Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → UNO


UN-REPORT/089: Kritik im Umgang mit Whistleblowern - Schweigen ist alles, was ihnen bleibt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Oktober 2015

UN: Schweigen ist alles, was ihnen bleibt - UN-Report kritisiert Umgang mit Whistleblowern

von Julia Krämer


New York/Berlin (IPS) - Regierungen und internationale Organisationen bieten Whistleblowern keinen ausreichenden Schutz, kritisiert ein neuer Bericht des UN-Sonderberichterstatters für freie Meinungsäußerung David Kaye. "Informanten und Whistleblower werden überall auf der Welt von Vorgesetzten, Mitarbeitern oder Behörden eingeschüchtert und gegängelt, damit ja keine kritischen Informationen an die Öffentlichkeit geraten", so Kaye.

Um sich selbst zu schützen bliebe den Informanten häufig keine andere Möglichkeit als zu schweigen - mit negativen Folgen für die Gesellschaft: "Dadurch gelangen brisante Informationen nicht ans Tageslicht, und Fehlverhalten bleibt straffrei", sagte Kaye vor dem Sozialkommittee der UN-Generalversammlung. Häufig würden Whistleblower im eigenen Unternehmen stigmatisiert, sollten aber vielmehr als eine Art "Ausfallsicherung" angesehen werden, die dann einspringt, wenn die regulären Mechanismen versagen. Denn schließlich decken sie Fehlverhalten des Arbeitgebers auf.

Für den Bericht 'Promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression' wurden nationale und internationale Rechtsnormen genauso untersucht wie die bestehende Praxis in den einzelnen UN-Mitgliedstaaten. "Versäumnisse beim Informantenschutz betreffen Journalisten und Blogger, Bürgerreporte, NGO-Mitarbeiter, Autoren, Wissenschaftler und viele andere", heißt es im Bericht. "Wie kann man investigativ arbeiten, wenn die Sicherheit fehlt, dass man den Quellen Vertraulichkeit zusichern kann?"


Kaye: Nicht alle Informationen müssen offen zugänglich sein

Sicherlich müsse der Staat in einigen Fällen auch den Zugang zu Informationen beschränken, so Kaye. "Aber die Veröffentlichung von brisanten Daten zu Menschenrechtsfragen darf niemals zu einer Strafverfolgung führen", forderte er. Der Bericht verweist auch auf Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der das Recht auf Zugang zu Informationen zum Inhalt hat. Regierungen, so der UN-Sonderberichterstatter, müssten immer das öffentliche Interesse an Informationen im Blick behalten, wenn sie Gesetze erlassen, die gewisse Informationen unter Verschluss halten sollen.

Der Bericht kritisiert auch die Organisation der Vereinten Nationen selbst. "Die UN hat - wie viele andere internationale Organisationen auch - interne Richtlinien erlassen, die Whistleblowing ermöglichen und Informanten schützen sollen." Doch tatsächlich versage auch die UNO häufig darin, Whistleblowern aus ihren eigenen Reihen ausreichenden Schutz zu gewähren.

"Die Regierungen müssen den Schutz von Whistleblowern ins Gesetz aufnehmen, um Klarheit zu schaffen, auf die sich alle Akteure beziehen können", forderte der Sonderberichterstatter.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch begrüßte den Bericht. "Geheime Dokumente an die Öffentlichkeit zu bringen ist oft der einzig effektive Weg, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen", sagte Dinah PoKempner von Human Rights Watch.

Die Organisation hat pünktlich zur Veröffentlichung des UN-Berichts ein Video online gestellt, in dem sie die Whistleblower Edward Snowden und Kathryn Bolkovac zu Wort kommen lässt. Snowden hatte erstmals geheime Dokumente an Journalisten weitergegeben, die den weltweiten NSA-Spionageskandal aufdeckten. Snowden lebt seitdem in Russland, um vor den US-Behörden sicher zu sein, die ihm Geheimnisverrat vorwerfen. Bolkovac hatte bereits Anfang der 2000er Jahre als Polizeiausbilderin in Bosnien aufgedeckt, dass Angehörige der UN-Friedensmission in Bosnien für Prostituierte bezahlten, die durch Menschenhandel zur Sexarbeit gezwungen wurden.

Im Video von HRW berichten Snowden und Bolkovac von den Hindernissen, die ihnen in den Weg gelegt wurden, als sie versuchten, die brisanten Informationen ans Licht zu bringen. Wenn die nationalen Regierungen die vom UN-Sonderberichterstatter vorgebrachten Forderungen umsetzen würden, würde dies das Leben von Whistleblowern um einiges erleichtern, sagte Snowden.


Kein Whistleblowerschutzgesetz in Deutschland

Der UN-Bericht geht auch auf die rechtliche Situation in Deutschland ein. Tatsächlich gibt es in der Bundesrepublik kein Gesetz zum Schutz von Whistleblowern. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage des Grünen-Fraktionsvizevorsitzendem Konstantin von Notz aus dem Jahr 2011 geht hervor, dass auch weiterhin kein Gesetz geplant ist. Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Koalition heißt es lediglich, man wolle prüfen, ob internationale Vorgaben zum Hinweisgeberschutz ausreichend umgesetzt seien.

Auf Kayes Anfrage an die Bundesregierung, welche Regelungen in Deutschland für den Whistleblowerschutz gelten, verweist diese unter anderem auf die Strafprozessordnung und das Beamtenrecht. Darin sei ausreichender Schutz für Hinweisgeber gewährt. Beamte seien geradezu verpflichtet, gesetzwidriges Verhalten in ihrer Umgebung zu melden.

Wie in Deutschland mit Whistleblowern umgegangen wird, zeigen unter anderem die Fälle von Inge Hannemann und netzpolitik.org. Als Mitarbeiterin des Jobcenters hatte Hannemann den Umgang des Amtes mit Beziehern von Arbeitslosengeld II kritisiert und war daraufhin entlassen worden. Die Bundesagentur für Arbeit wies die Vorwürfe zurück. Hannemann versuchte, die Entlassung gerichtlich rückgängig zu machen, scheiterte aber.

Netzpolitik.org war für die Veröffentlichung von Informationen aus einem Bericht des Verfassungsschutzes wegen Landesverrats vom Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz angeklagt worden. Daraufhin wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Nachdem dies an die Öffentlichkeit gelangt war, gab es harsche Kritik von Journalistenverbänden, viele Politiker solidarisierten sich und schließlich distanzierte sich auch Bundesjustizminister Heiko Maas von den Vorwürfen. Der Ermittlungen wurden eingestellt. (Ende/IPS/jk/26.10.2015)


Links:

http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/70/361
http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=52339#.VioJeZf1G1E
http://www.hrw.org/news/2015/10/22/un-report-protect-public-disclosures-wrongdoing
http://www.youtube.com/watch?v=9cPeQDyhICk&feature=youtu.be

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. Oktober 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang