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FRAGEN/014: Bildungskonzept "Globale Bürger" - Interview mit UN-Botschafter Hahn Choong-hee (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Juni 2015

Bildung: Bessere Schüler, bessere Bürger, bessere Welt - Interview mit UN-Botschafter Hahn Choong-hee

von Valentina Ieri


Bild: © Mark Garten/UN

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon (rechts) mit UN-Botschafter Hahn Choong-hee
Bild: © Mark Garten/UN

NEW YORK (IPS) - In einer Welt, in der Frieden und Gerechtigkeit von sozialer und religiöser Intoleranz, zahlreichen Konflikten, gewaltverherrlichendem Extremismus und ökologischer Degradation bedroht werden, suchen die Vereinten Nationen nach Rezepten zur Förderung von Stabilität und nachhaltiger Entwicklung.

In diesem Jahr wird der Entwicklungsfahrplan der Weltgemeinschaft für die kommenden 15 Jahre beschlossen. 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) sollen an die Ende des Jahrs ablaufenden acht Millenniumsziele (MDGs) anschließen.

Angesichts der immensen Herausforderungen, mit denen sich die Menschheit des 21. Jahrhunderts konfrontiert sieht, werben die Vereinten Nationen für die Umsetzung eines neuen Bildungskonzepts, durch das junge Leute auf ihre künftige Rolle als globale Bürger vorbereitet werden. Das Konzept soll in der sogenannten Post-2015-Entwicklungsagenda verankert werden, die im September in New York ratifiziert wird.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat mit seiner 2012 gestarteten Initiative 'Globale Bildung zuerst', mit 'Bildung zu globaler Bürgerschaft' (GCED) als einem ihrer Hauptpfeiler, der Diskussion über die Notwendigkeit neuer Bildungsformen Auftrieb gegeben. Unterstützung kam von der Weltkulturorganisation UNESCO, die inzwischen eine Pro-GCED-Resolution verabschiedet hat. Auch in der Incheon-Erklärung über die Zukunft der Bildung zum Abschluss des Weltbildungsforums vom 19. bis 22. Mai in Seoul ist die Forderung nach einer GCED erhalten.

Im Interview mit IPS hat der ständige Vizevertreter Südkoreas bei den Vereinten Nationen, Hahn Choong-hee, die Relevanz der GCED als Instrument zur Sicherung einer friedlichen Welt betont. Das Gespräch fand am Vorabend eines Seminars am 15. Juni in der südkoreanischen Hauptstadt statt, das von der ständigen Vertretung Koreas bei den Vereinten Nationen gemeinsam mit den ständigen Missionen der Vereinten Nationen, mit Nigeria, Katar, Frankreich, der UNESCO, internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen organisiert wurde. Ziel der Veranstaltung war es, das GCED-Prinzip zu bewerben.

Es folgen Auszüge aus dem Interview:


IPS: Was ist unter Bildung zu globaler Bürgerschaft zu verstehen?

Hahn Choong-hee: Im Allgemeinen werden die funktionalen Aspekte der Bildung wie der Schulbesuch und Bildungsinputs zur Vorbereitung junger Menschen auf ihr künftiges Berufsleben betont. Doch das neue Rahmenwerk legt den Schwerpunkt auf Orientierung.

Bei der GCED stehen drei Aspekte im Vordergrund. Zum ersten geht es um den Sinn des Daseins: junge Menschen sollen von Kindesbeinen an zu globalen Bürgern erzogen werden. Sie sollen auf die künftigen Herausforderungen wie Klimawandel, Intoleranz und einen gewaltverherrlichenden Extremismus vorbereitet werden.

Zweitens geht es darum, ihnen ein Verantwortungsbewusstsein zu vermitteln und ihnen bewusst zu machen, dass globale Bürgerschaft ein Privileg ist. Die GCED zielt auf die Anerkennung der multikulturellen Vielfalt und des gegenseitigen Respekts. Es geht um die Vermittlung wahrer Werte, Demokratieverständnis und Menschenrechte. Drittens geht es um Mitgefühl und Empathie.

Revolutionär an der GCED ist der ganzheitliche Bildungsansatz. Es geht nicht mehr vordergründig darum, dass Schüler von einer Klassenstufe in die nächste gelotst werden, damit sie irgendwann einer Arbeit nachgehen. Dieser Ansatz ist besonders wichtig, weil er das Rüstzeug zur Bewältigung der komplexen Herausforderungen ist.

Ein weiteres wichtiges Element der GCED ist die Inklusion. Hass und Gewalt entstehen aus einem Gefühl der Isolation heraus, aus einem Mangel an Verbundenheit. Es gilt Inklusion unter Einbeziehung der unterschiedlichen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aspekte zu lehren: auf diese Weise werden die Menschen sich respektiert fühlen und eine aktive Rolle in der Gesellschaft spielen.

IPS: Warum hat Südkorea die Führung bei der GCED übernommen?

