing-unprecedented-increase/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2013