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RENTE/647: Chile - Einführung von Umkehrhypotheken zur Alterssicherung geplant (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Juli 2015

Chile: Einführung von Umkehrhypotheken zur Alterssicherung geplant

von Marianela Jarroud


Bild: © Claudio Riquelme/IPS

Rentner in Chile kämpfen für ihre Rechte
Bild: © Claudio Riquelme/IPS

SANTIAGO DE CHILE (IPS) - In Chile will die politische Opposition mit Unterstützung der Regierung sogenannte Umkehrhypotheken auf Wohneigentum zur Alterssicherung einführen. Doch der Vorschlag, der von den Befürwortern als wirksames Instrument zur Lösung der Altersarmut angepriesen wird, ist nicht nur unter Senioren umstritten.

Der von der Regierungskoalition unterstützte Vorstoß der Oppositionsparteien sieht vor, dass Rentner mit Eigenheim die von ihnen selbst bewohnte Immobilie beleihen, um in den Genuss eines monatlichen Zusatzeinkommens zu gelangen. Die Höhe der monatlichen Auszahlung und die Laufzeit des Vertrags, der mit einer Regierungsbehörde abgeschlossen werden soll, hängen vom geschätzten Wert der Immobilie und der voraussichtlichen Lebenserwartung der Eigentümer ab.

Die Erben hätten später die Möglichkeit, die Hypothek zu löschen, indem sie den von den Verstorbenen zu Lebzeiten in Anspruch genommenen Betrag zurückzahlen. Alternativ können sie das Haus oder die Wohnung zur Ablösung des Kredits verkaufen. Vor allem in angelsächsischen Ländern sind solche Hypothekenkredite bereits gängige Praxis. Doch Experten in Chile warnen davor, dass solche Umkehrhypotheken durchaus Risiken bergen und von älteren Menschen als schwere psychische Belastung empfunden werden.

Das chilenische Rentensystem war 1981 während der Diktatur von General Augusto Pinochet (1973-1990) privatisiert und von keiner nachfolgenden demokratischen Regierung je in Frage gestellt worden. Demnach müssen Arbeitnehmer mindestens zehn Prozent ihres Gehalts auf persönliche Rentenkonten einzahlen, die von privaten Pensionsfonds (AFP) verwaltet werden. Dieses Kapital wird in Aktien großer Unternehmen und Banken im In- und Ausland investiert.


Riesenerträge, geringe Renten

Nach Erkenntnissen des Think-Tanks 'Fundación Sol' haben die privaten Rentenkassen bis jetzt etwa 5,8 Milliarden Dollar Gewinn erwirtschaftet. Dennoch werden 90 Prozent der chilenischen Rentner weniger als 230 Dollar im Monat ausbezahlt. Der Betrag entspricht 66 Prozent des monatlichen Mindestlohns. Viele Rentner sehen sich über den Tisch gezogen.

Für die 62-jährige Englischlehrerin Marianela Zambrano, die einige Jahre im Exil in Dänemark gelebt hatte, war die Reform der "Diebstahl des Jahrhunderts". Wie sie berichtet, war sie mehr als 30 Jahre berufstätig. Dennoch erhält sie heute eine Monatsrente in Höhe von lediglich 334 Dollar. Allein die Miete kostet sie 186 Dollar.

Ähnlich funktioniert das Rentensystem in der Dominikanischen Republik, Israel, Nigeria, auf den Malediven, im Kosovo sowie in Malawi und Australien. In Australien wird den meisten Senioren eine Grundrente von 1.000 Dollar garantiert. Chiles Nachbar Argentinien ist von einem Mischsystem aus privater und staatlicher Finanzierung inzwischen wieder zu dem alten Umlagemodell zurückgekehrt.

In Uruguay wird das Umlageverfahren mit persönlichen Rentenkonten kombiniert. Die Änderung erfolgte 2005 im Rahmen einer Reform des Arbeitsrechts, die zu einer Erhöhung der Löhne führte und den Gewerkschaften mehr Einfluss verschaffte.

Die bisherigen Mitte-Links-Regierungen, auch die der amtierenden Präsidentin Michelle Bachelet und ihres rechtskonservativen Amtsvorgängers Sebastián Piñera (2010-2014), hatten sich vor allem um diejenigen Menschen bemüht, die aus dem AFP herausfallen.

2008 hatte Bachelet während ihrer ersten Amtszeit von 2006 bis 2010 Maßnahmen eingeführt, die den ärmsten 60 Prozent der Senioren zugutekamen. Alle diejenigen, die nie Rentenbeiträge gezahlt haben, erhalten nun eine Grundrente von 133 Dollar. Zu dieser Gruppe gehören etwa Straßenverkäufer, Selbständige oder Kleinbauern.

"Das derzeitige Rentensystem diente vor allem dazu, die Wirtschaft anzukurbeln und frisches Kapital in Umlauf zu bringen, von dem Unternehmen und die Wirtschaftslobby profitieren", kritisiert der Ökonom Gonzalo Durán, ein Mitarbeiter der Fundación Sol.


Arbeiten im Rentenalter

In dem südamerikanischen Staat mit 17,5 Millionen Einwohnern gehen Frauen mit 60 und Männer mit 65 Jahren in den Ruhestand. In Wirklichkeit arbeiten die meisten von ihnen, bis sie 70 sind. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO liegt die durchschnittliche Lebenserwartung in Chile bei 83 Jahren für Frauen und 76 Jahren für Männer.

Die Berechnungen der privaten Pensionskassen gehen aber davon aus, dass Frauen im Schnitt 89 Jahre und Männer 85 Jahre alt werden. Entsprechend werden die monatlichen Renten angepasst. Den Erben fällt später eine monatliche Rente zu, die sich an dem bemisst, was der Verstorbene angespart hatte.

Nach Angaben der Behörde, die die Rentenkassen kontrolliert, hatten nach dem Stand vom Dezember 2014 fast 70 Prozent der Chilenen im Alter zwischen 55 und 60 Jahren jeweils etwa 31.000 Dollar auf den privaten Rentenkonten angespart. Damit lässt sich eine Rente von höchstens 155 Dollar monatlich finanzieren.

Durán zufolge vergrößert das Rentensystem die Ungleichheit im Land. Soziale Sicherheit könne damit nicht gewährleistet werden. Der Grundbedarf einer Familie zur Deckung der Lebenshaltungskosten wird mit 264 Dollar veranschlagt. Medikamente können bis zu drei Mal mehr kosten als in Argentinien oder Peru. Viele ältere Chilenen sind daher dazu gezwungen, nach der Verrentung weiterzuarbeiten. (Ende/IPS/ck/28.07.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/07/new-plan-would-aggravate-the-troubles-of-chiles-beleaguered-pensioners/
http://www.ipsnoticias.net/2015/07/nuevo-plan-aumentaria-precariedad-de-pensionados-chilenos/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2015

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