Hahn: Das hängt mit der rasanten Entwicklung Koreas in den letzten 20 Jahren zusammen. Wir haben im Verlauf unserer Geschichte sehr viel Armut erlebt. Doch indem wir in Bildung investiert und demokratische Werte befördert haben, konnten wir uns entwickeln.

Heute ist Korea ein multikulturelles, multiethnisches und multireligiöses Land. Die Menschenrechte werden respektiert. Christen, Muslime, Konfuzianer und Buddhisten leben friedlich zusammen. Wir sind ein gutes Vorbild, was Bildung, Toleranz und Frieden angeht. Aus diesem Rollenbild heraus würden wir gern zur GCED beitragen. Wir möchten zu einer unvoreingenommenen und vorurteilsfreien Bewusstseinsbildung beitragen.

IPS: Warum soll die GCED in der UN-Post-2015-Agenda verankert werden?

IPS: Es ist an der Zeit, sich die Frage zu stellen, wie und warum die UN die neuen SDGs vorantreiben. Für die UN haben die Würde der Menschen und des Planeten sowie Gerechtigkeit und Wohlstand Priorität. Das sind wertebezogene Ziele und Zielsetzungen.

Die UN-Agenda gründet auf den drei Säulen Frieden und Sicherheit, nachhaltige Entwicklung und Menschenrechte. Meiner Meinung sind Bildung und GCED die Verbindungsstücke. Die GCED macht Frieden und Sicherheit möglich durch die Förderung von Toleranz und Verantwortlichkeit, nachhaltige Entwicklung durch Inklusion und Gleichheit, und die Umsetzung der Menschenrechte durch die Einsicht, dass Menschsein ein Privileg ist sowie demokratische Werte.

IPS: Welche Methodologie soll bei der GCED zum Einsatz kommen?

Hahn: Globale Bildung erfordert die Partizipation verschiedener Akteure. Nicht nur Lehrer und Schüler, sondern auch globale Sozial-, Wirtschafts- und Kulturexperten sowie NGOs und Jugendgruppen sollen einbezogen werden.

Grundlage der GCED sind nicht Schulbücher, sondern Diskussionen und die Teilnahme aller Schüler am Unterricht. Wir brauchen neue audio-visuelle Methoden und partizipatorische Ansätze wie Feldforschung und Austauschprogramme.

Wir brauchen ein neues System, das frischen Wind in die Klassenräume bringt und substanziell zu Frieden und Sicherheit beiträgt.

Bei der GCED geht es nicht um die bloße Vermittlung von Wissen und westlichen Werten. Ganz im Gegenteil steht Einschließlichkeit im Vordergrund. Erstrebenswert ist die Suche nach einem gemeinsamen Nenner der Entwicklungs- und Industrieländer.

Da jedoch viele Kinder immer noch keinen Zugang zu Bildung haben, ist es wichtig, dass die GCED Finanzierungsmöglichkeiten erschließt und konkrete Umsetzungsmaßnahmen verfolgt. Die GCED sollte zudem partizipatorisch sein und auf gemeinsame Inhalte abheben.

Damit das gelingen kann, ist die Hilfe des Privatsektors unerlässlich. Wir brauchen die Unternehmen, um die Informations- und Kommunikationstechnologien mit Hilfe des Internets, von Computern und Mobiltelefonen in die entlegensten Winkel der Welt zu bringen. In Korea führen wir mit Unterstützung von Privatunternehmen wie 'Samsung' Bildungsprojekte durch.

IPS: Was sind die größten Herausforderungen für die GCED?

Hahn: Leider gibt es riesige Finanzlücken und Ungleichheiten zwischen den Ländern.

Kürzlich wurde der Vorschlag zur Einrichtung eines globalen Bildungsfonds aufgebracht. Doch wird es angesichts der großen Konkurrenz durch den Grünen Klimafonds und anderen Fonds schwierig werden, ihn zu bestücken. Es gibt zudem die 'Globale Bildungspartnerschaft'. Dieser globale Fonds hilft den Entwicklungsländern dabei, das Ziel 'Bildung für alle' zu erreichen. Trotz aller Schwierigkeiten brauchen wir mehr Mittel, um dem Kapazitätenaufbau zu beschleunigen und den Entwicklungsländern den Zugang zu den neuen Medien zu erschließen.

Eine weitere Herausforderung stellt die Tatsache dar, dass viele Staaten der Bildung nicht die Bedeutung beimessen, die sie haben müsste. Das ist ein schwerwiegendes Problem. Solange die Behörden nicht ausreichend in die nationale Bildung investieren, wird sich Globale Bildung nicht erreichen lassen. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor bei der Entwicklung einer ethischen 'Corporate Social Responsibility' (CSR) dringend erforderlich. (Ende/IPS/kb/16.06.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/06/qa-better-students-better-citizens-better-world-education-is-the-key-to-peace/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2015

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