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ORGANISATION/544: 2015 soll Geschichte schreiben, Experten warnen vor allzu großem Optimismus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Februar 2015

UN: 2015 soll Geschichte schreiben - Experten warnen vor allzu großem Optimismus

von Thalif Deen


Bild: © Mark Garten/UN

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bei der Eröffnung des hochrangigen Abendessens 'Making 2015 a Historic Year' während des Weltwirtschaftsforums in Davos am 23. Januar 2015
Bild: © Mark Garten/UN

New York, 12. Februar (IPS) - Die Vereinten Nationen bewerben 2015 als ein Jahr, in dem die Staats- und Regierungschefs der Welt Geschichte schreiben könnten. Hintergrund ist die Vielzahl essenzieller und durchaus existenzieller Entscheidungen, die in den kommenden Monaten in Fragen der Entwicklungsfinanzierung, des Klimawandels, des Katastrophenschutzes und der atomaren Nichtverbreitung getroffen werden müssen.

Zudem steht der 70. Geburtstag der Weltorganisation und der 20. Jahrestag der Weltfrauenkonferenz an, die die Geschlechtergerechtigkeit weltweit gestärkt hat.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hatte in seinem im Dezember veröffentlichten Bericht 'The Road to Dignity by 2030: Ending Poverty, Transforming All Lives and Protecting the Planet´ betont, dass 2015 das Jahr des Handelns sein werde. Und tatsächlich stehen mehrere hochkarätige Veranstaltungen an: etwa die Dritte Weltkonferenz zur Verringerung der Katastrophengefahr in Sendai im März, die Revisionskonferenz des Atomwaffensperrvertrags in New York im Mai/Juni und die Dritte Internationale Konferenz für Entwicklungsfinanzierung (FfD) in Addis Abeba im Juli.

Vor Journalisten hat Ban in der ersten Februarwoche erklärt: "Wie ich schon des Öfteren betont habe, müssen wir unser Bestes geben, damit wir die Millenniumsentwicklungsziele [bis Ende 2015) erreichen können. Danach sind die Mitgliedstaaten gefragt, dafür zu sorgen, dass die Post-2015-Entwicklungsagenda bis September steht."

"Die UN werden vom 25. bis 27. September einen entsprechenden Sondergipfel einberufen, und wir erwarten, dass die meisten Staats- und Regierungschefs anwesend sein werden, um die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) zu besprechen, anzunehmen und sie zu ihrer Vision von einer Welt bis 2030 zu erklären", meinte er. Und dann gelte es im Dezember in Paris ein universelles und bedeutsames Klimaabkommen zustande zu bringen. Der 70. Jahrestag der Weltorganisation sei in jeder Hinsicht ein guter Anlass, "um über unsere Erfolge und Rückschläge nachzudenken".

Doch Jim Paul, Geschäftsführer des auf UN-Fragen spezialisierten 'Global Policy Forum' mit Sitz in New York, ist skeptisch, was die erhofften Erfolge angeht, die die bevorstehenden Konferenzen bringen sollen. "Die Vereinten Nationen erwecken den Eindruck, als könnten die globalen Treffen im laufenden Jahr wahre Wendepunkte einleiten, doch die tatsächlich zu erwartenden Erfolge dürften angesichts der vielen Störfaktoren weit hinter die Rhetorik des Generalsekretärs und seines Teams zurückfallen", fürchtet er.

Paul räumt zwar ein, dass sich die UN-Gipfel mit den dringlichsten Weltproblemen befassen. Doch würden einflussreiche Mitgliedstaten wie die USA die Veranstaltungen wie schon so oft zu schwächen versuchen und starke Ergebnisse verhindern.

Ein solcher Trend sei bereits in den 1990er Jahren zu beobachten gewesen, so Paul. Damals habe Washington damit begonnen, die Gipfeltreffen als zu teuer und zu weitreichend zu kritisieren. Zudem erinnert der Experte an das Gipfeltreffen von 2005, als die USA in letzter Minute eine Überarbeitung des übereingekommenen Abschlusstextes verlangt hatten.

