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MEDIEN/098: Die digitale Kluft als Ausdruck sozialer Ungleichheiten (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2013

Die doppelte Spaltung
Die digitale Kluft als Ausdruck sozialer Ungleichheiten

Von Daniel Leisegang



Das Internet ist eines der wichtigsten Medien des 21. Jahrhunderts. Umso verwunderlicher, dass es in Deutschland noch immer viele Menschen gibt, die an der digitalen Welt nicht teilnehmen. Die Ursachen sind sehr unterschiedlich. Ihre Beseitigung könnte den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie stärken.


Nahezu jeder ist heute im Internet, könnte man meinen. Doch die Realität sieht anders aus: Zwar nutzen rund drei Viertel der Bundesbürger inzwischen das Netz, dies bedeutet im Gegenzug aber auch, dass rund 16,5 Millionen Bundesbürger nicht Teil der digitalen Welt sind. Zum Vergleich: In Skandinavien liegt der Anteil der Internetnutzer bei nahezu 90%. Darüber hinaus stehen einer aktuellen Studie zufolge mehr als die Hälfte der Bundesbürger dem Internet skeptisch bis ablehnend gegenüber.

Die vergleichsweise hohe Zahl an Offlinern hierzulande geht nur zum Teil auf die fehlende Verfügbarkeit von Internetanschlüssen zurück. Zwar weist der Netzausbau insbesondere in ländlichen Gebieten noch immer sogenannte weiße Flecken auf, allerdings schreitet der Ausbau des Breitbandnetzes unvermindert voran. Vor allem mithilfe der noch vergleichsweise teuren Funktechnologie LTE sollen die meisten Löcher bald gestopft sein.

Doch selbst wenn sämtliche weiße Flecken auf der Breitbandkarte auf einmal getilgt würden, ginge die Zahl der Offliner nicht schlagartig zurück. Denn viele unter ihnen verweigern sich dem Internet aus Überzeugung. Darüber hinaus hat die Ablehnung meist soziale und ökonomische Gründe. Dies belegt der neue Digital-Index, den die gemeinnützige Initiative D21 Ende April vorstellte. In deren Auftrag befragt das Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest seit 2001 jedes Jahr tausende Deutsche nach ihren Online-Gewohnheiten.

Das Resultat überrascht: Im internationalen Vergleich nimmt die Bundesrepublik nur einen mittleren Platz bei der Nutzung des Internets ein. Dieser Befund wiegt umso schwerer, als das Wachstum bei der Internetnutzung bereits seit längerem an seine Grenzen kommt. Wie bereits im Vorjahr nahm die Zahl der deutschen Internetnutzer in diesem Jahr um gerade einmal 0,9% auf 76,5% zu. Auffällig hoch ist aber nicht nur die Zahl der Internetverweigerer, die sich bewusst gegen die Nutzung des Netzes entscheiden, sondern auch die Zahl derer, die dem Internet eher skeptisch gegenüber stehen. Konkret unterscheidet die Studie sechs unterschiedliche Nutzertypen. Besonders die Gruppe der "Außenstehenden Skeptiker" (28,9%) und die der "Häuslichen Gelegenheitsnutzer" (27,9%) sind gar nicht oder selten online. Der typische Offliner ist eher weiblich, älter als 43 Jahre und verfügt meist nur über einen niedrigen Bildungsabschluss sowie keine oder eine gering bezahlte Tätigkeit.

Gemeinsam mit der Gruppe der "Vorsichtigen Pragmatiker" (9,5%) liegt der Anteil der eher internetfernen Gruppen somit bei rund zwei Drittel der Befragten.

Ihnen gegenüber stehen die zumeist jüngeren und gutausgebildeten "Reflektierten Profis" (15,4%), die "Passionierten Onliner" (15,0%) sowie die "Smarten Mobilisten" (3,2%). Dieses Drittel der Befragten steht dem Internet grundsätzlich positiv gegenüber - es informiert sich online, kauft im Netz ein oder ist regelmäßig in Sozialen Netzwerken aktiv.

