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FRAGEN/008: Frauenrechte und demografischer Wandel - UNFPA-Chef Osotimehin im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Oktober 2012

Bevölkerung: Frauenrechte und demografischer Wandel - UNFPA-Chef Osotimehin im Interview

von Malgorzata Stawecka



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UNFPA-Exekutivdirektor Babatunde Osotimehin
Bild: © Malgorzata Stawecka/IPS

UNFPA-Exekutivdirektor Babatunde Osotimehin - Bild: © Malgorzata Stawecka/IPS

New York, 5. Oktober (IPS) - Die Weltbevölkerung ist nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen auf dem besten Weg, im Jahr 2050 die gigantische Marke von neun Milliarden Menschen zu erreichen. Ein stärkerer Aktionsplan erscheint notwendig, um gegen die Armut anzugehen, eine gut funktionierende Gesundheitsversorgung zu garantieren und allen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen.

"Die demographische Entwicklung der Welt ist komplex, es geht dabei nicht nur um Wachstum, sondern auch um andere Probleme", sagt Babatunde Osotimehin, Exekutivdirektor des Weltbevölkerungsfonds (UNFPA), im Gespräch mit IPS. Als wichtigen Faktor für die Entwicklung sieht er die Förderung der Bildung und reproduktiven Rechte von Mädchen und Frauen.

Nach Ansicht von Osotimehin sollten Themen wie das Altern der Bevölkerung, reproduktive Rechte und Bildung angesichts der weltweiten Wirtschafts- und Umweltkrise stärker in den Vordergrund rücken. Anlässlich des Starts der globalen Initiative 'Education First' von UN- Generalsekretär Ban Ki-moon Ende September erklärte Osotimehin, wie sich die UN-Mitgliedsstaaten gemeinsam mit UNFPA auf die Herausforderungen durch eine Welt mit neun Milliarden Einwohnern vorbereiten.


Das Interview in Auszügen:

IPS: Welches Thema rückt für UNFPA im kommenden Jahr in den Fokus? Das Altern, die Familienplanung oder die wachsenden Einwohnerzahlen in Entwicklungsländern?

Babatunde Osotimehin: Wir befassen uns mit zwei Extremen. Zuallererst mit den jungen Menschen, die in einem Alter sind, in dem sie Kinder bekommen oder kurz davor stehen. Angesichts der Tatsache, dass die meisten von ihnen in Entwicklungsländern leben, wo das Bevölkerungswachstum nach wie vor rapide voranschreitet, arbeiten wir als Weltbevölkerungsfonds mit Regierungen zusammen, um eine umfassende Sexualerziehung zu garantieren. Mädchen möchten wir die Möglichkeit geben, ihr volles Potenzial zu erreichen, denn wenn sie gut ausgebildet sind, treffen sie für ihr Leben andere Entscheidungen.

Dienstleistungen im Bereich der reproduktiven Gesundheit werden in den Plan eingeschlossen. Gemeinsam mit den Regierungen führen wir Maßnahmen ein, die den Menschen das Recht auf eine freie Entscheidung gewähren. Wenn dieses Spektrum erreicht ist, wird sich das Bevölkerungswachstum verlangsamen. Wir haben dies in vielen Ländern erfolgreich umgesetzt.

Bildung zu ermöglichen, wird in diesem Zusammenhang das Richtige sein. Andererseits gibt es auch Länder, deren Bevölkerung immer älter wird und deren Einwohnerzahl sinkt. Wenn es weniger junge als ältere Menschen gibt, könnte die Produktivität beeinträchtigt werden. Jeder neunte Bewohner der Erde ist heute über 60 Jahre alt. Im Jahr 2050 wird es bereits jeder Fünfte sein. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir immer älter werden.

Indem wir soziale Strategien einführen, machen wir uns Gedanken darüber, was das Altern der Gesellschaft für die Produktion, die laufenden Dienstleistungen, den Arbeitsmarkt, das Sozialwesen, Gesundheit, Wohnen und Bildung bedeutet.

