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ARBEIT/2679: Schöne neue Arbeitswelt? - Durch Crowdworking werden Aufgaben global verteilt (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 155/März 2017
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Schöne neue Arbeitswelt?
Durch Crowdworking werden Aufgaben global verteilt

von Christine Gerber und Martin Krzywdzinski


Kurz gefasst: Als Crowdwork werden neue Formen der digitalen Arbeit bezeichnet, die von internetbasierten Plattformen organisiert und reguliert werden. Diese Formen sind sehr vielfältig. Während manche Plattformen Wettbewerbe, Community Building und Gamification als wichtige Elemente dieser neuen Form der Arbeit nutzen, setzen andere Plattformen vor allem auf Standardisierung und Kontrolle. Crowdwork ist ein junges Phänomen und verändert sich schnell. Derzeit zeigen sich im Hinblick auf Arbeitsbedingungen immer noch viele Probleme bei Fragen der Vergütung, Leistungsregulierung, Qualifizierung und Interessenvertretung der Crowdworker.

Texte schreiben, Software programmieren und testen, Hunderte von Fotos kategorisieren, Logos, Designs und Homepages kreieren oder aber innovative Dienstleistungs- und Produktideen entwickeln - für diese Aufgaben und viele mehr braucht es bereits heute weder Angestellte noch Büros. Über internetbasierte Plattformen können solche Tätigkeiten an einzelne Bearbeiter ausgelagert werden, die sie im Internet erledigen und dabei über die ganze Welt verstreut sein können. Diese sogenannte Crowd steht in keinem Beschäftigungsverhältnis mit dem Auftraggeber oder der Plattform; die Bearbeiter müssen den Auftraggeber nicht einmal kennen. In der Gestaltung der Arbeitsbedingungen kommt den Crowdwork-Plattformen eine zentrale Rolle zu, denn anders als bei einer reinen Arbeitsvermittlung per Internet organisieren sie die Verteilung der Aufgaben, strukturieren den Arbeitsprozess und übernehmen die Leistungskontrolle.

Aufgrund der sozialen und ökonomischen Relevanz werden die Chancen und Risiken dieses neuen, digitalen Arbeitsmodells in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Allerdings fehlen bislang belastbare Daten zur Verbreitung von Crowdwork und zur Bewertung der Arbeitsbedingungen. Weitgehend unklar bleibt, ob Crowdwork eine besonders prekäre Form der Arbeit darstellt oder ob es auch Ansätze gibt, die gute Bedingungen bieten. Mit diesen Fragen befasst sich ein von der Fritz Thyssen Stiftung gefördertes Forschungsprojekt am WZB, in dessen Rahmen wir deutsche und amerikanische Crowdwork-Plattformen untersuchen. Das Projekt beruht auf Interviews mit Vertretern der Plattformen und Experten sowie einer Befragung der Crowdworker.

Die gesellschaftliche Relevanz des Phänomens Crowdwork wird deutlich, wenn wir die von den Plattformen berichteten Zahlen der aktiven Crowdworker betrachten. Amerikanische Plattformen wie Amazon Mechanical Turk, CrowdFlower oder Upwork haben teilweise mehrere Millionen registrierte Crowdworker. Im Falle deutscher Plattformen wie Crowd Guru, jovoto oder Clickworker sind es jeweils mehrere zehn- oder hundertausend Registrierungen.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich allerdings sehr unterschiedliche Formen von Crowdwork, die wir anhand der Aufgabengestaltung differenzieren können. Zwei grundlegende Modelle lassen sich erkennen: einerseits standardisierte, in kleine Arbeitspakete heruntergebrochene Routine- und Unterstützungsaufgaben wie Textproduktion, Datenkategorisierung oder Umfragen (sogenannte Mikroaufgaben); andererseits kreative Lösungen, die ebenfalls relativ standardisiert sein können - wie teilweise im Design-Bereich - oder aber hochgradig spezialisiert und wissensintensiv sind wie im Bereich der Programmierung oder Innovation (sogenannte Makroaufgaben). Mikroaufgaben erfordern kein spezifisches Vorwissen und sind zumeist in wenigen Minuten erledigt. Für die Bearbeiter besteht wenig eigener Gestaltungsspielraum. Für Aufgaben, die einen gewissen Grad an Kreativität oder Wissen voraussetzen, haben sich hingegen projektförmige Arbeitsformen entwickelt. Anders als bei Mikroaufgaben geht es hier vor allem um die Gewinnung weniger, aber dafür qualitativ guter Beiträge. Aus diesem Grund werden kreative und komplexe Aufgaben häufig als Wettbewerbe organisiert.