Vor allem drei Gründe geben die Offliner für ihre Zurückhaltung an. Erstens sehen sie keine Vorteile in der Nutzung des Internets. Zweitens nehmen sie das Internet häufig als bedrohlichen Ort wahr - besonders hinsichtlich des Schutzes ihrer privaten Daten und der Sicherheit im Netz. Und drittens verfügen insbesondere ältere Menschen nach eigenen Angaben zumeist nur über geringe PC-Kenntnisse.

Wie stark die Skepsis ausgeprägt ist, hängt wiederum von Geschlecht, Alter und Bildungsgrad der Befragten ab - kurzum: von ihrem sozio-ökonomischen Status.

So sind 81,4% der Männer, aber nur 71,8% der Frauen online. Und während Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren zu über 97% im Netz unterwegs sind, nutzen nur noch knapp 64% der 60- bis 69-Jährigen das Internet; bei den über 70-Jährigen sind es gerade noch gut 30%.

Menschen mit Abitur bzw. einem Hochschulabschluss nutzen zu knapp 92% das Internet, Absolventen einer Volks- bzw. Hauptschule jedoch nur zu gut 60%. Diese digitale Kluft entlang von Bildungsunterschieden scheint sich derweil sogar noch zu vertiefen: Den neuesten Befunden zufolge stagniert der Anteil der Nutzer, die über eine formal einfache Bildung verfügen, während die Internetnutzung bei jenen überdurchschnittlich zunimmt, die weiterbildende Schulen besucht haben.

Wer hierzulande das Internet nutzt, hängt schließlich auch vom Geldbeutel ab. Während Haushalte mit mehr als 3.000 Euro Einkommen zu 93% online sind, liegt die Quote in Haushalten mit weniger als 1.000 Euro bei gerade einmal 55%.


Soziale Spaltung vertieft sich

Die unterschiedliche Nutzung des Internets bildet indes nicht nur die Spaltung ab, sondern vertieft diese sogar noch. Da in den vergangenen Jahren das Internet rasant an Bedeutung für die gesellschaftliche, kulturelle und politische Teilhabe gewonnen hat, wirkt sich die ungleiche Internetnutzung zunehmend auch auf die Verteilung von Ressourcen und gesellschaftlichem Einfluss aus. Dies zeigt sich besonders im medialen Diskurs und in dem Wandel der politischen Partizipation.

Zum einen verlagert sich die tagesaktuelle Berichterstattung mehr und mehr ins Internet. Dabei wandelt sich die Art der Kommunikation, die in den traditionellen Medien eher einseitig ausgerichtet ist, grundlegend. Die bislang weitgehend passiven Leserinnen und Leser werden in die Produktion, Einordnung und Kommentierung von Nachrichten eingebunden. Der Einfluss der Leser auf die Redaktionen nimmt dabei enorm zu. Zugleich gewinnen Weblogs, aber auch Soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook für gesellschaftliche Debatten an Bedeutung. Längst hat sich dabei eine digitale Elite herausgebildet, die im Netz und aus dem Netz heraus an Einfluss gewinnt.

Zum anderen wird das Internet auch mit Blick auf die politische Teilhabe und Willensbildung immer wichtiger. Nicht nur Behördengänge werden durch digitale Serviceangebote einer "Verwaltung 2.0" ergänzt oder gar abgelöst, längst werden Stadtversammlungen per Videoübertragung ins Internet gestreamt. Zudem können Bürger per Mausklick Einfluss nehmen auf kommunale Haushalte, Planungsverfahren und politische Entscheidungen.

Diese Zunahme an partizipatorischen Möglichkeiten ist aus demokratietheoretischer Sicht grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings wird die Gruppe der Offliner umso stärker von dieser Entwicklung abgehängt, je mehr das Internet zur Voraussetzung für kulturelle und politische Teilhabe wird. Die utopische Idee, das Internet könne dazu beitragen, soziale Unterschiede einzuebnen, verkehrt sich auf diese Weise in ihr Gegenteil.


Das Recht auf Teilhabe: Der Staat in der Pflicht

Was aber muss getan werden, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten?

In einem demokratischen Sozialstaat obliegt es in erster Linie staatlichen Einrichtungen, allen Bürgern einen gleichberechtigten Zugang zu gesellschaftlicher, politischer und kultureller Teilhabe zu ermöglichen. Davon sind wir - mit Blick auf das Internet - derzeit jedoch weit entfernt.

So verweigert die bundesdeutsche Sozialgesetzgebung Millionen Hartz IV-Empfängern die erforderlichen Mittel für einen Online-Zugang. Der Regelsatz in Höhe von 382 Euro sieht rein rechnerisch 2,28 Euro für einen Internetzugang und 3,44 Euro für "Datenverarbeitungsgeräte und Software" vor. Da allein ein Breitbandanschluss monatlich rund 20 Euro kostet, können diese mickrigen Zuschüsse nur einen Bruchteil der erforderlichen Aufwendungen decken.

Es passt ins Bild, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung die sozialen Ursachen für die sich vertiefende digitale Kluft leugnet und stattdessen mit der vom Wirtschaftsministerium verfolgten Strategie "Deutschland Digital 2015" vor allem den Ausbau der technischen Infrastruktur fördert. Um die digitale Kluft zu verringern, sind vor allem sozialpolitische Maßnahmen erforderlich.

Die richtige Richtung gibt dabei das Bundesverfassungsgericht vor. Die Karlsruher Richter urteilten im Februar 2010, dass ein menschenwürdiges Existenzminimum "die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben" umfasst. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müssen gerade Hartz IV-Bezieher einen Netzzugang und die erforderliche Hardware erhalten - schon allein um sich online über freie Stellen zu informieren und sich um diese bewerben zu können.

Um Berührungsängste mit dem Netz abzubauen und die Teilnehmer im Umgang mit dem Internet zu schulen, müssen darüber hinaus Bildungsangebote geschaffen werden - angefangen bei den Grundschulen bis hin zu kostenlosen Kursangeboten für Senioren. Bereits heute bemühen sich einzelne Bundesländer, wie beispielsweise das Saarland, älteren Menschen gerade auch in ländlichen Regionen die Online-Welt näher zu bringen, unter anderem mithilfe mobiler Internetcafés vor Ort.

Das Misstrauen der Internetskeptiker wird sich dennoch nicht so leicht zerstreuen lassen. Ursache dafür sind die regelmäßig wiederkehrenden Debatten, die den Eindruck erwecken, im Netz träfe der Nutzer vor allem auf islamistische Hass-Prediger, Pädophile, unlautere Shoppingangebote und Klickbetrug. Eine derart verzerrte Sicht auf das Internet befördert überzogene Ängste statt zur Nutzung des Mediums zu ermuntern - gerade wenn das Netz den Austausch der Bürger untereinander und deren Einflussmöglichkeiten auf die politischen Entscheidungen stärken soll.

Betrachtet man das Internet stattdessen vor allem als Teil einer zunehmend digitalisierten Öffentlichkeit, würde dies seinen Status als öffentliches Gut stärken und bei den Skeptikern vor allem Neugier statt Abwehr hervorrufen. Wenn es auf diese Weise gelingt, nicht nur die sozialen und ökonomischen Gründe für die digitale Kluft zu beseitigen, sondern zudem die Offliner angstfrei an das Medium Internet heranzuführen, profitieren am Ende alle Seiten davon - nicht zuletzt der gesellschaftliche Zusammenhalt wie auch die Demokratie.


Daniel Leisegang (1978) hat Politikwissenschaften, Germanistik und Philosophie studiert und ist Redakteur bei der politischen Monatszeitschrift Blätter für deutsche und interiationale Politik.
(daniel.leisegang@blaetter.de)

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2013, S. 47-49
herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer, Bascha Mika und Peter Struck (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2013