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KONFERENZ/164: Absurdes Theater um Frauenrechte (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 112, 2/10

Absurdes Theater um Frauenrechte
Peking+15 ist ein Gipfel der Ernüchterung

Von Christa Wichterich


Vom 1. bis 12. März überprüfte in New York die UN-Frauenrechtskommission (FRK) 15 Jahre nach der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking, wie weit die Regierungen mit der Umsetzung von Frauenrechten gekommen sind. Doch ihre Debatten sind festgefahren, neuer Schwung für Gleichstellung zeichnete sich nicht ab, und die angereisten Vertreterinnen von Frauenorganisationen waren empört, dass sie auf einen Mangel an Zugängen, Partizipation und Transparenz trafen. Eva-Britt Svensson, die schwedische Leiterin der Gleichstellungskommission des EU-Parlaments, sprach von einem "Gipfel der Ernüchterung".


Mit dem Clou der Sitzung wartete die FRK gleich zu Beginn auf: am zweiten Tag verabschiedete sie einmütig und ohne Diskussion die bereits zuvor beschlossene Abschlusserklärung. Diese bestätigt mit den identischen Worten der Abschlussdeklaration von 2005 die Aktionsplattform von Peking, die Regierungen gratulieren sich selbst zu den Fortschritten und fordern sich gegenseitig zu weiteren Bemühungen um Gleichstellung auf. Seit nunmehr zehn Jahren begründen sie diesen Stillstand damit, dass jede Öffnung des Peking-Dokuments aufgrund der reaktionären Positionen verschiedener konservativer und religiöser Kräfte lediglich Rückschritte bringen würde.

Im Jahr 2000 berichteten die Regierungen über nationale Aktionspläne zur Umsetzung und über neu eingerichtete Gleichstellungsstellen in der Verwaltung. 2005 lag das Schwergewicht auf Gesetzesänderungen, mit denen sie bürgerliche und politische Rechte von Frauen stärken und sie vor Gewalt schützen wollten. Die deutlichsten Fortschritte gab es bei der Bildung und im Beschäftigungssektor. Inzwischen nahmen immer mehr Regierungen das Thema Gender als Versatzstück in ihre Rhetorik und Programmatik auf. Doch es klafft eine große Lücke zwischen frauenfreundlichen Gesetzen, Aktionsplänen und politischen Willenserklärungen und ihrer Umsetzung.


Enttäuschende Bilanz

Aus den ernüchternden Bilanzberichten der UN geht hervor, dass die Strategien, Instrumente und Indikatoren zur Beseitigung von Frauenarmut, Gewalt und Diskriminierung völlig unzureichend sind. Der Skandal, dass die Müttersterblichkeit im globalen Süden seit der Peking-Konferenz nicht signifikant gesenkt werden konnte, steht exemplarisch für das Versagen.

Sieben Resolutionen wurden am Ende verabschiedet. Zu HIV/AIDS und Müttersterblichkeit wird fast jedes Jahr eine Resolution formuliert, mit nur graduellen Verbesserungen. Und alle Jahre wieder kommt es zu einer heftigen Kontroverse zwischen konservativen und fortschrittlichen Staaten über die Sexualaufklärung von Jugendlichen und die Selbstbestimmungsrechte von Frauen über ihren Körper bzw. ein Recht auf Abtreibung. In der EU blockiert das kleine katholische Malta jeden Fortschritt zu reproduktiven und sexuellen Rechten, häufig assistiert von Polen und Irland. Dem stehen die skandinavischen Länder, die Niederlande und Belgien mit progressiven Positionen auch zu LGBT-Rechten (Lesbian, Gay, Bisexuel, Transgender) als Gegenpol gegenüber.

Große Hoffnungen richteten sich darauf, dass die FRK Konkretes zum Aufbau einer "Gender-Einheit" bei den UN beschließen würde, in der die vier bisher unverbunden agierenden Frauenorganisationen, UNIFEM (United Nations Development Fund for Women), INSTRAW (UN International Research and Training Institute for the Advancement of Women), DAW (Division for Advancement of Women) und OSAGI (Office of the Special Advisor for Gender Issues), zusammengelegt werden sollen.

Doch die dazu von 18 Ländern eingebrachte Resolution begrüßt lediglich in einem einzigen dürren Satz die Einrichtung der neuen Institution, die von einer UN-Unter-Generalsekretärin geleitet werden soll. Nicht einmal ein Formulierungsvorschlag "so schnell wie möglich" konnte sich durchsetzen. Während die Erwartungen an Synergieeffekte und die hochrangige Leitungsstelle hoch sind, müssen die Strukturen, der Zeitplan und die Finanzierung dieser Einheit noch ausgehandelt werden. Auch wenn diese neue Stelle eine Aufwertung von Frauen- und Genderthemen bei den UN bringen könnte, wird sie allein nicht alle Probleme mit Frauenrechten und Geschlechtergleichheit bei den UN lösen können.

