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RENTE/576: Rentenpläne gehen an der Wirklichkeit vorbei (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 44 vom 4. November 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Rentenpläne gehen an der Wirklichkeit vorbei
Statt Zusatzrente nur Zusatzrendite für Versicherungen - Kein Mittel gegen Altersarmut

von Manfred Dietenberger


Seit Anfang September diesen Jahres befindet sich Ministerin von der Leyen in einem von ihr initiierten Rentendialog mit Gewerkschaften, Opposition und Sozialverbänden, der noch bis in den November 2011 fortgeführt werden soll. Dabei wirbt sie für die sogenannte Zuschussrente, mit der Alterarmut wirksam bekämpft werden soll.

Doch statt Anerkennung und Beifall erntet die Ministerin dafür überwiegen scharfe Kritik. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sprach gleich zu Beginn von "billigen Scheinlösungen". SPD-Vize Manuela Schwesig bewertete den Rentendialog als eine "Schaufensterveranstaltung".

Am vergangenen Mittwoch meldete sich nun auch noch der Vorstandschef der Rentenversicherung, Alexander Gunkel, zu Wort: Die auf 850 Euro monatlich aufgestockte Zuschussrente eigne sich nach seiner Einschätzung "nur bedingt" dazu, das Problem der wachsenden Altersarmut in den Griff zu bekommen.


Um was geht es?

Frau Ursula von der Leyen will die Rente von Geringverdienern ab 2013 auf 850 Euro aufstocken. Sie kennt Land und Leute und weiß vom Hörensagen, dass schlecht bezahlte Jobs, Teilzeitarbeit, lange Phasen von Kindererziehung und Arbeitslosigkeit bei immer mehr Menschen dazu führen, dass immer mehr arbeitende Menschen nur wenig und/oder nur sporadisch in die Rentenkasse einzahlen konnten/können. In Deutschland stieg die Zahl atypischer Beschäftigung zwischen 1998 und 2008 um 46,2 Prozent. Das führte dazu, dass heute schon rund 400.000 alte Menschen in Deutschland auf Grundsicherung angewiesen sind und daher von höchstens 740 Euro im Monat leben müssen. Tendenz weiter rasch steigend. Nun will die CDU-Ursel, dass auch "Geringverdiener, die ihr Leben lang gearbeitet haben, eine Rente bekommen, die deutlich über der Grundsicherung liegt. Frauen, die Kinder erzogen haben und für andere Menschen da waren" müssen besser abgesichert werden, so die Ministerin. Geht es nach ihr, dann sollen alle Senioren 850 Euro Rente bekommen, wenn sie denn mindestens 40 Jahre Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung gewesen sind und in dieser Zeit mindestens 30 Jahre eingezahlt und sich zusätzlich noch privat Versichert haben.

Angesichts solch hoher Hürden wird wohl kaum jemand in den Genuss der Zuschussrente kommen. Das scheinbar besonders Soziale daran: Nicht nur Zeiten der Berufstätigkeit sollen zählen, sondern auch die Jahre, die Frauen oder Männer zur Erziehung ihrer Kinder oder zur Pflege von Angehörigen zu Hause geblieben sind. Neu-Rentner müssen ab 2013 mindestens fünf Jahre in eine Privat-Rente eingezahlt haben. Diese Mindestzeit steigt ab 2017 jährlich um eines auf schließlich 35 Jahre an. Bestenfalls kämen rund 20.000 Neurentner, so die wohlwollendsten Schätzungen, ab 2013 in Genuss der Zuschuss-Rente. 2035 sollen es schon 1,1 Millionen sein. Drei Viertel von ihnen Frauen.


Versicherungen profitieren

Großzügig wie sie nun mal ist, will von der Leyen Frührentnern darüber hinaus erlauben, bis zur Höhe ihres früheren Bruttogehalts hinzuzuverdienen, ohne dass die Rente gekürzt wird. Wer profitiert davon? Kurze Antwort - die Versicherungskonzerne. Warum? Eben darum, weil eine der Zugangsbedingungen zur Zusatzrente ist, dass der Empfänger einer Zusatzrente vorher 35 Jahre privat in eine Riesterrente eingezahlt haben muss. Künftig hat dadurch jeder Versicherungsvertreter, wenn er bei seiner Jagd nach neuen Abschlüssen auch an die Tür von weniger Bemittelten klingelt, ein schier unschlagbares Verkaufsargument.

Aber das Instrument Zuschuss-Rente ist untauglich, weil es an der kapitalistischen Alltagswirklichkeit vorbei geht. Die Voraussetzungshürden sind viel zu hoch. So sind zum Beispiel die geforderten 45 Versicherungsjahre gerade für Frauen utopisch. Im Jahre 2009 erreichten Frauen in Westdeutschland durchschnittlich nur 26,6 Versicherungsjahre. Die schlechten Erfahrungen mit der Riesterrente in den vergangenen zehn Jahren belegen, dass diese Vorsorgeform für Bezieher kleinerer Einkommen zu teuer ist und nichts bringt. Außerdem würden die heutigen Rentner sowie die älteren, noch Beschäftigten, überhaupt nicht in den Genuss der Zuschuss-Rente kommen.

