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REDE/038: Olaf Scholz - Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, 19.06.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz, zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vor dem Deutschen Bundestag am 19. Juni 2009 in Berlin


Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Ich komme gerade von einer Sitzung mit den am Ausbildungspakt Beteiligten, die sich mit der Situation der jungen Leute in Deutschland beschäftigt hat. Das ist, wie ich finde, eines der wichtigsten Themen für die Zukunft unseres Landes. Bei allem, worüber wir diskutieren, bei allem, was wir sagen, etwa dass wir mehr Akademiker in Deutschland brauchen, muss klar sein: Auch in Zukunft ist die Lehre, ist die Berufsausbildung die wichtigste Ausbildung in Deutschland.

Wir müssen erreichen, dass jeder junge Mensch mit Anfang 20 entweder das Abitur oder eine Lehre abgeschlossen hat. Darauf sollte sich unser ganzer Ehrgeiz richten. Deshalb darf die Zahl der Ausbildungsverträge in Deutschland nicht weiter zurückgehen.

Nachdem die Zahl der Ausbildungsverträge im letzten Jahr ein bisschen zurückgegangen ist, habe ich mich dafür eingesetzt - Sie wissen das -, dass es in diesem Jahr jedenfalls nicht weniger als 600.000 Ausbildungsverträge gibt. Nur wenn wir das erreichen, besteht die Chance, dass auch diejenigen, die schon lange nach einem Ausbildungsplatz suchen und bisher verzweifelt feststellen mussten, dass sie keinen finden, eine Berufsausbildung erhalten. Dieses Ziel von 600.000 Ausbildungsplätzen ist im Pakt nicht konsentiert gewesen, allerdings will man sich bemühen. Ich bin froh, dass trotz des Dissenses, auf dem ich auch bestehen muss, weil ich mich für die jungen Leute und dafür einsetzen will, dass es genügend Ausbildungsverträge gibt, die Bereitschaft entwickelt worden ist, jetzt doch noch einmal darüber zu diskutieren, ob der Pakt nicht neue Ziele bekommen muss: neue Ziele, die auch diejenigen, die lange außen vor gestanden haben, einbeziehen, neue Ziele, die sicherstellen, dass wir die Zeit der zurückgehenden Schülerzahlen nutzen, aber nicht um die Zahl der Ausbildungsverträge zu reduzieren, sondern dazu, um auch denjenigen eine Chance zu geben, die bisher außen vor geblieben sind.

Wir leisten mit dem Gesetzentwurf, der heute zur Beratung steht, einen Beitrag dazu. Das war schon beim Ausbildungsbonus der Fall, den wir im letzten Jahr beschlossen haben und der bereits über 14.000 jungen Leuten einen Ausbildungsvertrag verschafft hat, den sie sonst nicht bekommen hätten. Wir leisten hier und heute noch einen Beitrag, indem wir eine Sonderregelung für diejenigen schaffen, die ihren Ausbildungsplatz wegen der Insolvenz des ausbildenden Unternehmens verlieren. Sie dürfen nicht alleingelassen werden. Wir helfen ihnen jetzt mit dem Bonus als Rechtsanspruch.

Dieser Gesetzentwurf enthält viele Materien, über die diskutiert werden muss, große und kleine Sachen. Vieles hat mit der Zukunft derjenigen zu tun, die sich bemühen, die sich anstrengen, die arbeiten; aber es geht eben auch darum, wie das, was man in einem langen Arbeitsleben durch Beiträge an Ansprüchen gegen die Rentenversicherung erworben hat, garantiert werden kann. Wir alle wissen: Die Rentenversicherung hat in den letzten Jahren viele Reformen erlebt, Reformen, die richtigerweise dazu beigetragen haben, dass Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung wieder ausbalanciert sind, dass die finanzielle Stabilität dieser Versicherung für die Zukunft gewährleistet ist. Als eines der wenigen Länder in Europa begegnen wir der demografischen Herausforderung. Wir haben auch im nächsten und übernächsten Jahrzehnt eine vernünftig finanzierte Rentenversicherung, obwohl es immer weniger jüngere Leute und immer mehr ältere Leute gibt.

Es besteht natürlich Unsicherheit. Das kann nach den vielen Reformen der letzten Jahre auch gar nicht anders sein. Deshalb erhält jeder Gehör, der eine neue Rechnung aufmacht und sagt, danach komme etwas ganz anderes heraus.

