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RESOLUTION/017: "Bilanz der ungenutzten Möglichkeiten" - Zehn Jahre UN-Resolution 1325 (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Oktober 2010

Frauen: "Bilanz der ungenutzten Möglichkeiten" - Zehn Jahre UN-Resolution 1325


Berlin, 18. Oktober (IPS) - Die UN-Resolution 1325, die auf eine stärkere Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen abzielt, wird am 31. Oktober zehn Jahre alt. Doch Grund zum Feiern gibt es nicht. Es sei beschämend, dass gerade einmal 23 der 192 UN-Mitgliedsstaaten die Resolution umgesetzt hätten, kritisiert die Friedensaktivistin Ute Scheub in einer "Bilanz der ungenutzten Möglichkeiten".

Scheub ist Mitglied des Frauensicherheitsrates, ein 2003 gegründetes unabhängiges Netzwerk von Friedensforscherinnen, Friedensaktivistinnen und Frauen aus politischen Stiftungen und anderen Organisationen. Das Bündnis versteht sich als Lobby für die nationale und internationale Umsetzung von Resolution 1325, für eine geschlechtersensible Außen- und Sicherheitspolitik und für zivile statt militärischer Interventionen.

Im Gespräch mit IPS verweist sie auf eine Studie von UNIFEM aus dem Jahre 2009, wonach seit 1992 in insgesamt 21 Friedensprozessen - in Afghanistan, Bosnien, Burundi, Darfur, Kongo, Kosovo, Uganda und anderswo - nur 7,6 Prozent der Unterhändler und lediglich 3,2 Prozent der Mediatoren weiblich waren. In 14 Friedensgesprächen gehörten zu den Unterzeichnern nicht mal drei. Dabei sei die Resolution ein Schlüsselelement, um Kriege und Gewalt zu verhindern und Friedensprozesse nachhaltig und effizient zu gestalten, sagte Scheub im folgenden IPS-Gespäch.


IPS: Die Vereinten Nationen und ihre Mitgliedsstaaten hatten zehn Jahre Zeit, Resolution 1325 umzusetzen. Was hat sich getan?

Ute Scheub: Sehr wenig. Gerade einmal 23 von 192 UN-Mitgliedsstaaten - oder nur knapp zwölf Prozent aller Länder - haben die Resolution umgesetzt. Es sind dies Belgien, Bosnien, Chile, Dänemark, Elfenbeinküste, Finnland, Ghana, Großbritannien, Island, Kanada, Liberia, Niederlande, Norwegen, Österreich, Philippinen, Portugal, Ruanda, Schweden, Schweiz, Sierra Leone, Spanien und Uganda.

Einige weitere Länder sind in Vorbereitung eines Nationalen Aktionsplanes. Doch dazu gehört nicht Deutschland: Schon die rot-grüne Regierung unter Kanzler Schröder, später auch die schwarz-rote und nun die schwarz-gelbe unter Kanzlerin Merkel verwiesen nach entsprechenden Forderungen des Frauensicherheitsrates darauf, dass es schon zwei Aktionspläne gebe: den zur zivilen Konfliktbearbeitung und den gegen Gewalt an Frauen. Und das sei genug.

IPS: Und - ist das genug?

Scheub: Nein. Die verschiedenen deutschen Bundesregierungen haben 2004 und 2007 bisher zwei Berichte über ihre Maßnahmen zur Umsetzung von Resolution 1325 vorgelegt, ein dritter steht kurz vor der Veröffentlichung. Der Frauensicherheitsrat hat in zwei Schattenberichten diese Aktivitäten kritisch untersucht. Er kam zum Ergebnis, dass zwar viele Einzelinitiativen aufgelistet werden, aber keinerlei Systematik oder gar politische Strategie bei der Umsetzung erkennbar ist.

Das ist ein blamables Ergebnis. Andere Regierungen machen es wesentlich besser. So hat die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey unter anderem dafür gesorgt, dass sich eine Jahreskonferenz der Schweizer Botschafter - fast alles Männer - dem Thema 'Gender und Konflikt' gewidmet hat.

