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UN-REPORT/090: Menschenrechte - Zahl der Staatenlosen steigt an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. November 2015

Menschenrechte: Zahl der Staatenlosen steigt an

von Tharanga Yakupitiyage


Bild: © Kulsum Ebrahim/IPS

Wenn Kinder staatenlos geboren werden, wird ihnen häufig der Zugang zum Bildungssystem verweigert
Bild: © Kulsum Ebrahim/IPS

NEW YORK (IPS) - Alle zehn Minuten wird ein Kind geboren, das staatenlos aufwachsen muss, heißt es in einem Bericht, für den 250 staatenlose Kinder und Jugendliche in sieben Ländern befragt wurden. Der Bericht 'I Am Here, I Belong: The Urgent Need to End Childhood Statelessness' des UN-Flüchtlingshochkommissariats sieht Diskriminierung als Hauptursache dafür, dass Millionen von Kindern ohne Pass aufwachsen.

Für den Bericht wurden Kinder in der Dominikanischen Republik, in Georgien, Italien, Jordanien, Malaysia, Thailand und Côte d'Ivoire befragt. Es ist das erste Mal, dass eine so groß angelegte Studie zum Thema verwirklicht wurde.

27 Staaten der Welt haben Gesetze, die es Müttern verbieten, ihre Nationalität an ihre Kinder zu vererben. Stattdessen erhalten die Neugeborenen die Staatsangehörigkeit ihrer Väter - oder deren Staatenlosigkeit. Auch, wenn die Väter nicht ermittelbar sind, kann Kindern der Pass verweigert werden. Das ist unter anderem Amal passiert, die die libanesische Staatsbürgerschaft hat, aber einen staatenlosen neunjährigen Sohn. "Mein Kind ist nicht als Libanese eingetragen, weil schon sein Großvater väterlicherseits staatenlos war, und der hat seine Staatenlosigkeit an seinen Sohn vererbt, den Vater meines Kindes. Ich kann nichts für ihn tun - aber wenn sich seine Situation nicht ändert, dann hat er keine Zukunft."


Zugang zu Bildung und Gesundheit erschwert

Wenn Kinder nicht ins Staaten- oder Geburtsregister eingetragen werden, wird ihnen in mehr als 30 Ländern der Zugang zu medizinischer Versorgung verweigert. Der 15-jährige Pratap beispielsweise hatte sich beim Fußballspielen eine Verletzung zugezogen. Weil er zwar in Malaysia aufgewachsen ist, aber keinen Pass hat, hatte er Schwierigkeiten, ärztlich versorgt zu werden. "Ich war so sauer, weil mir niemand helfen wollte. Ist es meine Schuld, dass ich keine Staatsbürgerschaft habe? Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Wieso lässt man mich so leiden?"

Auch der Zugang zum Bildungssystemen wird staatenlosen Kindern erschwert. In Thailand und Italien beispielsweise können Staatenlose nicht reisen, wohin sie wollen und bleiben bei der Verteilung von Stipendien außen vor. "Ich bekomme immer gute Noten", erzählt die 15-jährige Parcharee aus Thailand, die dort ohne Pass lebt. "Aber wenn die Schule dazu aufruft, sich für ein Stipendium zu bewerben, kann ich nicht mitmachen, weil ich keinen thailändischen Ausweis habe." Was folgt sind Nachteile bei der Jobsuche.

Ähnlich geht es vielen Roma in Serbien. Viele flohen schon früh während des Kosovo-Konfliktes nach Serbien, gingen nicht zur Schule, lernten nicht lesen oder schreiben. So fanden sie keine Arbeit. Ohne Arbeit erhalten sie keinen festen Wohnsitz, können sich nicht anmelden, die Kinder können wiederum nicht in die Schule gehen. Medizinische Versorgung wird ihnen verweigert - und so sterben viele Kinder an eigentlich heilbaren Krankheiten.

Für das UNHCR stehen Kinder und Jugendliche ohne Pass unter großer psychischer Belastung. Gegenüber dem UN-Flüchtlingshochkommissariat beschrieben sie sich als "unsichtbar", "fremd" im eigenen Land und sogar "wertlos". Andere berichteten, dass sie sich zwar zu der Gemeinschaft, in der sie lebten, zugehörig fühlten, von dieser aber ausgegrenzt würden. So geht es beispielsweise der 16-jährigen Paloma aus der Dominikanischen Republik. "Ich fühle mich als Dominikanerin. Aber weil ich keine Dokumente habe, die das beweisen, sehen mich andere als weniger dominikanisch an."


Frustration und Verzweiflung dauern ein Leben lang an

Die psychischen Auswirkungen können Jahre andauern, warnte UN-Flüchtlingskommissar António Guterres bei der Vorstellung des Berichts am 3. November in New York. "In der kurzen Zeit, in der Kinder Kinder sein dürfen, kann sich Staatenlosigkeit so stark in ihre Psyche eingravieren, dass sie noch jahrelang davon verfolgt werden." Frustration und Verzweiflung manifestiere sich. Doch auch Diskriminierung halte häufig ihr Leben lang an. "Alle Kinder sollten dazugehören", forderte er.

Der Bericht forderte die internationale Gemeinschaft auf, Staatenlosigkeit zu beenden. Vier Schritte seien dazu notwendig: Kinder sollen grundsätzlich die Nationalität des Landes erhalten, in dem sie geboren werden, Gesetze müssen so verändert werden, dass Mütter ihre Nationalität an ihre Kinder weitergeben können, diskriminierende Gesetze müssen abgeschafft werden, die Menschen bestimmter Ethnien oder Religionszugehörigkeit verbieten, die Nationalität des Landes anzunehmen, in dem sie leben. Und schließlich müssen alle Kinder auf der Welt in Geburtenregister eingetragen werden.

Das Recht auf Nationalität ist in der UN-Konvention für das Recht der Kinder festgeschrieben. 194 Staaten haben diese Konvention ratifiziert. Das UNHCR geht dennoch davon aus, dass rund zehn Millionen Menschen weltweit staatenlos sind. Etwa ein Drittel von ihnen sind Kinder. 97 Prozent aller Staatenlosen leben in nur 20 Ländern. Darunter sind Côte d'Ivoire, die Dominikanische Republik, Thailand, Myanmar und Estland. In den 20 Ländern werden pro Jahr mindestens 70.000 staatenlose Kinder zur Welt gebracht. (Ende/IPS/jk/05.11.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/11/end-growing-child-statelessness-says-unhcr/

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IPS-Tagesdienst vom 5. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2015

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