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KONFERENZ/185: UNESCO-Konferenz in Paris debattiert über Anschlag auf 'Charlie Hebdo' (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Januar 2015

Medien - UNESCO-Konferenz in Paris debattiert über Anschlag auf 'Charlie Hebdo'

von A. D. McKenzie



Paris, 19. Januar (IPS) - Nach dem Terroranschlag auf die Redaktion des Pariser Satiremagazins 'Charlie Hebdo', der zwölf Menschen das Leben kostete, tobt in Frankreich und anderen Ländern eine hitzige Debatte über die Meinungs- und Pressefreiheit. Die Vertreter der einen Fraktion halten die freie Meinungsäußerung als unveräußerliches Menschenrecht und Eckpfeiler der Demokratie hoch. Die Vertreter der anderen Seite nehmen unterschiedliche Positionen ein. Dazu gehört die Ansicht, dass Freiheit mit Verantwortung aller gesellschaftlichen Sektoren einhergehen muss.

"Es beunruhigt mich, wenn Leute sagen, dass wir uns in einem Kriegszustand befinden", meinte John Ralston Saul, Präsident des Schriftstellerverband[s] 'PEN International', auf der Konferenz 'Journalismus nach Charlie', die die Weltkulturorganisation UNESCO am 14. Januar in der französischen Hauptstadt veranstaltet hatte.


Demokratie erfordert "dickes Fell"

"Gegen Fundamentalisten Krieg zu führen, bringt nichts", betonte er. Seiner Meinung nach muss Erziehung im Sinne der freien Meinungsäußerung möglichst in sehr jungen Jahren stattfinden, damit die Menschen darauf vorbereitet werden, dass das Leben in Demokratien ein "dickes Fell" erfordert.

Die Vereinigung, die sich für Meinungsfreiheit und für Autoren einsetzt, die in ihren eigenen Ländern zum Schweigen gebracht werden, hat den Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo am 7. Januar scharf verurteilt. Zugleich warnte sie die Politik davor, den Schutz der Meinungsfreiheit als Vorwand zu missbrauchen, um die Überwachung auszuweiten.

Saul berichtete, dass PEN International in den vergangenen 14 Jahren in westlichen Ländern eine Beschneidung der Meinungsfreiheit beobachtet habe, unter der sowohl Autoren und Journalisten als auch normale Bürger zu leiden hätten.

Charlie Hebdo war erstmals 2006 bedroht worden, als das Magazin die umstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen veröffentlichte. 2011 folgte ein Brandanschlag auf die Redaktion, nachdem ein Heft auf den Markt gekommen war, das ebenfalls die Öffentlichkeit polarisierte. Während Kritiker dem Blatt Islamfeindlichkeit und Rassismus vorwarfen, beriefen sich die Karikaturisten auf das Recht der freien Meinungsäußerung, Personen des öffentlichen Lebens wie Politiker und Islamführer durch den Kakao zu ziehen.

Vor dem Anschlag war die Auflage von Charlie Hebdo rückläufig, offenbar auch deshalb, weil viele Leser sich von den Karikaturen abgestoßen fühlten. Nach dem Massaker, dem auch vier Redaktionsmitglieder zum Opfer fielen, erhält das Magazin eine breite moralische und finanzielle Unterstützung.

Auch wenn der Anschlag auf das Magazin auf der UNESCO-Konferenz einhellig verurteilt wurde, forderten einige Teilnehmer die Medien zu mehr Verantwortungsbewusstsein auf, vor allem in der Darstellung von Minderheiten und gesellschaftlichen Randgruppen.

Die Medien sollten eine Vermittlungsrolle einnehmen und die Verbreitung von Stereotypen unterlassen, forderte die französische Senatorin Bariza Khiari auf der Konferenz. Die meisten Anhänger des Islams seien friedliebende Muslime, die die säkularen Werte der Länder, in denen sie lebten, respektierten.

"Wir müssen die Existenz und die Bedeutung der Religion anerkennen, solange uns die Religion keine Gesetze diktiert", erklärte Khiari. Die Radikalisierung junger Franzosen führte sie auf die schwierigen sozialen Bedingungen im täglichen Leben und auf die Erniedrigungen zurück, die diese erdulden müssten.

Annick Girardin, Staatssekretärin für Entwicklung und Frankophonie, definierte Demokratie als politisches System, das Zeitungen gleich welcher religiösen oder politischen Überzeugung erlaube, zu publizieren. Wer sich beleidigt fühle, habe die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten. Gleichwohl räumte sie ein, dass nicht alle Menschen in die französische Gesellschaft integriert seien.

Die UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokowa erklärte auf der Veranstaltung, dass es an der Zeit sei, dass die Vereinten Nationen und vor allem ihre Organisation mehr unternehmen müssten, um den Schutz von Journalisten zu gewährleisten. Das bloße Bekenntnis zu Meinungsfreiheit sei unzureichend.


Mit Bildung Ignoranz überwinden

An der Pariser Konferenz nahmen neben Journalisten und Karikaturisten auch Vertreter jüdischer, muslimischer und christlicher Gemeinden teil. Sie forderten die französische Regierung auf, junge Menschen besser für die unterschiedlichen säkularen und religiösen Werte zu sensibilisieren und Wege zum Zusammenleben in immer heterogeneren Gesellschaften aufzuzeigen.

"Ignoranz ist die größte Massenvernichtungswaffe. Wenn Ignoranz das Problem ist, wird Bildung die Antwort sein", sagte der aus dem Iran stammende Wissenschaftler Nasser David Khalili, der in London lebt. (Ende/IPS/ck/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/01/press-looks-at-future-after-charlie/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2015


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