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REDE/070: Manuela Schwesig - Konsequenzen aus den Ereignissen von Köln und anderen Großstädten, 13.01.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Deutscher Bundestag
Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, in der vereinbarten Debatte zu den Konsequenzen aus den Ereignissen von Köln und anderen Großstädten in der Silvesternacht vor dem Deutschen Bundestag am 13. Januar 2016 in Berlin


Sehr geehrter Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Jede Frau, die schon einen sexuellen Übergriff erlebt hat, weiß, dass er sich verdammt schlimm anfühlt, und sie weiß, dass keine Beschreibung der Tat - auch nicht wirklich Gesetze - das aufheben kann, was sie erlebt hat und was sie auch begleiten wird, vielleicht ein Leben lang. Dennoch müssen wir dafür Sorge tragen, dass jede Frau in unserem Land weiß, dass sie den Übergriff ansprechen soll, dass sie ihn zur Anzeige bringen soll und dass wir mit aller Konsequenz solche Taten verfolgen, egal wer sie begangen hat, woher er kommt oder wohin er will. Jeder Übergriff gegen eine Frau ist ein Übergriff zu viel.

Wir sind das den Frauen schuldig, die in Köln und in anderen Orten in der Silvesternacht Schlimmes erlebt haben, in einer Form, die wir uns so bisher nicht vorstellen konnten, und wir sind es auch den Frauen schuldig, die Übergriffe im Alltag erleben und sich vielleicht manchmal allein mit diesem Thema fühlen, weil es nicht angesprochen wird. Das betrifft den Arbeitsplatz, den Bekanntenkreis, die U-Bahn oder auch das Zuhause. Wir sind es jeder einzelnen Frau schuldig. Ich liebe eigentlich eher lebendige parlamentarische Debatten. Es gehört sicherlich dazu, dass man gegenseitig Versäumnisse aufrechnet. Aber ich glaube, es geht jetzt weniger darum, gegenseitig aufzurechnen, wer wann wie viel Polizei zur Verfügung stellt, sondern mehr um einen Konsens aller demokratischen Fraktionen.

Diese müssen sagen: Wir wollen diese Vorfälle zum Anlass nehmen, um Frauen, die so etwas erleben, den Rücken zu stärken, die Taten zur Anzeige zu bringen, damit sie konsequent verfolgt werden können.

Wenn wir das wollen, müssen wir über jede einzelne Tat und auch über die Umstände offen sprechen können. Wenn wir wollen, dass die Rechtsextremen diese Taten jetzt eben nicht so widerlich benutzen, wie sie es tun, dann müssen wir Demokraten den Mut haben, anzusprechen: Ja, in der Silvesternacht waren es viele Männer aus anderen Ländern, die eigentlich gesagt haben, sie wollten Schutz bei uns; aber sie haben den Frauen hier Schutz genommen. Das muss ausgesprochen werden. Alles andere ist Wasser auf die Mühlen von Rechtsextremisten. Das nicht zuzulassen, sind wir den Frauen und allen Flüchtlingen, die hier anständig leben und leben wollen, gemeinsam schuldig.

Wir sollten aber gleichzeitig darüber sprechen - das haben heute schon viele getan -, dass sexuelle Gewalt in ganz verschiedenen Formen im Alltag viele Frauen betrifft. Wir müssen diese Diskussion jetzt zum Anlass nehmen, den Frauen besser zu helfen. Deshalb unterstütze ich sehr die Vorschläge des Bundesjustizministers, die Lücken im Sexualstrafrecht zu schließen, und deshalb müssen wir noch stärker als bisher in unserem Land auch eine Debatte darüber führen, wie wichtig uns gleiche Rechte für Frauen und Männer sind.

Es ist auch eine Chance, deutlich zu machen: Wir haben eine ganz klare Trennlinie. Wir erwarten, dass jeder, der in diesem Land aufwächst, und jeder, der zu uns kommt, die Rechte von Frauen achtet und unterstützt. Wir wollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Für sexistische Gewalttäter ist in diesem Land genauso wenig Platz wie für Rassisten, egal ob sie Deutsche sind oder Ausländer. Wir müssen dieses Signal senden.

Ich sage ganz klar: Wenn Menschen in anderen Ländern, aus denen viele vor Gewalt und Krieg fliehen, mitbekommen, dass wir ein Land sind, das Schutz für Kinder, Frauen und Männer bietet - ein solches Land wollen wir weiterhin sein -, dann müssen sie auch mitbekommen, dass wir eine Werteordnung haben, und diese Werteordnung beinhaltet auch die Rechte der Frauen. Das heißt aber auch, dass wir hier, im eigenen Land, mit gutem Beispiel vorangehen müssen.

Wir haben jetzt gemeinsam die Chance, die Rechte von Frauen viel stärker in den Mittelpunkt zu rücken und diese auch viel stärker als bisher zum Thema in Integrationskursen und auch in anderen Debatten zu machen. Wir haben es jetzt selber in der Hand, zu klären, ob das Jahr 2016 so schrecklich, wie es für viele Frauen begonnen hat, bleibt oder ob wir es zu einem Jahr für Frauen, für mehr Rechte von Frauen, für mehr Respekt vor Frauen machen. Das liegt in unserer Hand, und dafür werbe ich.

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Quelle:
Bulletin Nr. 04-3 vom 13.01.2016
Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig,
in der vereinbarten Debatte zu den Konsequenzen aus den Ereignissen von Köln
und anderen Großstädten in der Silvesternacht vor dem Deutschen Bundestag
am 13. Januar 2016 in Berlin
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
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Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2016

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