Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

DISKURS/085: Wachstum für Arbeit und Umwelt - Krisenbewältigung und industrieller Umbau (spw)


spw - Ausgabe 2/2010 - Heft 177
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Wachstum für Arbeit und Umwelt - Krisenbewältigung und industrieller Umbau

Von Wolfgang Rhode


Wie weiter nach der Krise?

Diese Frage ist in den letzten beiden Jahren nach dem Zusammenbruch des Kartenhauses auf den Finanzmärkten und dem darauf folgenden Wachstumseinbruch unzählige Male gestellt worden. Schluss mit der Shareholder-Value-Ökonomie; den Finanzsektor endlich an die Kette legen, Kritik der europäischen Nachbarn am deutschen Exportmodell und gar das Ende des Wachstumsfetisch - die Liste möglicher Antworten in der öffentlichen Debatte ist lang, ohne allerdings sehr konkret zu werden.

Aus Sicht der IG Metall konzentrieren sich die ökonomischen Fehlentwicklungen auf die analytisch unter dem Begriff des Finanzmarkt-Kapitalismus zusammengefassten Tendenzen Vermarktlichung aller Lebensbereiche und die Dominanz radikaler, kurzfristiger Renditeziele als alles entscheidende Größe mit entsprechend negativen Folgen für Arbeitsbedingungen sowie für mittelfristige Investitions- und Innovationspfade. Um die Frage nach dem Danach beantworten zu können, muss zunächst einmal die Krise selbst überstanden werden. Der weiterhin anhaltende Auftragsmangel sowie zunehmende Finanzierungsschwierigkeiten führen insbesondere bei vielen Industrieunternehmen zu einem hohen Beschäftigungsrisiko. Die IG Metall geht davon aus, dass mittelfristig allein in der Metallindustrie bis zu 700.000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Eine entsprechend hohe Priorität kommt der Beschäftigungssicherung zu, die insbesondere über die gesetzliche und daran anknüpfend über die tarifliche Kurzarbeit erreicht wird. Über die akute Krisenbewältigung hinaus steht fest, dass es weder gesamtwirtschaftlich und vielfach auch einzelbetrieblich nicht um eine bloße Fortsetzung der bisherigen Entwicklung gehen kann. Auch vor dem Hintergrund der ökologischen Herausforderung steht die Industrie vor einem weitreichenden Umbau, nicht zuletzt geht es um die Zivilisierung und Demokratisierung der gesamten Ökonomie.[1]


Braucht es überhaupt noch Wachstum?

In 2009 ist die Wirtschaftsleistung um fünf Prozent zurückgegangen, einen solchen Wachstumseinbruch hat es in der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Dies wird längst nicht von allen als Problem gewertet. Wachstum sei zum Fetisch geworden, diagnostiziert Meinhard Miegel und auch die Diskussion um die ökologischen Grenzen des Wachstums erfährt eine Neuauflage. Vermehrt ist von Null-Wachstum und sogar vom nötigen Schrumpfen die Rede. Unterstützung findet die Wachstumskritik vermeintlich auch mit dem Bericht der Kommission rund um Joseph Stiglitz, Amartya Sen und Jean-Paul Fitoussi, die sich mit der Weiterentwicklung statistischer Größen wie dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) auseinandersetzt und Wirtschaft, Lebensqualität und Nachhaltigkeit miteinander zu verknüpfen versucht.

Richtig ist, vom BIP allein hängen gesellschaftlicher Wohlstand und sozialer Fortschritt nicht ab. Richtig ist auch, den Wachstumsbegriff nicht so zu überdehnen und zu mystifizieren, daß Wortschöpfungen wie Negativ(!)Wachstum entstehen. Die Unzulänglichkeiten des Indikators sind lange bekannt. Das BIP beschreibt nur den Wert aller im Inland erstellten Güter und Dienstleistungen und damit auch das Einkommen der Gesellschaft.

Der zurückliegende Aufschwung hat unter Beweis gestellt, dass Wachstum für viele Beschäftigte auch mit Reallohnverlusten einhergehen und nicht unbedingt ein Plus an guten, sicheren Arbeitsplätzen bringt. Ein größer gewordener Kuchen sagt wenig über dessen Verteilung aus.
Das BIP kann nur monetäre Größen abbilden. Was nicht auf dem Markt gehandelt wird, kennt die Statistik nicht: Hausarbeit und die familiär erbrachte Betreuung von Kindern und Kranken bleiben unberücksichtigt.
Umweltverschmutzung und auch die sozialen Auswirkungen des Wirtschaftens in Form von gestiegenem Arbeits- und Leistungsdruck, all diese Folgewirkungen werdendurch das BIP nichtberücksichtigt.

Wachstum ist nicht gleich Wohlstand, diese Erkenntnis ist gerade für Gewerkschaften alles andere als neu. Wenn die Wirtschaftswissenschaft in der Lage ist, aussagefähigere Indikatoren und Methoden zu entwickeln, so wäre dies wünschenswert. Wahrscheinlich wird jedoch zur wirtschaftlichen Lagebeurteilung die Betrachtung von verschiedenen Wachstums- und Verteilungsmaßen sowie vermehrt auch entsprechender Sozial- und Umweltbilanzen erfolgversprechender sein, als auf den einen alles erklärenden und wie auch immer gewichteten Super-Indikator zu setzen.

Wie verhält es sich jedoch mit dem Wachstum? Mit Blick auf die vielen, materiell sich erst noch entwickelnden Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika mutet der Hinweis auf Null-Wachstums-Überlegungen illusorisch an. Global betrachtet lautet die Alternative nicht Pro oder Contra Wachstum, sondern es geht um die Entscheidung zwischen einen klima- und sozialverträglichen oder aber um einen konventionellen Wachstumspfad. Auch die Hinweise auf längst befriedigte oder gar falsche Bedürfnisse der Bevölkerung laufen ins Leere.

Entsprechende Aussagen spiegeln häufig nur das Lebensgefühl bestimmter Milieus wider, haben aber mit der Lebenswirklichkeit vieler Menschen wenig gemein. Einer Verkäuferin, oder einem Ein-Euro-Jobber die Leitlinie vom Verzicht als Gewinn vermitteln zu wollen, läuft ins Leere; sie/er verzichtet schon an allen Ecken und Enden.

Ohne Wachstum droht auch in Deutschland ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit. Durch den Fortschritt bei der Produktivität wird die gleiche Warenmenge mit immer weniger Arbeitskraft erstellt. Steigt nicht im gleichen Maße die Wirtschaftsleistung, nimmt die Arbeitslosigkeit unweigerlich zu. Es sei denn, das schrumpfende Arbeitsvolumen wird durch eine Verkürzung der Arbeitszeit auf mehr Menschen verteilt. Gerade in der Krise hat sich gezeigt, wie mit verschiedenen Instrumenten der Arbeitszeitverkürzung vor allem, aber nicht nur über Kurzarbeit ein dramatischer Zuwachs der Arbeitslosigkeit verhindert werden konnte.

In Deutschland, Europa und der Welt wird Wachstum allerdings weiterhin nötig sein, um Arbeitsplätze zu sichern und um den gesellschaftlichen Reichtum zu erhöhen. Mit dem Plädoyer zu Gunsten von Wirtschaftswachstum und industrieller Produktion geht es nicht darum, die Auswahl an Waschmitteln und den Variantenreichtum von Fahrzeugen zu vervielfachen. Vielmehr geht es darum, die Produkte sowie die Produktionstechniken auf die Anforderungen einer ressourcensparenden und klimaverträglichen Ökonomie auszurichten und gesellschaftliche Bedarfsfelder zu erschließen. Dem Wachstum die gesellschaftlich gewünschte Richtung geben, dies ist die produktive Auflösung in der häufig schief geführten Kontroverse über Wirtschaftswachstum.


Exportnation Nr. 1, aber beim Wachstum nur Mittelfeld

In den letzten zehn Jahren ist Deutschland unter seinen Möglichkeiten geblieben! Zwar gelang es, den Titel der führenden Exportnation zu erreichen. Wegen der schwachen binnenwirtschaftlichen Dynamik blieb das Wachstum im internationalen Vergleich aber unterdurchschnittlich. Dafür gibt es drei eindeutige Ursachen:

Laut OECD haben seit 2000 Einkommensungleichheit und Armut stark zugenommen, das Institut für Arbeit und Qualifikation stellt einen massiven Ausbau des Niedriglohnsektors fest, der private Konsum trat auf der Stelle.
Sparrunden der öffentlichen Haushalte im Bund, den Ländern und Kommunen und gemessen am europäischen Vergleich, zeitigen erschreckend geringe öffentliche Investitionen. Dieser Aspekt ist ebenfalls verantwortlich für die schwache binnenwirtschaftliche Dynamik.
Verfügbares Kapital aus den Gewinnen der Unternehmen ist vor allem den internationalen Finanzmärkten zugeflossen; Investitionen in die Modernisierung und Erweiterung bestehender Produktionskapazitäten entwickelten sich im Vergleich mit dem vorangegangenen Jahrzehnt schwach.