IPS: Meinen Sie, dass die globale Wirtschaftskrise, insbesondere in Europa, negative Auswirkungen auf die Bereitstellung von Finanzmitteln für weltweite Bevölkerungsprogramme haben wird?

Osotimehin: Die globale Wirtschaftskrise könnte die Finanzierung dieser Programme beeinträchtigen, weil wir nicht wissen, wie lange sie anhalten wird. Einige Geber sind davon in Mitleidenschaft gezogen worden. Wir hoffen aber, dass Lösungen für die Krise in der Eurozone gefunden werden und es bei der Entwicklungshilfe in Übersee Veränderungen gibt.

Vielleicht ist es auch an der Zeit, das Entwicklungssystem aus einer ganz neuen Perspektive zu betrachten. Im Rahmen des Busan-Abkommens, das die Süd-Süd-Zusammenarbeit betrifft, geht es eher um Kooperation als um Unterstützung, um technische Hilfe und nicht nur um Geld, die den Entwicklungsprozess beeinflussen können.

Um schließlich kommt es auch darauf an, die neuen und aufstrebenden Wirtschaftsmächte dazu zu bringen, sich an der Süd-Süd-Entwicklungsagenda zu beteiligen und sicherzustellen, dass Erfahrungen weltweit zwischen den Regionen ausgetauscht werden. Genau das wird wahrscheinlich passieren.

IPS: Das 1994 auf der UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo verabschiedete Aktionsprogramm wird 2014 sein 20. Jubiläum begehen. Erwarten Sie eine internationale Konferenz, die daran anknüpft?

Osotimehin: Es wird keine internationale Konferenz geben, sondern ein hochrangiges Treffen bei den Vereinten Nationen. Zurzeit untersuchen wir, wie weit wir in dem Kairo-Prozess gekommen sind. 2014 wird uns der Bericht des Generalsekretärs über die bisherigen Fortschritte durch das Recht auf reproduktive Gesundheit vorliegen. Daran werden wir auch sehen, welche Lücken es noch gibt und was wir voranbringen müssen.

Damit werden wir unsere Agenda ergänzen und, was noch wichtiger ist, einen Beitrag zu der Entwicklungsagenda für 2015 leisten. Die reproduktive Gesundheit sowie die Rechte von Frauen und Mädchen müssen für uns an erster Stelle und im Zentrum stehen, damit wir tatsächlich vorankommen können.

IPS: Inwieweit war die Kairoer Konferenz erfolgreich, und wo liegen ihre Schwächen? Sind die Finanzierungsziele erreicht worden? Falls nicht, wie hoch sind die Defizite?

Osotimehin: Bis jetzt sind die Finanzierungsziele nicht erreicht worden. Ich kann nicht genau sagen, wie viel noch fehlt, aber wir haben Fortschritte gemacht. Die Bildung für Frauen hat auf der ganzen Welt zugenommen. In vielen Ländern wird umfassender Sexualkundeunterricht angeboten. Die Regierungen haben in diesen Bereichen ihre Ausgaben in den eigenen Ländern aufgestockt.

IPS: Welche Rolle wird UNFPA in der globalen Initiative 'Education First' von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon spielen?

Osotimehin: Die Rolle von UNFPA in dieser Initiative wird darin bestehen, die einzigartige Perspektive hervorzuheben, die wir für die Bildung vorsehen, zum einen bezogen auf die Bildung für Mädchen, die wichtig für die Entwicklung der jeweiligen Länder ist. Zudem insistieren wir auf einer umfassenden Erziehung, die auch die Sexualkunde einschließt, und sprechen auch weiterhin über die Stärkung der Rechte junger Menschen. Sie sollen von uns die Fertigkeiten erlernen, mit denen sie effizient an der Entwicklung ihrer Länder mitwirken können. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.unfpa.org/public/
http://www.globaleducationfirst.org/
http://www.ipsnews.net/2012/09/qa-women-and-girls-must-be-front-and-centre/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2012