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REDE/058: Ursula von der Leyen - Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, 24.04.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vor dem Deutschen Bundestag am 24. März 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Die Zahlen stimmen. Wir haben ein glänzendes Wachstum von 3,6 Prozent. Wir haben 41 Millionen Menschen in Arbeit; das ist ein Rekordwert. Wir sind zuversichtlich, dass die Arbeitslosigkeit 2011 im Jahresschnitt unter der Drei-Millionen-Grenze sein wird.

Ja, die Zahlen stimmen. Dennoch glauben viele Menschen in unserem Land, dass etwas nicht stimmt. Unter dem Druck des globalen Wettbewerbs drohen unfaire Arbeitsbedingungen am unteren Rand des Arbeitsmarktes Fuß zu fassen. Es sind insbesondere Vorfälle aus dem Bereich der Zeitarbeit gewesen, die den Menschen diesen Eindruck vermittelt haben. Einige haben Schlupflöcher ausgenutzt, um die Stammbelegschaft systematisch schlechter zu stellen. Das ist weder der Sinn von Zeitarbeit noch die Intention des Gesetzes. Wer seiner Belegschaft kündigt, um sie für die gleiche Arbeit zu schlechteren Löhnen als Zeitarbeiter wieder einzustellen, der kündigt den fairen Umgang miteinander auf. Das wollen wir nicht tolerieren. Deshalb schließen wir mit diesem Gesetz die Gesetzeslücke.

Wir wissen, dass wir die Zeitarbeit brauchen. Zeitarbeit kann für Geringqualifizierte eine wichtige Alternative zur Arbeitslosigkeit sein. Wir wissen, dass zwei Drittel der Menschen, die bei einer Zeitarbeitsfirma anfangen, vorher nicht beschäftigt waren. Jeder Dritte hat keinen Berufsabschluss. Sie haben als Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer volle Arbeitnehmerrechte: Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch, und sie sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auf der anderen Seite gibt die Zeitarbeit Unternehmen die Möglichkeit, ihren Personalbedarf flexibel zu decken. Sie gibt ihnen Beweglichkeit für Auftragsspitzen oder besondere Projekte. Wir sind uns deshalb einig, dass wir aus diesen Gründen die Zeitarbeit brauchen. Das ist auch einer der Gründe, warum vor gut acht Jahren SPD und Grüne die Zeitarbeit flexibilisiert haben. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass der Grundgedanke richtig ist, dadurch Menschen in Arbeit zu bringen, weil Arbeit immer besser als Arbeitslosigkeit ist.

Wir stehen heute eher vor einer anderen Herausforderung. Es geht einerseits darum, die Flexibilität zu erhalten, und andererseits darum, die Fairness in der Zeitarbeit zu sichern. Hierzu trägt auch die europäische Leiharbeitsrichtlinie bei, die wir vollständig, eins zu eins, umsetzen. Am 1. Mai werden wir unseren Arbeitsmarkt vollständig öffnen, auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den acht neuen EU-Mitgliedstaaten. Sie sind willkommen auf unserem Arbeitsmarkt. Was wir aber nicht wollen, ist, den Arbeitsmarkt für ausländische Billiglöhne öffnen. Deshalb habe ich mich immer klar für eine Lohnuntergrenze in der Leiharbeit ausgesprochen. Wir ziehen jetzt in der Leih- und Zeitarbeit eine gesetzliche Lohnuntergrenze ein, die auf Vorschlag der Tarifpartner durch Rechtsverordnung festgelegt wird.

Es wird eine Lohnuntergrenze für die Verleihzeit und für die verleihfreie Zeit geben. Sie wird für Inländer und für Ausländer gelten. Ferner haben wir uns darauf verständigt, dass der Zoll die Einhaltung der Lohnuntergrenze kontrolliert. Hier wird der gleiche Mechanismus wie bei der Kontrolle der Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz greifen. Das geht aber nur mit einer sorgfältigen Abgrenzung der Prüfzuständigkeiten und der Kontrollbefugnisse der Bundesagentur für Arbeit einerseits und der Zollbehörden andererseits. Wir brauchen dazu die erforderliche Zeit.

Sie alle wissen, dass die entsprechenden Regelungen in Vorbereitung sind und dass sie rechtzeitig eine Kontrolle der künftigen Lohnuntergrenze gewährleisten.

Abschließend möchte ich noch etwas zum Thema Equal Pay sagen. Es ist nicht in Ordnung, wenn Menschen für die gleiche Leistung in demselben Betrieb dauerhaft ungleich bezahlt werden. Im Gesetz steht: Es gilt Equal Pay, gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Leiharbeitern und Stammbelegschaft, es sei denn, die Tarifparteien einigen sich auf eine abweichende Lösung. Ich weiß sehr wohl, dass es einen unseligen Tarifparteienwettbewerb nach unten gegeben hat. Das war übel. Das hat dem Ansehen der Zeitarbeit richtig geschadet. Ein Gerichtsurteil hat hier jetzt eine Zäsur gesetzt; das ist richtig. Für uns bleibt es aber unstreitig, dass die Tarifautonomie erst einmal Vorrang hat. Erst wenn sie versagt, muss der Staat eingreifen. Deshalb erwarten wir jetzt, dass die Sozialpartner ihre Freiräume nutzen und sich mit Augenmaß auf eine Annäherung an Equal Pay verständigen.

Wenn die Tarifparteien innerhalb eines Jahres keine Tariflösung finden, dann werden wir eine Kommission einsetzen, die an ihrer statt die Regeln für Equal Pay auslotet und dem Gesetzgeber einen Vorschlag unterbreiten muss.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Tarifautonomie ein schützenswertes Instrument ist. Es ist aber eben auch unsere gemeinsame Aufgabe, sicherzustellen, dass der Sozialstaat wirkt. Das gelingt meines Erachtens am besten in einem breiten Konsens und nicht im Streit. Heute gehen wir einen ersten und wichtigen Schritt in diese Richtung.


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Quelle:
Bulletin Nr. 32-4 vom 24.03.2011
Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen,
zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
- Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung
vor dem Deutschen Bundestag am 24. März 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2011