Auch viele Länder des Südens wollten sich nicht fortschrittlich positionieren. Sie fürchten, weil viele Hilfsmaßnahmen in der Krise erneut an Bedingungen gebunden werden, dass Frauenrechte als neue Konditionalität eingeführt werden könnten. Dies war - neben konservativ und religiös motivierten Widerständen - ein weiterer Grund für die Probleme bei der Konsensfindung.


Neue Exklusion zivilgesellschaftlicher Organisationen

8000 Vertreterinnen von Frauenorganisationen aus aller Welt hatten sich registriert, um an den Peking+15-Veranstaltungen in New York teilzunehmen. Sie trafen auf eine Vielfalt längst überwunden geglaubter Probleme und auf die Tatsache, dass es immer noch keine gesicherten Formen der Partizipation und Kanäle zur Einflussnahme auf Entscheidungen gibt. Im Gegenteil: in diesem Jahr war dies in New York noch weniger möglich als zuvor.

Siebenstündige Wartezeiten bei der Registrierung, Zugangsbeschränkungen zu vielen Veranstaltungen und zu kleine Räumlichkeiten wegen UN-Renovierung wirkten zusammen mit den intransparenten Verfahren und der vorgefertigten Abschlusserklärung der CSW wie ein Versuch, die NGOs zu demotivieren. "Wir fühlen uns und unsere Anliegen missachtet", schrieben Vertreterinnen internationaler Gewerkschaften in einem Protestbrief an den UN-Generalsekretär.

Die starke Präsenz z. B. von Afrikanerinnen zeigte, dass die Aktionsplattform von Peking vor allem in Ländern des Südens immer noch als Berufungsgrundlage und normative Richtlinie für Regierungsverantwortung dient. Aktivistinnen, NGO-Vertreterinnen, Wissenschaftlerinnen kamen mit einem Gefühl der "Ownership" in Bezug auf die Aktionsplattform nach New York: sie hatten sie vor und in Peking erkämpft und streiten seitdem für ihre Umsetzung von der lokalen bis zur globalen Ebene.

Die Aktionsplattform sehen sie als Vision "einer Transformation von Machtverhältnissen ... von sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit, Entwicklung und Frieden. 15 Jahre später betrachten die Regierungen sie offenbar als technisches Instrument, und ihre Substanz wurde entpolitisiert und verwässert" heißt es in einem "Civil Society Statement", das, angestoßen von WIDE (Women in Development Europe), in der ersten Woche veröffentlicht und in kurzer Zeit von über 100 Frauenorganisationen weltweit unterzeichnet wurde.(1)


Aufbruch von unten

Zentrales Anliegen der NGOs war, sich den Peking-Prozess nicht aus der Hand nehmen zu lassen bzw. ihn nicht den langsam mahlenden Mühlen von Verwaltungen zu überlassen. Sie kamen nach New York, um Tempo zu machen, bei den Verhandlungen, bei der Umsetzung der Aktionsplattform und beim Aufbau der neuen UN-Gender-Einheit. Auch bei ihnen sind Konzepte und Instrumente umstritten. Durch die Krise ist der Ruf nach alternativen Wegen erneut lauter geworden, während die "Business and Professional Women" den Fokus auf Führungspositionen legen. Zumindest für Afrika plädiert die Entwicklungsexpertin Achola Pala aus Kenya dafür, beim informellen Sektor von Kleinbäuerinnen und Straßenhändlerinnen anzusetzen, um ein alternatives Wirtschaftsmodell aufzubauen.

Wenn Frauen von der Basis oder junge Frauen sich über ihre Initiativen und Kämpfe austauschten, hörte sich das eher nach erneutem Aufbruch als nach Stillstand an. Doch diese Peking+15-Sitzung verhinderte einmal mehr, dass der Aktivismus auf der lokalen Ebene sich in Schlagkraft auf der internationalen Ebene übersetzen kann. Es herrscht Ratlosigkeit, wie Frauenrechte auf der internationalen Ebene vorwärtsgebracht werden können, zumal durch die Krise die Finanzierung von Frauenorganisationen weiter ausgetrocknet wird. Die Vereinten Nationen haben jedenfalls aus frauenpolitischer Sicht weiter an Glaubwürdigkeit verloren.


Anmerkungen:
(1) http://62.149.193.1O/wide/download/Beijing15Statement_Final.pdf?idÍ1126

Zur Autorin:
Christa Wichterich ist Autorin und Beraterin in der Entwicklungspolitik. Sie ist aktives Mitglied von WIDE (Women in Development Europe). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Globalisierung, Frauenbewegung, Ökologie und Frauenarbeit. Sie lebt in Bonn.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 112, 2/2010, S. 30-31
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2010