Zu den Motiven für die Arbeit in der Crowd gibt es bislang nur fragmentarische Erkenntnisse. Zwar gibt es viele Berichte in den Medien darüber, dass Menschen im Akkord Mikroaufgaben abarbeiten, weil sie - aufgrund fehlender Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Versorgungsarbeit in der Familie, sozialer oder geografischer Exklusion - selbst auf die wenigen Dollars oder Euros angewiesen sind.

Andererseits scheint sich aus ersten Untersuchungen herauszukristallisieren, dass in Nordamerika oder (West-)Europa nur wenige Menschen von Crowdwork allein leben. Hier knüpft sich die Frage an, welche nicht materiellen Motive eine Rolle spielen.

Für die Bewertung der Arbeitsbedingungen in der Crowd ist neben der Betrachtung der Motive der Crowdworker auch eine Analyse der unterschiedlichen Ansätze nötig, mit denen Plattformen die Arbeit regulieren. Auf der Grundlage unserer Befragungen lassen sich folgende Faktoren zur Bewertung der Arbeitsbedingungen identifizieren.


Vergütung und Leistungskontrolle

Das erste wesentliche Kriterium für die Bewertung der Arbeitsbedingungen ist sicherlich die Vergütung. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass zumindest ein Teil der Crowdworker nur nebenberuflich auf den entsprechenden Plattformen tätig ist. Wie groß dieser Anteil ist und wie relevant für diese Menschen das Einkommen aus dem Crowdworking ist, wissen wir allerdings nicht. Erste Studien deuten darauf hin, dass in Deutschland nur eine Minderheit Crowdwork als Hauptverdienstquelle nutzt.

Die Vergütungssysteme hängen außerdem stark mit der Aufgabengestaltung zusammen. Bei Mikroaufgaben erfolgt die Vergütung pro Aufgabe und liegt typischerweise im niedrigen Cent- bis Eurobetrag. Makroaufgaben werden hingegen zumeist als Wettbewerbe ausgeschrieben, bei denen nur ein (oder mehrere) Gewinner ein Preisgeld erhält. Die Gewinner werden vom Kunden, der Community oder einer Jury ausgewählt und können drei- bis sechsstellige Eurosummen als Preisgelder erzielen.

Die Fairness der Vergütung hängt bei den Mikroaufgaben an der Bestimmung der Stücklöhne. Der berühmte Fall der Amazon-Plattform Mechanical Turk zeigt, dass die Gefahr besteht, dass der faktische Verdienst durch eine unangemessen berechnete Arbeitszeit gedrückt wird. Unerfahrene Arbeiter erhalten zwischen zwei bis drei US-Dollar die Stunde, während erfahrene Vollzeit-Crowdworker zwischen sieben und neun US-Dollar pro Stunde erzielen. Im Falle der deutschen Mikroaufgaben-Plattformen legen erste Befunde nahe, dass sich die Gestaltung der Stücklöhne am Mindestlohn orientiert: Nach einer Schätzung der durchschnittlich benötigten Arbeitszeit werden die Preise pro Aufgabe so festgelegt, dass pro Stunde der Mindestlohn erreicht werden kann. Ob diese Schätzungen aber realistisch sind, muss überprüft werden.

Die Vergütungsformen bei Makroaufgaben variieren stark. Zum Teil gibt es sehr hohe Preisgelder. Gerade bei den relativ standardisierten Designwettbewerben mit Preisgeldern im unteren dreistelligen Euro-Bereich ist hingegen nicht abzuschätzen, welchem Stundenlohn die investierte Arbeit entsprechen würde. Die Unsicherheit, gänzlich leer auszugehen, liegt außerdem allein bei den Teilnehmenden.

Die Arbeitsbedingungen hängen zudem stark von der Art der Leistungskontrolle ab. Sie stellt in dieser Form der Arbeit eine besondere Problematik dar, denn es fehlen wesentliche Elemente eines betrieblichen Regimes der Leistungsregulierung: Es gibt keine Vorgesetzten, keine Kollegen und keinen gemeinsamen Betrieb.