Man stelle sich nur mal einen Moment vor, dass der deutsche Außenminister sich diesem Thema mit Leidenschaft widmet, dass er die "spätrömische Dekadenz" und das widerwärtige Auftreten der männlichen Söldner und Sicherheitskräfte von Blackwater und Co in Afghanistan geißelt oder das Rotlichtmilieu in Bosnien oder Kosovo, das zur Bedienung der ausländischen Sicherheitskräfte entstanden ist.


IPS: Wie bewerten Sie das Engagement der Vereinten Nationen für die Resolution 1325?

Scheub: Ich finde es enttäuschend. Bisher wird die Resolution vom UN-Spitzenpersonal kaum genutzt oder anwendet. Auch hat sich der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon mit der Erwähnung der UN-Resolution ziemlich zurückgehalten.

Dass die Vereinten Nationen diese wichtige Resolution so stiefkindlich behandeln, hat System. In ihrer über 60-jährigen Existenz hatte die UN niemals eine Generalsekretärin an ihrer Spitze und gerade mal sieben Frauen auf den Posten von 'Sondergesandten des Generalsekretariats'. 2008 leitete nur eine Frau eine Friedensmission, die in Liberia, bloß sieben weitere waren Vizechefinnen von UN-Missionen. Auch in der rund 115.000 Personen umfassenden UN-Peacekeeping-Abteilung sind Frauen weiterhin eher selten. Nicht mal drei Prozent der UN-Militärs, nicht mal acht Prozent der UN-Polizisten und 30 Prozent der Zivilpersonals waren 2010 weiblich.

Zudem fallen männliche Blauhelme immer wieder durch sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen auf. Zwischen 2007 und 2009 wurden von den 450 bekannt gewordenen Fällen - der Spitze des Eisbergs - gerade mal 29 in irgendeiner Weise geahndet. Auch das Versprechen, alle Friedensmissionen mit Geschlechterberaterinnen und -beratern auszustatten, wurde bisher nicht umgesetzt, 2008 gab es nur zwölf derartige Vollzeitstellen in Friedensmissionen.

Allerdings gibt die seit vielen Jahren überfällige und endlich vorgenommene Gründung der UN-Frauenorganisation Grund zu Hoffnung.

IPS: Wie sieht es bei den EU-Missionen aus?

Scheub: Trotz einer Reihe von Erklärungen und Verpflichtungen auf geduldigem EU-Papier sieht es auf der praktischen Ebene kaum besser aus. In einer Studie für den Rat der Europäischen Union verneinte die Konfliktforscherin Johanna Valenius die Frage, ob die EU bei ihrer militärischen und zivilen Mission in Bosnien seit 1995 geschlechtersensibel vorgegangen sei. Erstens habe die Anwesenheit der 'Internationalen' die Sexindustrie zum Blühen gebracht. Zweitens seien kaum weibliche Militärs oder Polizisten eingesetzt worden, sodass die EU die Chance verpasst habe, der Bevölkerung neue Rollenmodelle vorzuleben. Zudem hätten viele Frauenorganisationen den Auftritt des EU-Personal als "arrogant" und "kolonial" empfunden. Aber, so schreibt Valenius: "Wenn die EU selbst nicht praktiziert, was sie predigt, verliert sie Glaubwürdigkeit und Effektivität."

IPS: Sie erwähnten Liberia als Land, das die UN-Resolution 1325 implementiert. Können Sie Beispiele geben?

Scheub: Dazu müsste ich ein wenig ausholen. Vielleicht erinnern Sie sich: Ein Netzwerk von Frauenorganisationen kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung für Frieden, als Liberia und seine angrenzenden Regionen von 1989 bis 2003 von einem Bürgerkrieg heimgesucht wurde. Rund 250.000 Menschen starben, etwa drei Viertel aller Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt.

