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AGRAR/1431: Lebenswertes Land durch kurze Wege (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 333 - Mai 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Lebenswertes Land durch kurze Wege
Arztpraxen und Dorfläden erhalten - Ländliche Nahversorgung sichern

Von Christiane Hink


Landarzt Doktor Matthiesen verlässt sein Stroh gedecktes Gutshaus und braust entspannt über idyllische Alleen zum nächsten langjährig bekannten Patienten. Derartig verklärt wie in der langjährigen ZDF-Serie sah das reale Bild des Landarztes zwar zu keiner Zeit aus. Doch schlechte Bezahlung und Überstunden führen dazu, dass sich immer weniger junge Mediziner zum Dienst auf dem Land berufen fühlen: Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) droht bis 2015 bundesweit ein Mangel an 21.000 Fachärzten und 20.000 Allgemeinmedizinern, da viele Ärzte demnächst in den Ruhestand eintreten. Längst berichten nicht mehr nur Lokalzeitungen darüber.


In Berlin angekommen

Zumindest fehlt es nicht an eiligen Vorschlägen. So wurde - angeregt durch Gesundheitsminister Rösler - über Stipendien für angehende Allgemeinmediziner diskutiert. Die meisten unbesetzten Hausarztpraxen gab es 2005 in Niedersachsen. Auch Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern stehen in den Statistiken ganz oben. Doch wie kommt es dazu, dass viele Arztpraxen nicht neu besetzt werden? In Gebieten mit niedriger Ärztedichte drohen nicht nur häufiger Notdienstschichten, sondern auch längere Sprechzeiten. Landärzte versorgen insgesamt oft mehr Patienten, die wegen der ländlichen Überalterung häufiger einen Arzt aufsuchen. Hat ein Arzt überdurchschnittlich viele Patienten, so erhält er von den Kassen pro Patient und Quartal nicht mehr die volle Summe. Um die Niederlassung von Ärzten in ländlichen Gebieten zu fördern, greifen die kassenärztlichen Vereinigungen (KV), Länder und Krankenkassen sogar auf finanzielle Anreize wie Umsatzgarantien zurück, so etwa in Sachsen. Eigene Praxen mit angestellten Ärzten betreibt die KV Thüringen. Sie unterstützt damit Berufseinsteiger, die die Investition in eine eigene Praxis scheuen.


Zuwenig neue Praxen

Öffentlich diskutiert werden zusätzlich mehr ländliche Gemeinschaftspraxen, um Ärzte zeitlich zu entlasten. Das gleiche Ziel verfolgen die KVen mit der Einrichtung einer größeren Zahl fester Notdienstpraxen. Doch sollte laut KV-Pressreferentin Nadine Jahnz auch grundsätzlich überlegt werden, woran die Versorgung scheitert. Sie gibt die Quote der Studienabbrecher von 11 Prozent zu bedenken. Im Studium bilde der klinische Zweig gegenüber der Ausbildung niedergelassener Ärzte einen Schwerpunkt. Mecklenburg-Vorpommern finanziert daher eine Professur für Allgemeinmedizin. Eine große Hürde, die Versorgung zu verbessern, stellen die Zulassungsregeln für Ärzte dar, so Jahnz. Seit Anfang der 90er darf sich in sogenannten überversorgten Gegenden kein neuer Arzt niederlassen. Grundlage der Einteilung in über- und unterversorgte Gebiete ist der Status Quo des Jahres 1993, der beibehalten wurde. Weder die Gebietsgröße, die Verteilung innerhalb der Gebiete noch Kliniken werden in der Bedarfsplanung berücksichtigt.


Dienstleistungen wandern ab

Doch auf dem Land drängen nicht nur medizinische Versorgungsprobleme. Besonders für ältere Einwohner stellen weite Wege zum nächsten Supermarkt ein immenses Problem dar. Um dem zu begegnen, haben Bürger im nordrhein-westfälischen Barmen, einem etwa sieben Kilometer vom Stadtkern Jülich entfernten Stadtteil, ein Zentrum für "Dienstleistungen und ortsnahe rundum Versorgung" gegründet. Neben dem Einkaufsmarkt bietet das durch finanzielles Bürgerengagement getragene Zentrum seinen Kunden unter anderem Lieferdienste, Arztsprechstunden, Post- und Bankdienstleistungen. Andernorts sorgen ähnliche Einrichtungen auch für die Vermittlung von Tageseltern. Und so sieht staatlich geförderte Nahversorgung aus: Das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium lässt für sogenannte "Markttreffs", bürgerinitiierte Einzelhandelsgeschäfte, Gelder aus EU-, Bundes- und Landestöpfen fließen. Neben nahen Einkaufsmöglichkeiten brechen auch andere Bereiche der Daseinsvorsorge weg: Bis 2011 will etwa die Post alle selbst betriebenen Filialen schließen. Da Einzelhandelsgeschäfte oft in ihrer Existenz gefährdet sind, können Postschalter nur bedingt ausgelagert werden. Wie die Genossenschaftsbanken im Februar mitteilten, werden sie künftig ins Postgeschäft einsteigen, so dass Kunden wenigstens einen Weg sparen können. Kurze Wege sind wichtig - auch Kommunikationswege wie das Internet, das für Landwirte eine wachsende Rolle spielt. Grund zur Hoffnung auf Breitband-Versorgung in dünn besiedelten Regionen gibt die Mitte April angelaufene Versteigerung neuer Funkfrequenzen durch die Bundesnetzagentur. Die Vergaberegeln für das mobile Internet sorgen dafür, dass zunächst Orte mit bis zu 5.000 Einwohnern versorgt werden müssen. Wenig Kultur, fehlende Einkaufsmöglichkeiten, weit entfernte Fachärzte - dies alles macht Mobilität für Landbewohner noch dringlicher. Flexible Angebote wie Anruf-Sammel-Taxen können ein Grundangebot des öffentlichen Nahverkehrs bilden.

Doch Mobilität hin oder her - auch der ländliche Raum braucht Treffpunkte, Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen: Attraktive Ortskerne, Cafes oder Veranstaltungsorte machen das Dorfleben spannend. Hierzu bedarf es ehrenamtlichen Engagements - doch auch Fördergelder sind nötig und müssen vor allem flexibel einsetzbar sein, um ihren Zweck zu erfüllen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 333 - Mai 2010, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2010