Mikroaufgaben werden durch automatisierte, von der Software ausgeführte Kontrollen, durch andere Crowdworker oder durch die Plattformmitarbeiter selbst geprüft. Auf so genannten Marktplatz-Plattformen erfolgt die Prüfung durch den Kunden und Auftraggeber selbst. Wieder zeigt das Beispiel Amazon Mechanical Turk die möglichen Konflikte. Auftraggeber können hier willkürlich Arbeitsergebnisse ablehnen und nicht vergüten, behalten aber die Rechte am Arbeitsprodukt. Die betroffenen Crowdworker können sich kaum wehren, denn der Zugang zu weiteren Aufgaben ist von einer positiven Bewertung durch den Auftraggeber abhängig. Auf deutschen Plattformen haben wir solche Willkür bislang nicht vorgefunden. Selbst wenn ein Kunde unzufrieden ist und die Aufgabe wiederholt werden muss, bezahlen die Plattformen (nach eigenen Angaben) den Crowdworker zumeist für die geleistete Arbeit.

Ein zentrales Element in der Leistungskontrolle ist außerdem die Regulierung des Zugangs zu bestimmten Aufgaben. Viele Plattformen nutzen Bewertungs- und Reputationssysteme, um den Zugang zu anspruchsvolleren und besser bezahlten Aufgaben zu regulieren. Solche Systeme basieren auf der Vergabe von Punkten für gut bewältigte Aufgaben oder aber auf komplizierteren Algorithmen, die auch Aspekte wie Erfahrung oder Aktivität einbeziehen. Manche Plattformen koppeln die Reputation an eine permanente Aktivität: Ist ein Nutzer für mehrere Tage oder Wochen nicht aktiv, sinkt er im Ranking. Solche Systeme zwingen die Crowdworker zur permanenten Bewährung und unterlaufen das Versprechen einer besonderen Flexibilität und freien Arbeitszeitgestaltung.


Anerkennung, Qualifizierung und Mitsprache

Anerkennung ist ein zentraler Aspekt "guter" Arbeitsbedingungen und spielt auch in der digitalen Arbeit eine wichtige Rolle. Fast alle interviewten Plattformen gaben an, dass materielle Anreize allein nicht zur Aktivierung der Crowd ausreichen. Aufgaben werden demnach besser aufgenommen, wenn es auch immaterielle Anreize wie Anerkennung, Lernerfahrung, Spaß, Gemeinschaft gibt. Ein zentraler Mechanismus hierfür scheinen die Reputationssysteme zu sein, wobei es Unterschiede darin gibt, in welchem Umfang und in welcher Form (Sterne, Statustitel, Ranglisten) sie sichtbar gemacht werden. Je nach Anwendung kann die digitale Reputation für den Crowdworker Status und Anerkennung oder aber Leistungsdruck bedeuten.

Insbesondere im Bereich der kreativeren Makroaufgaben ist ein weiterer Mechanismus die Anwendung von Spielelementen (die sogenannte gamification). Dazu gehören Möglichkeiten, die Beiträge von anderen zu "liken", zu kommentieren oder Ideen gemeinsam (weiter) zu entwickeln. Auf manchen Plattformen werden Punkte, Auszeichnungen und sogar Preise für starkes Community Engagement vergeben. Anders als bei der Abarbeitung standardisierter Mikroaufgaben geht es hier um die Entwicklung guter Ideen, wobei Feedback und Interaktion in der virtuellen Gemeinschaft für den Kunden wertvoll ist. Kritisch ist zu betrachten, dass es hier zu einer Vermischung von Arbeit und Freizeit, von Produktion und Spiel kommt.

Ein zentraler Aspekt "guter" Arbeit ist die Möglichkeit zur Weiterbildung und Qualifizierung. Beides spielt bislang in der Crowd eine vernachlässigte Rolle, es wird den Crowdworkern selbst überlassen. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die Crowdworker als Selbstständige registriert sind und den Plattformen oder Auftraggebern somit keine Arbeitgeberpflichten zukommen. Für einen Teil der selbstständigen Programmierer oder Designer scheint die Teilnahme in Crowdwork-Wettbewerben zumindest zeitweilig eine Möglichkeit zu sein, Erfahrungen und Kontakte zu Kunden zu sammeln. Langfristig scheint aber die Frage der Qualifizierung ein großes Problemfeld für Crowdwork zu sein.