Jeden Tag gibt es eine neue Schlagzeile darüber. Es darf aber nicht sein, dass jeder die Rentnerinnen und Rentner, die auf ein langes Arbeitsleben zurückblicken können, mit immer wieder neuen Zahlen verwirren kann. Deshalb garantieren wir mit dieser Gesetzesänderung, dass die Rente weiterhin, wie es in der Rentenformel steht, die wir nicht ändern, der Wirtschaftsentwicklung und der Lohnentwicklung folgt. Aber wir stellen sicher, dass es nicht abwärts geht. Das haben die älteren Mitbürger unseres Landes verdient. Der Einwand der einen ist: Eigentlich wäre das gar nicht nötig, weil es eh nicht dazu kommt.

So sind auch unsere Zahlen. Der Einwand der anderen ist: Das wird sehr viel kosten. Manchmal sind es die Gleichen, die sagen, es wäre nicht nötig, und es würde sehr viel kosten. Man muss sich schon für eines der beiden falschen Argumente entscheiden, wenn man einigermaßen stringent bleiben will. Aber beide sind falsch. Das will ich ausdrücklich dazusagen.

Wir verbessern die Möglichkeiten der Förderung der Kurzarbeit mit diesem Gesetzentwurf noch einmal. Das verdient schon noch einmal eine kurze Besinnung. Mit der schnellen Entscheidung vom Dezember letzten Jahres, die Kurzarbeit nicht nur sechs Monate, sondern 18 Monate zu fördern, mit der weiteren Entscheidung, sie jetzt 24 Monate zu fördern, und mit der Entscheidung im Rahmen des Konjunkturpakets "Wir übernehmen für die ausgefallene Arbeitszeit - nur für die! - die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge, die die Arbeitgeber zu tragen haben" haben wir dazu beigetragen, dass Hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland gesichert geblieben sind. Das kann man allein daran sehen, dass im März über eine Million Menschen in Kurzarbeit gewesen sind.

Wer sich ein bisschen umschaut, wer sich ein bisschen umhört, der stellt fest, dass unsere Regelung schon sehr zielgerichtet und sehr zielgenau ist; denn sie hat dazu beigetragen, dass europaweit agierende Konzerne anderswo entlassen und in Deutschland auf Kurzarbeit setzen, manchmal obwohl es dort ähnliche Förderinstrumente gibt, sie aber nicht weit genug gehen und nicht solche geschaffen wurden, auf die auch zugegriffen wird.

Deshalb können wir schon sagen: Bei diesem Förderinstrument, bei dem wir darauf achten, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben und nicht wegen einer Konjunkturkrise in 2009 und 2010 verloren gehen, können wir gerne einmal einen Zentimeter zu weit gehen. Aber wir dürfen nicht einen Millimeter zu kurz springen; sonst gefährden wir Arbeitsplätze.

Das ist auch der Sinn der Regelung, die wir jetzt auf den Weg gebracht haben. Sie sichert Jobs, und das ist gut. Wenn wir jetzt sagen: "Ab dem siebten Monat übernehmen wir die Sozialversicherungsbeiträge voll", dann geht es übrigens um mittelständische Unternehmen. Jemand, der in einem Ort 80 Leute beschäftigt und in einem anderen 120, der kann jetzt ab dem siebten Monat davon Gebrauch machen. Im Übrigen empfehle ich dem einen oder anderen, sich einmal Gedanken darüber zu machen, was ein Unternehmen, was ein Arbeitgeber, was ein Konzern ist. Ein Konzern ist hier nicht gemeint. Das ist nur für die Polemik gut, nicht für die Sachdebatte; denn hier geht es um einen Arbeitgeber, der zwei solche Betriebsstätten hat, über die ich geredet habe, und nichts anderes. Alles andere ist Polemik.

Noch kurz ein weiterer Aspekt. Ich bin sehr froh darüber, dass wir für eine engagierte Gruppe unserer Bevölkerung, für Leute, die es schwer haben und die ein sehr unsicheres, wechselhaftes Leben zu führen haben, ein Stück mehr soziale Sicherheit geschaffen haben, nämlich für die Künstlerinnen und Künstler, die als Arbeitnehmer beschäftigt sind. Sie haben immer damit zu kämpfen gehabt, dass sie über Jahre Beiträge gezahlt haben, sie aber dann, wenn sie die Leistung gebraucht haben, oft nicht in Anspruch nehmen konnten, weil ihre Gesamtbeitragszeiten nicht ausgereicht haben. Wir ändern das jetzt. Ich glaube, das ist ein Beitrag zur sozialen Sicherheit von Menschen, die ein schweres Leben führen, die manchmal kompliziert um jeden einzelnen Auftrag kämpfen müssen. Aber es ist - das soll an dieser Stelle auch gesagt werden - ein Beitrag zur Freiheit; denn die Kunst gehört zur Freiheit dazu. Sie zu sichern, ist immer eine verdienstvolle Aufgabe.


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Quelle:
Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz,
zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vor dem Deutschen Bundestag am
19. Juni 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2009