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AGRAR/1671: Der globale Landrausch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. August 2014

Ernährung: Der globale Landrausch

Ein Kommentar von Anuradha Mittal



In diesem Kommentar drängt Anuradha Mittal, Geschäftsführerin der unabhängigen Denkfabrik 'Oakland Institute', zu einem neuen umfassenden Ansatz bei der Diskussion über das Thema 'Land Grabbing' (Landnahme). Das Phänomen bedroht sowohl die Entwicklungs- als auch die Industrieländer. Das Oakland Institute widmet sich den drängenden internationalen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Fragen.

Oakland, USA, 6. August (IPS) - Die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts werden uns wegen der beispiellosen globalen Landnahmen in Erinnerung bleiben. Mehr als 200 Millionen Hektar Land, das entspricht der achtfachen Landesfläche Großbritanniens, wurde im Zeitraum von 2000 bis 2011 in Entwicklungsländern verkauft oder verpachtet - zu Lasten der lokalen Ernährungssicherheit und der Landrechte.

Mit dem Anstieg der Nahrungsmittelpreise 2008 stieg auch die Zahl hungernder Menschen auf über eine Milliarde an. Ebenso wuchs das Interesse der Investoren, und binnen eines Jahres legte die Zahl der Landdeals in den Entwicklungsländern um drastische 200 Prozent zu.

Heute hat die Begeisterung für die Landwirtschaft etwas von einem spekulativen Wahnsinn. Ob der Anstieg der Nahrungsmittelpreise oder die sich weiter erhöhende Nachfrage nach Biotreibstoffen - das Interesse des Finanzsektors an Agrarland war nie so groß wie heute.

Das 'Oakland Institute' berichtet seit 2011, wie eine neue Generation institutioneller Investoren einschließlich Hedgefonds, Universitätsstiftungen und Kapitalanlage- und Pensionsfonds landwirtschaftlich nutzbare Böden als neue und höchst lukrative Anlagemöglichkeit entdecken.


Landrausch in den USA

Doch was beim globalen Landrausch meist vergessen wird, ist seine Globalität. Die Medienberichterstattung konzentriert sich weitgehend auf die Land Grabs in den Ländern mit niedrigem Einkommen. Doch die andere Seite der Medaille ist, dass sie nicht etwa vor US-Farmland haltmachen. Sie zeigt sich sowohl in Form eines zunehmenden Interesses von Seiten der Investoren als auch in einem dramatischen Anstieg der Bodenpreise, da Giganten wie der Pensionsfonds TIAA-CREF Milliarden Dollar ausgegeben, um sich Agrarland zu kaufen.

Ein Großindustrieller hat die Schätzung abgegeben, dass zehn Milliarden US-Dollar an institutionellem Kapital derzeit auf der Suche nach US-Farmland sind. Diese Ziffer könnte leicht steigen, da Investoren daran interessiert sind, die derzeit schwierigen Zeiten mit Hilfe sicherer Investitionen in die Landwirtschaft zu überstehen.

In den kommenden 20 Jahren, in denen die USA eine beispiellose Krise erleben werden, weil eine Vielzahl von Farmern in Rente geht, dürfen sich die Finanzjongleure auf reichlich vorhandene Gelegenheiten freuen, ihre Holdings auszudehnen. Geschätzt wird, dass gut 162 Millionen Hektar Land die Besitzer wechseln werden. Dennoch spielt sich dieser sich abzeichnende Landrausch weitgehend im Verborgenen ab.

Trotz ihrer Größe und Ambitionen ist über diese neuen Investoren und deren Geschäftspraktiken so gut wie nichts bekannt. Von wem kaufen sie das Land? Was produzieren sie? Wie verwalten sie ihre Besitztümer? In einer Industrie, die nicht gerade für Transparenz bekannt ist, werden diese Fragen nicht zufriedenstellend beantwortet.