Auch die Möglichkeit der Artikulation eigener Anliegen und Interessen gehört zu den Kriterien guter Arbeit. Da im Crowdwork das Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis aufgelöst ist, muss hier eher von Mitsprache als von Mitbestimmung gesprochen werden. Mitsprache heißt hier bislang lediglich, dass Crowdworker Nachfragen stellen, Feedback oder Kritik an die Plattform richten oder aber sich untereinander über Probleme austauschen können. Hierbei gibt es erhebliche Unterschiede. Während manche Plattformen Feedback und Beschwerden nur direkt und somit individualisiert über private Nachrichten organisieren, stellen andere Plattformen zusätzliche Chatsysteme und öffentliche Diskussionsbereiche zur Verfügung, die zum Teil an soziale Netzwerke wie Facebook erinnern. Ein wesentlicher Grund für diese unterschiedlichen Modelle scheint zu sein, dass manche Plattformen stärker daran interessiert sind, eine Crowd Community aufzubauen, die gezielt zur Selbsthilfe und Selbstregulierung eingesetzt werden kann.

Die digitale Arbeit in der Crowd ist ein schnell wachsender und sich in Veränderung befindlicher Teil der Arbeitswelt. Abschließende Urteile sind noch nicht möglich. Insbesondere zu den Motiven und Hintergründen der Crowdworker bedarf es mehr Forschung. Auch wenn Crowdwork momentan (zumindest in Deutschland) größtenteils ein Zuverdienst ist, müssen die gesellschaftlichen Implikationen dieser neuen Form der Arbeit ernst genommen werden. Sie mag reflektieren, dass Menschen zunehmend Zweit- oder Drittjobs benötigen, die arbeits- und sozialrechtliche Grauzonen öffnen.

In Hinblick auf die neuen Ansätze der Regulierung von Arbeit und Leistung in der Crowd liegt das Besondere darin, dass die Arbeitsbedingungen durch die technologische Ausgestaltung der Plattformen bestimmt werden. Technologie ist jedoch nie neutral, sondern definiert Handlungsmöglichkeiten und reflektiert Machtverhältnisse. Noch ist unklar, welche Ausstrahlungskraft die benannten neuen Formen der Arbeitsorganisation und Arbeitsregulierung auf andere Beschäftigungsfelder haben: Denkbar ist, dass die hier erprobten Ansätze der Standardisierung von Arbeit, der digitalen Reputations- und Bewährungssysteme oder der Nutzung von sozialen Netzwerken auch in "normalen" Betrieben Einzug erhalten.

Martin Krzywdzinski leitet die Projektgruppe Globalisierung, Arbeit und Produktion und ist Themenbereichsleiter des Promotionskollegs "Gute Arbeit": Ansätze zur Gestaltung der Arbeitswelt von morgen. Er forscht aus soziologischer Perspektive über Globalisierung, Arbeit und Arbeitspolitik, unter anderem in den BRIC-Staaten.
martin.krzywdzinski@wzb.eu


Christine Gerber
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Projektgruppe Globalisierung, Arbeit und Produktion im Projekt Zwischen digitaler Bohème und Prekarisierung. Arbeit und Leistung in der Crowd. Sie beschäftigt sich vorwiegend mit digitalem Kapitalismus, der Digitalisierung der Arbeit und mit Crowdwork, Wearables und Industrie 4.0.
christine.gerber@wzb.eu


Literatur

Al-Ani, Ayad/Stumpp, Stefan: Motivationen und Durchsetzung von Interessen auf kommerziellen Plattformen. Ergebnisse einer Umfrage unter Kreativ- und IT-Crowdworkern. Discussion Paper Series, 2015-05. Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft 2015.

Benner, Christiane: Crowdwork - Zurück in die Zukunft? Perspektiven digitaler Arbeit. Frankfurt am Main: Bund-Verlag 2015.

Leimeister, Jan M./Durward, David/Zogaj, Shkodran: Crowd Worker in Deutschland: Eine empirische Studie zum Arbeitsumfeld auf externen Crowdsourcing-Plattformen. Studie Nr. 323. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung 2016.

Schörpf, Philip/Flecker, Jörg/Schönauer, Annika: "On Call for One's Reputation - Control and Time in Creative Crowdwork". In: Kendra Briken/Shiona Chillas/Martin Krzywdzinski/Abigail Marks (Eds.): The New Digital Workplace. How New Technologies Revolutionise Work. London: Palgrave Macmillan 2017.

Strube, Sebastian: "Die Entstehung des digitalen Prekariats". In: Standpunkte, 02. Rosa-Luxemburg-Stiftung 2015.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 155, März 2017, Seite 6-9
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2017

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