Doch Altersarmut ist schon heute in vielen Wohnungen zu Hause. Auch ist es ein Skandal, dass Zeiten für die Pflege demenzkranker Angehöriger ohne Pflegestufe oder der eigenen Arbeitslosigkeit - auch solche aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen - nicht berücksichtigt werden sollen. Zeiten geringfügiger Beschäftigung sollen andererseits angerechnet werden. Aber gerade die prekäre Beschäftigung ist doch eine der Hauptursachen für die spätere Altersarmut.


Altersarmut programmiert

Die Altersarmut verschwindet nicht von selbst, auch dann nicht, wenn es tatsächlich zu der längst fälligen, in der letzten Woche verkündeten Rentenerhöhung kommen sollte. Nach den von der Deutschen Rentenversicherung prognostizierten Zahlen zur Rentenentwicklung 2012 würden nun also die Renten in Westdeutschland um 2,3 Prozent steigen, in Ostdeutschland um 3,2 Prozent. Inflationsbereinigt bleibt aber so gut wie nichts davon übrig und die Kaufkraft der Renten sank allein seit 2004 um zehn Prozent.

Die Bundesregierung erwägt wegen der zu erwartenden Überschüsse die Rentenbeiträge zu senken. Laut einer vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Auftrag gegebenen und gerade erst veröffentlichten Umfrage wollen aber 79 Prozent der Befragten die Überschüsse der Rentenkasse zur Bekämpfung von Altersarmut verwenden, nur 12 Prozent votieren für eine Senkung der Rentenbeiträge. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach erklärte dazu: "Die Umfrage zeigt, dass die Menschen mehr Sicherheit im Alter wollen. Sie verzichten auf eine geringfügige Entlastung beim Rentenbeitrag, wenn dafür mehr gegen Altersarmut getan und zum Beispiel die Rente mit 67 abgeschafft wird. Die Umfrage ergab, dass auch die Anhänger der Regierungsparteien mehrheitlich die Senkung der Rentenbeiträge ablehnen. Nur jeder fünfte Sympathisant von CDU/CSU (21 Prozent) und FDP (22 Prozent) sind für eine Beitragssenkung. Sogar mehr als drei Viertel der Unionsanhänger wollen die Mittel zur Bekämpfung von Altersarmut verwenden, bei den Anhängern der Liberalen sind es 64 Prozent.

Besonders die jüngere Generation hält nichts von Beitragssenkungen: 82 Prozent der 18- bis 44-Jährigen wollen das Geld lieber gegen Altersarmut einsetzt sehen. Dazu Annelie Buntenbach: "Die junge Generation geht den leeren Versprechungen nicht auf den Leim. Die Umfrage zeigt, dass die Befürchtung, im Alter zu verarmen, auch bei jungen Menschen sehr verbreitet ist." Statt der in Aussicht gestellten Beitragskürzung fordert der DGB von der Regierung, diese für die nächsten Jahre auszusetzen und den Rentenbeitrag stattdessen stabil bei 19,9 Prozent zu halten. Die sich daraus ergebenden finanziellen Spielräume sollten vielmehr zur Vermeidung von Altersarmut genutzt werden. Dazu gehören neben einer Rente nach Mindesteinkommen auch eine wirksame Verbesserung der Erwerbsminderungsrente, die Erhöhung des Reha-Budgets, die Abschaffung der Rente mit 67 sowie flexible, abgesicherte Rentenübergänge. "Ein solches Sofort-Programm ist die sinnvolle Alternative zu den weitgehend wirkungslosen Vorschlägen der Koalition im Rahmen des so genannten Rentendialogs", erklärte Annelie Buntenbach. Die Beitragsziele der Bundesregierung von maximal 20 Prozent im Jahr 2020 und 22 Prozent in 2030 könnten trotz dieser Maßnahmen erreicht werden. "Wenn der Beitragssatz stabil bei 19,9 Prozent bleibt, steigt die Nachhaltigkeitsrücklage bis zum Jahr 2015 nach den bisherigen Prognosen auf über 65 Milliarden Euro. Bis 2020 würde die Reserve weiter auf etwa 94 Milliarden Euro anwachsen.

Damit stünden jährlich acht Milliarden Euro zur Verfügung, um Leistungsverbesserungen zu ermöglichen und gleichzeitig ein Polster für die Jahre nach 2020 aufzubauen", so Annelie Buntenbach.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, 44 vom 4. November 2011, Seite 4
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2011