Seit mehr als sechs Jahren ist das Oakland Institute an vorderster Front aktiv, um auf die zweifelhafte Natur dieser Landdeals in den Entwicklungsländern hinzuweisen. Die heutige Herausforderung besteht darin, eine holistischere Diskussion zu beginnen, die sich sowohl mit den Landnahmen in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern befasst.


Gleiche Akteure, gleiche Handschrift

Vorangetrieben durch die gleichen strukturellen Faktoren und weitgehend von den gleichen Sektoren, macht sich diese kommerzielle Konsolidierung der Landwirtschaft bereits ebenso in Iowa und Kalifornien wie auch auf den Philippinen und in Mosambik bemerkbar.

'Down on the Farm' lautet der Titel eines neuen Berichts des Oakland Institute, der ein Bewusstsein für die sich überlappenden globalen und nationalen Faktoren schaffen will, die den neuen US-amerikanischen Landrausch möglich machen. Gleichzeitig werden die Motive und Verfahrensweisen einiger der mächtigsten Akteure untersucht: von 'UBS Agrivest', einer Niederlassung der größten Schweizer Bank, von der 'Hancock Agricultural Investment Group' (HAIG), einer Niederlassung des riesigen kanadischen Versicherungsunternehmens, und vom 'Teacher Annuity Insurance Association College Retirement Equities Fund' (TIAA-CREF), einem der weltmächtigsten Pensionsfonds.

Nur wenn wir uns heute mit den Beweggründen und Praktiken dieser Akteure befassen, wird es möglich sein, Maßnahmen zu ergreifen und Institutionen zu schaffen, um sicherzustellen, dass Bauern und nicht abwesende Investoren die Zukunft unseres Ernährungssystems bestimmen.

Es gibt im Grunde nichts Wichtigeres, als mit dieser Diskussion sofort zu beginnen. Die Angelegenheit mag sich aus verschiedenen Gründen noch unbedeutend ausnehmen, da institutionelle Investoren bisher nur einen kleinen Teil des gesamtamerikanischen Farmlands besitzen und die Bauern noch immer die größten Interessenten an Agrarflächen in den USA sind. Doch diese Gefahren nicht ernst zu nehmen, hieße sich gefährlich blind zu stellen, was die langfristigen Trends angeht, die unser landwirtschaftliches Erbe bedrohen.

Denken wir daran, dass Investoren der Meinung sind, dass es in den USA Agrarland im Wert von 1,8 Billionen Dollar gibt. Zwischen 300 Milliarden und 500 Milliarden Dollar sollen von "institutioneller Qualität" sein, womit eine Kombination aus Faktoren hinsichtlich Größe, Wasserzugänglichkeit, Bodenqualität und Standort gemeint ist, die das Interesse von Investoren für ein Besitztum bestimmen.

Dadurch wird das einheimische Farmland zu einem ansehnlichen und weitgehend ungenutzten Vermögenswert. Einige der einflussreichsten Akteure im Finanzsektor sind bereits dabei, die Gelegenheit mit Hilfe von Kapitalbeteiligungen zu ergreifen. Häufig kommt es vor, dass diese Käufer den Markt mit so viel Kapital betreten, sodass ihre Mittel verglichen mit dem, was die Bauern aufbringen können, unerschöpflich erscheinen.


Landrausch hat gerade erst begonnen

Obwohl sie bereits in bemerkenswertem Ausmaß Fuß gefasst haben, ist dies erst der Anfang und nicht das Ende des Landrausches. Dadurch könnte es zu einem Wandel der Land-, Nahrungsmittel- und Landwirtschaftssystemverhältnisse kommen. Es gibt nicht nur genügend Raum auf dem Markt, der die Ausweitung der Investoren erlaubt, sondern auch größere finanzielle Initiativen, die dazu anregen.

Wenn hier nicht gegengesteuert wird, könnten globale und nationale Trends zusammenkommen, die einen dauerhaften Wandel weg von landwirtschaftlichen Familienbetrieben und hin zu institutionellen Investoren und konzerngesteuerten Operationen bewirken werden. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/08/the-global-land-rush/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2014