Als weiteres Problem nannte der die Unverbindlichkeit der erzielten Verhandlungsergebnisse. Zum Abschluss großer Foren warte man gern mit vielversprechenden Dokumenten auf. Manchmal falle sogar das Wort 'verbindlich'. Doch letztendlich sei allen Teilnehmern klar, dass die Ergebnisse optional seien und kein wirksames politisches Programm bedeuteten, an das sich alle halten müssten. Dies wiederum führe häufig zu zynischen Äußerungen von Seiten von Diplomaten, sich über die Nutzlosigkeit der UN zu ereifern. Dabei seien sie selbst die großen Bremser.

Auf einer Pressekonferenz im Dezember hatte der Präsident der 193 UN-Mitgliedstaaten, Sam Kutesa, erklärt, "dass wir 70 Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen vor der wirklich historischen Chance stehen, einem inspirierenden Fahrplan zuzustimmen. [...] Wir müssen die Chance unbedingt ergreifen", forderte er.

Wie Chee Yoke Ling, Programmleiterin des 'Third World Network' mit Sitz in Penang, betont, sind die SDGs zwar ein wichtiger Bestandteil der Post-2015-Entwicklungsagenda. "Dennoch sollten wir wirtschaftspolitische Fragen prioritär auf dem Entwicklungsgipfel behandeln."

Die finanzielle Instabilität halte an, während die Industriestaaten immer neue menschenverachtende und entwicklungsfeindliche Handelsvereinbarungen träfen, kritisiert sie. "Die Unverfrorenheit, mit der transnationale Investoren nationale Regierungen im Rahmen bilateraler Investitionsabkommen verklagen, hat in vielen Ländern Proteste ausgelöst und etliche Entwicklungsländer veranlasst, diese abgrundtief unfairen Abkommen zu überdenken oder gar aufzulösen."

Die Konferenz in Addis Abeba ist nach Ansicht der Entwicklungsexpertin ungemein wichtig, um die fundamentalen finanziellen und wirtschaftlichen Schieflagen anzugehen. Ohne Strukturreformen, die die nationale politische Sphäre respektieren und Stabilität garantieren, werde eine nachhaltige Entwicklung lediglich ein hehres Ziel bleiben.

Die UN müssten sich zudem dem Problem stellen, dass die Großmächte auf den Veranstaltungen stets den Kurs vorgeben wollten, um die eigenen Interessen durchzusetzen, so Paul. "Und wir dürfen die schwierigen politischen Zusammenhänge nicht vergessen, die uns in diesem Jahr erwarten. Die tiefe Klimakrise erfordert weitreichende Entscheidungen, die an den Festen der globalen Ordnung rütteln." Die Klimagasemissionen um 85 Prozent senken zu müssen, sei ein so radikales Ziel, das sich niemand vorzustellen vermöge geschweige denn an die Umsetzung wagen wolle.

Eine faire, stabile und globale Wirtschaftsordnung im Rahmen der SDG-Agenda zu schaffen, sei in einer globalen Wirtschaft, die gefährlich gestrauchelt sei und eine noch größere Ungleichheit geschaffen haben, nahezu unmöglich, meint er. Die Oligarchen dieser Welt seien kaum geneigt, Macht und finanzielle Mittel aufzugeben.

Doch Paul zufolge bedeutet dies nicht, dass die UN-Gipfel in diesem Jahr nutzlos wären. "Sie werden uns vor allem daran erinnern, dass die Weltmächte wie immer unverantwortlich handeln. Und dass wir eine Welt brauchen, die besser funktionieren muss als heute, wollen wir die Gefahren des 21. Jahrhundert überleben." (Ende/IPS/kb/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/02/u-n-touts-2015-as-milestone-year-for-world-body/

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IPS-Tagesdienst vom 12. Februar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2015

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