Zwar mag in der zu Ende gehenden Dekade von den politischen und ökonomischen Eliten das Wachstum immer wieder beschworen worden sein, aber die ungleiche Verteilung und die daraus folgende binnenwirtschaftliche Selbstblockade standen der Zielerreichung fundamental entgegen.

Die unbestreitbar schwache gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung wird herangezogen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Industrie zu erklären. Diese Argumentation trägt jedoch nur zu einem sehr geringen Teil. Sicherlich haben Leiharbeit, Outsourcing und Verlagerungsdrohungen auch in der Industrie den Druck auf die Löhne steigen lassen, die schwache Dynamik der Löhne ist vor allem auf den Dienstleistungssektor zurückzuführen. Vor allem die Privatisierungen und Auslagerungen ehemals öffentlicher Aufgaben sind für die Beschäftigten vielfach mit Einkommenseinbußen einhergegangen. Zudem hat der durch die EU forcierte Wettbewerb beispielsweise bei Post- und Verkehrsdienstleistungen eine große Billig-Konkurrenz geschaffen, wodurch die Lohnentwicklung der Gesamtwirtschaft negativ beeinflusst wurde.

Für die Metallindustrie speist sich die starke internationale Stellung nicht aus einem plumpen Lohndumping und purer Unterbietungskonkurrenz gegenüber Wettbewerbern. Bedeutender sind eine kontinuierlich steigende Arbeitsproduktivität sowie die ausgeprägte Spezialisierung. In vielen Teilbereichen des Maschinenbaus sind die hiesigen Unternehmen technologisch einsam an der Spitze und auch im Fahrzeugbau ist die Ausrichtung auf das Premiumsegment strukturprägend. Um keine Missverständnisse zu erzeugen: die preisliche Wettbewerbsfähigkeit ist für jede Industrie von Bedeutung, technologisches Knowhow und Spezialisierung sind für die Wettbewerbssituation aber mindestens ebenso wichtig.

Der Abbau globaler Ungleichgewichte ist eine wichtige Aufgabe für die Krisenbewältigung. Die starke Ausrichtung der deutschen Industrie auf den Investitionsgütermarkt geht mit Blick auf die Produkte jedoch mit einer starken Orientierung auf weltweite Absatzmärkte einher. Dies ist Ausdruck der internationalen Arbeitsteilung. Es kann daher nicht darum gehen, die Exportfähigkeit bewusst zurückzufahren. Vielmehr sollte neben einer Verstetigung der vorhandenen lohnpolitischen Koordinierung der europäischen Metallgewerkschaften und über die Stärkung europäischer Ausgleichsmechanismen (EU-Strukturfonds etc.) auf eine binnenwirtschaftliche Dynamik in Deutschland gesetzt werden. Schließlich sind nicht die Exporte das Problem, sondern der Exportüberschuss. Dieser kann durch wachsende Importe ausgeglichen werden. Statt einer Sparrunde für die öffentlichen Haushalte braucht es entsprechende fiskalische Impulse, auch gesetzliche Mindestlöhne tragen zur Stabilisierung von Löhnen und damit zur Binnennachfrage bei.


Ausgebaute soziale Dienstleistungen

Industrie oder Dienstleistung, oftmals werden beide Sektoren in einen künstlichen Widerspruch zueinander gestellt, der der Realität nicht gerecht wird. So ist die industrielle Produktion in Zeiten des Just-In-Time auf eine funktionierende Logistikkette und viele andere industrielle Dienstleistungen angewiesen.

Auch andere Dienstleistungen sind nötig und müssen ausgebaut werden. Die Industriebeschäftigten haben ein hohes Interesse an funktionierenden und qualitativ hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit, Verkehr, Kultur etc.), nicht zuletzt, um den Flexibilitätsanforderungen und den Ansprüchen an die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben gerecht werden zu können. Aus Perspektive der Nutzer ist die Präferenz praktisch vorgegeben, Besser-Strategien sind beispielsweise bei Kindergärten, Schulen und Universitäten möglichen Billig-Ansätzen vorzuziehen.

Nach Jahren der Mangelverwaltung in vielen Städten ist die Liste unterentwickelter kommunaler Dienstleistungsangebote lang, der demografische Wandel führt zu einem steigenden Bedarf an flächendeckenden und qualifizierten Pflege- und Betreuungsdienstleistungen. Im Dienstleistungssektor steckt ein großes Wachstumspotential. Gewerkschaftspolitisch ist dabei klar, dass der Aufbau qualitativ guter Dienstleistungen nur mit Arbeits- und Einkommensbedingungen erreicht werden kann, die den Kriterien Guter Arbeit entsprechen.


Industrie braucht Perspektive

Im vergangenen Jahrzehnt wurde die industrielle Produktion oft als allmählich auslaufender Sektor begriffen, wofür beispielhaft die sowohl für Deutschland als auch für viele EU-Länder prägende Lissabon-Strategie herangezogen werden kann. Beim erneuten Lesen des Dokuments fällt der Mangel an einer fundierten bzw. geerdeten Vorstellung über die ökonomische Zukunft auf. Es finden sich zwar zahlreiche Verweise auf die New Economy, die Chancen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sowie gegenüber den Segnungen liberalisierter Finanzmärkte. Die Marktkräfte sollten voll entfesselt werden, ohne damit aber weitere wirtschaftspolitische Ziele (etwa der Nachhaltigkeitkeit angesichts von Klimawandel und schwindenden Ressourcen) zu verbinden. Von Industrie oder industrieller Wertschöpfung war in der Lissabon-Stragegie nicht ein einziges Mal die Rede.


EU 2020, ein anderes Europa?

An diesem Punkt deutet sich eine vorsichtige Kehrtwende an. Die vielfach snobhafte Haltung der politischen Eliten gegenüber der Industrie scheint an ihr Ende gekommen zu sein. Zumindest deuten die Konjunkturprogramme in diese Richtung und auch in den Dokumenten der neuen Zehnjahresstrategie der Europäischen Union (EU 2020) finden sich einige wertvolle Aussagen, die anstelle einer Abwicklung industrieller Wertschöpfung deren zukunftsfähige Neuausrichtung betonen. Freilich bedarf es von der Europäischen Union mehr als wohlklingender Worte im Rahmen der 2020-Strategie, um aus den, ökonomisch wie sozial, ernüchternden Ergebnissen der damit gescheiterten Lissabonstrategie zu lernen. Die angebotsseitige Schieflage muss überwunden werden, die plumpe Wettbewerbsorientierung muss durch eine Ausrichtung auf soziale, ökologische und ökonomische Ziele (soziale Kohäsion, Umweltverträglichkeit und Gute Arbeit) abgelöst werden. Europa muss bis zum Jahr 2020, nachdem ein gemeinsamer Markt und der Euro schon lange Realität sind, eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, die als großen Schwerpunkt den ökologischen Umbau hat, sowie die Demokratisierung und soziale und solidarische Erneuerung als neue Leitprojekte in den Mittelpunkt stellen.

Dabei ist intensiver über eine Koordinierung im Sinne einer europäischen Wirtschaftsregierung nachzudenken. In diesen Zusammenhang muss sich auch eine aktive Industriepolitik der EU einbetten.


Ökologischer Umbau der Industrie

Ein wichtiges Handlungsfeld ist wie gesagt der ökologische Umbau der Industrie. Das ökonomische Potential grüner Märkte scheint mittlerweile überall erkannt worden zu sein. Insbesondere die südkoreanischen und US-amerikanischen Konjunkturprogramme beinhalten große Anteile grüner Investitionen. Dies zeigt, dass die aktuelle Krisenbewältigung und die ökologische Herausforderung zusammen angegangen werden sollten.

Eine doppelte Dividende zu Gunsten von Arbeit und Umwelt ist grundsätzlich möglich. Viele Studien weisen auf die positiven Netto-Beschäftigungseffekte einer emissionsarmen Wachstumsstrategie hin, von denen insbesondere die Umwelttechnologien sehr beschäftigungsintensiv sind. Die positive Netto-Betrachtung schließt ausdrücklich nicht aus, dass Arbeit und Ökologie sehr wohl im Konflikt und im Einzelfall sogar im Widerspruch zueinander stehen können. Diese Konflikte und Widersprüche sind keine Argumente gegen den ökologischen Umbau, diese müssen vielmehr in den einzelnen Unternehmen und Branchen ausgetragen werden. Die IG Metall wirbt für eine aktive Gestaltung des ökologischen Umbaus, statt später Getriebene von Folgeproblemen zu werden.

Der Begriff Grüne Märkte bezieht sich sowohl auf den Aufbau von neuen Branchen und neu zu entwickelnden Produkten als auch auf die klassischen Kernsektoren der Industrie, die sich gestiegenen Anforderungen an die Energie- und Ressourceneffizienz gegenübergestellt sehen. Die Umwelttechnologien decken mit der umweltfreundlichen Energieerzeugung (konventionell und regenerativ), den Energieeffizienztechniken, der nachhaltigen Wasserwirtschaft und der nachhaltigen Mobilität eine große Bandbreite ab, von denen insbesondere der Maschinenbau und die Elektrotechnik profitieren können, wenn die vorhandene Technologiekompetenz und Innovationsstärke darauf ausgerichtet werden. Viele Industrieunternehmen waren in der Vergangenheit sehr erfolgreich damit, die Arbeitsproduktivität immer weiter in ungeahnte Höhen zu treiben. Weit abgeschlagen ist jedoch die Material- und Ressourcenproduktivität geblieben. Die heutige Kostenstruktur und die mittelfristig steigenden Rohstoffpreise verlangen ein Umdenken. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wird künftig entscheidend davon abhängen, wie schnell sie sich die Technologien zur Energie- und Ressourceneffizienz zu Eigen machen können. Mehr Ressourceneffizienz ist auch ein Beitrag für zukünftige Beschäftigung und Standortentwicklung.

Auch der Verkehrssektor und die Automobilindustrie stehen vor der Aufgabe, deutliche Einsparungen der CO2-Emmissionen zu realisieren. Hierzu braucht es ein integriertes Maßnahmenbündel aus verbindlichen Grenzwerten, motor- und fahrzeugtechnischen Innovationen und verbesserten Kraftstoffen. Was auf dem Papier leicht formuliert werden kann, geht mit qualitativ wie quantitativ bedeutsamen Auswirkungen für die Beschäftigten und ihren Qualifikationsanforderungen einher. In der vielfach euphorisch geführten und überbewerteten Diskussion um E-Mobilität nehmen diese Auswirkungen beispielsweise nur einen geringen Stellenwert ein. An diesem Punkt wird jedoch deutlich, dass technischer Wandel immer auch eine soziale Dimension beinhaltet, die auch über den Kreis der Gewerkschaften hinaus beachtet werden muss.


Ausblick

Die EU und auch die Bundesregierung sollten eine aktive Industriepolitik betreiben. Die historische Erfahrung zeigt, dass eine nachhaltige industrielle Entwicklung sich keineswegs im marktwirtschaftlichen Selbstlauf ergibt. Auch Selbstverpflichtungen der Unternehmen sind für sich genommen kaum erfolgversprechend. Marktwirtschaft und Wettbewerb führen nicht zu ökologisch nachhaltigem Wirtschaften. Der Verbrauch der Umwelt wird ohne staatliche Eingriffe nicht in Preisen wiedergegeben, denn externe Kosten werden nicht internalisiert. Um die Wirtschaft auf ökologischen Innovationskurs zu bringen, braucht es einen Maßnahmenmix aus ökologischer Regulierung, dem Ordnungsrecht sowie wettbewerblicher, steuerlicher und wirtschaftspolitischer Instrumente. Die Stichworte reichen von unterstützender Markteinführung (Programme zur energetischen Gebäudesanierung, Einspeisevergütung) über ökologische Zukunfts-Investitionen (Ausbau einer leistungsfähigen und umweltverträglichen Infrastruktur, nachhaltige Verkehrskonzepte auf der Straße, der Schiene und dem Wasser) bis zu klaren Vorgaben und Grenzwerten, die Technologiesprünge befördern.

Gerade im Zeichen der Krise wird deutlich, dass Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck ist. Vielmehr ist ein stetiges Wachstum in der Perspektive unserer gesellschaftspolitischen Leitvorstellung der Qualität des Lebens und der Gestaltung Guter Arbeit eingebettet. Im Mittelpunkt einer wachstumspolitischen Offensive stehen dabei die gesellschaftliche Wünschbarkeit sowie die Ausrichtung entlang sozial wie ökologisch nachhaltiger Kriterien. Es geht der IG Metall um ein Wachstum zu Gunsten von Arbeit und Umwelt. Von einem solchen Wachstumsweg wollen wir die Menschen überzeugen und sie ermutigen, dazu aktiv zu werden.


Wolfgang Rhode ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.


Anmerkung:
[1] Vgl. zum Aspekt der Demokratisierung den Artikel Demokratie wagen von Alex Demirovic, Lothar Wentzel und Martin Allespach in den Blättern für deutsche und internationale Politik 2/2010


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2010, Heft 177, Seite 33-38
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
Abo-/Verlagsadresse:
spw-Verlag / Redaktion GmbH
Postfach 12 03 33, 44293 Dortmund
Telefon 0231/202 00 11, Telefax 0231/202 00 24
E-Mail: spw-verlag@spw.de
Internet: www.spw.de
Berliner Büro:
Müllerstraße 163, 13353 Berlin

Die spw erscheint mit 6 Heften im Jahr.
Einzelheft: Euro 5,-
Jahresabonnement Euro 39,-
Auslandsabonnement Euro 42,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Mai 2010