Tausende von Frauen - Christinnen und Musliminnen - beteten und demonstrierten gemeinsam, sammelten sich vor dem Präsidentenpalast in Monrovia und protestierten schweigend, in weißen T-Shirts, gegen die Kriegsgewalt. Sie schlossen sich mit Frauen aus Sierra Leone und Guinea zusammen und schafften es, Staatsmänner an den Verhandlungstisch zu bringen. Angeführt von Leymah Gbowee, umzingelten sie 2003 das Haus der verhandelnden Männer. Sie drohten ihnen, sie nicht mehr herauszulassen, bis sie ein Friedensabkommen erreicht hätten. Das war faktisch das Ende des Krieges.

Wenn Sie so wollen, haben die Frauen ihr Mitspracherecht im liberianischen Friedensprozess durchgesetzt. Sie ließen auch danach nicht locker. Sie halfen bei der Entwaffnung und Demobilisierung der Rebellengruppe und kämpften für eine Frauenquote von 30 Prozent im Parlament - in der Folge erhielt Etweda Cooper einen 1325-Award. Und die Frauen bereiteten den Boden für die 2005 erfolgte Wahl der ersten weiblichen Präsidentin in Afrika, Ellen Johnson-Sirleaf.

Als eine ihrer ersten Amtshandlungen erließ die Staatschefin ein scharfes Gesetz gegen Vergewaltigung. Die Präsidentin sorgte zudem für die Einbeziehung von Frauen in die wiederaufzubauenden Staatsorgane und machte sich national wie international für die Umsetzung der Resolutionen 1325 stark; ein Nationaler Aktionsplan zur Umsetzung wurde am 8. März 2009 verabschiedet. Ein rein weibliches indisches Polizeibataillon bewacht im Rahmen der dortigen UN-Friedensmission die Sicherheit in der Hauptstadt Monrovia und kümmert sich um die Rekrutierung von Polizistinnen.

IPS: Sie sagen von sich gern, dass Sie am liebsten gute Nachrichten verbreiten ...

Scheub: Ja, das stimmt. Aus diesem Grund liegt mir auch ein besonderes Projekt am Herzen, das die FriedensFrauen Weltweit, deren Westeuropa-Koordinatorin ich bin, zusammen mit anderen deutschen Nichtregierungsorganisationen anlässlich des zehnten Jahrestages durchführen werden. Es nennt sich Visionews und ist eine Datenbank mit Erfolgsgeschichten, die von professionellen Journalisten und Reporterinnen geschrieben wurden, und inspirierenden Friedensvisionen aus aller Welt. Daher die Bezeichnung Visionews. Der Pool wird am 10. Jahrestag der Resolution 1325 am 31. Oktober um 13:25 freigeschaltet.

IPS: Zum Abschluss die Frage: Wie sehen Ihre Friedensvisionen aus?

Scheub: In Visionews wird auch ein Szenario von mir zu finden sein. Ich träume immer noch von einer Welt ohne Waffen, ohne Gewalt, ohne Ungerechtigkeit. Sie zu erreichen, erscheint zwar fast hoffnungslos, aber prinzipiell ist sie möglich.

Ein Kernelement ist der Abbau aller Machtungleichgewichte zwischen Menschen. Und der erste und wohl prägendste Machtunterschied, den wir schon als Kleinkinder in der Familie erleben, ist der zwischen Männern und Frauen. Er ist die Urform von Hierarchie und bahnt die Spur für alle weiteren Diskriminierungen in unseren Gesellschaften.

Unzählige Studien weisen inzwischen darauf hin, dass die Besserstellung der Frauen ein Schlüsselelement für Frieden, Ökologie, Wohlstand und Entwicklung ist und allen Gesellschaftsmitgliedern zugute kommt. Wer als Mann Frauen unterdrückt, schadet sich letztlich selbst. Das Patriarchat ist extrem ungesund - für beide Geschlechter. In frauenfreundlicheren Gesellschaften leben auch die Männer eindeutig glücklicher, gesünder und länger. (Ende/IPS/kb/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2010