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FINANZEN/020: Einbettung der globalen Ökonomie (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 4/2009

Einbettung der globalen Ökonomie
Die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Weltwirtschaftsordnung

Von Anke Hassel


Die notwendige Neuordnung der Weltwirtschaft wird auch zu einer Wende in der bisher praktizierten Form der Liberalisierung führen. Die Globalisierung der Produkt- und Finanzmärkte wird an Fahrt verlieren.


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Im Auge des Tornados wissen wir wenig darüber, wie lange die weltweite Wirtschaftskrise anhalten wird und wie tief die einzelnen Ökonomien in Mitleidenschaft gezogen werden. Wir wissen weder, wie viele Arbeitsplätze vernichtet werden, wie stark sich die Regierungen verschulden werden und wie viel Wachstum vernichtet wird. Noch haben wir eine Ahnung davon, ob Regierungen nicht doch zu protektionistischen Maßnahmen greifen werden, die Ungleichgewichte in der Eurozone die Währungsunion bis an den Rand des Auseinanderbrechens bringen und die osteuropäischen Nachbarn außerhalb der Eurozone nicht um 20 Jahre wirtschaftliche Entwicklung zurückgeworfen werden. Wir wissen auch nicht, ob es gelingen wird die Finanzmärkte zu regulieren, toxische Finanzprodukte von unseren Märkten zu verbannen, Anreizstrukturen für Manager zu verändern, Steueroasen zu schließen und das Geschäftsmodell der Hedgefonds einer kritischen Betrachtung zu unterwerfen.


Falsche Liberalisierung

Was wir jedoch wissen ist, dass im Kern der Finanzkrise ein Wendepunkt einer bestimmten Form der Liberalisierung der Weltwirtschaft erreicht wird, die in den letzten drei Jahrzehnten im zunehmenden Maße aus einer Abkoppelung von wirtschaftlicher und finanzieller Dynamik und sozialen Strukturen bestand, und zwar sowohl auf nationalstaatlicher wie auf globaler Ebene. Auf der Ebene der Nationalstaaten wurden Immobilienblasen als Lösungen für konjunkturelle Schwankungen verkauft. Die Vervielfachung der Immobilienpreise in Großbritannien in den letzten zehn Jahren hat ihr damaliger Schatzminister und heutiger Premierminister Gordon Brown als ein Ende des boom and bust angepriesen. In den USA wurden Kredite und damit die Geldmenge künstlich aufgebläht, um Konsumnachfrage zu erzeugen, ohne dass die realen Löhne der Mehrzahl der Beschäftigten stiegen. In vielen kleinen europäischen Ländern verschuldeten sich sowohl die privaten wie auch die öffentlichen Haushalte bei ausländischen Banken. Global wurde die strukturelle Verschuldung entwickelter Länder durch den massiven Handelsüberschuss Chinas und anderer Gläubigerländer finanziert. Während die Chinesen unter ihren Verhältnissen lebten, haben die Amerikaner sich sowohl ihren Lebensstandard als auch ihre internationalen militärischen Aktivitäten fremd finanzieren lassen.

Während diese regionalen und finanziellen Ungleichgewichte zurzeit weiter bestehen, wird es bei der Neuordnung der Weltwirtschaft durch die Finanzkrise um die Reduzierung dieser Ungleichgewichte und eine hoffentlich nicht zu harte Landung aller betroffenen Ökonomien und Währungsregimes gehen. Die dafür notwendigen Anpassungen von Wechselkursen und damit verbundenem relativen Wohlstand werden alle Länder treffen, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Die Gläubigerländer werden einen Teil ihrer Schulden abschreiben müssen, während die Schuldnerländer ihren Konsum einschränken müssen. Deutschland gehört dabei auf die Seite der Gläubiger, da es durch seine starke Exportorientierung und Außenhandelsüberschüsse die Verschuldung anderer mitfinanziert. Die Weltwirtschaft ist dabei mittlerweile so hochgradig integriert, dass auf den international offenen Märkten der Anpassungsprozess dort stattfindet, wo die Länder ihre Wettbewerbsstärken haben; in Deutschland ist es die Automobilindustrie, in Großbritannien der Bankensektor und in China die Massenproduktion von Textilien und Spielzeug. Die Beschwerden darüber, dass die Abwrackprämie ausländischen Fahrzeugherstellern zugute kommt oder der Versuch, über protektionistische Maßnahmen einheimische Arbeitsplätze zu schützen, sind daher eher kleinteilige und sehr kurz gedachte Formen, diese Anpassung leicht zu verzögern.

Allerdings ist es wahrscheinlich und im Sinne regionaler ökonomischer Gleichgewichte auch in begrenztem Maße wünschenswert, dass auch ohne massive protektionistische Maßnahmen sich das Ausmaß an globaler Arbeitsteilung wieder reduziert. Mit einem weltweit schrumpfenden Finanzsektor wird der verarbeitenden Industrie in den stark deindustrialisierten liberalen Ländern wieder eine größere Rolle zukommen. Die Industrieproduktion in China wird sich in Zukunft stärker auf den Binnenmarkt und andere Schwellenländer und weniger auf Exporte in die USA ausrichten. Integrierte Wertschöpfungsketten globaler Unternehmen werden zwar weiterhin Standortvorteile weltweit ausnutzen, aber Währungsanpassungen und Währungsunsicherheiten könnten die Möglichkeit dieser arbitrage reduzieren. Technologischer Fortschritt hat in der Vergangenheit die Mobilität massiv erhöht; jedoch wird mit der zunehmenden Nutzung des Internets manche physische Mobilität unnötig. Kurz: die Globalisierung der Produkt- und Finanzmärkte wird an Fahrt verlieren, selbst wenn Regierungen nicht aktiv zu protektionistischen Maßnahmen greifen, sondern lediglich versuchen, ihre Standorte im Interesse der Beschäftigten zu stabilisieren. Gefährlich und schädlich wäre dieser Prozess erst dann, wenn er sich systematisch und diskriminierend auf die Entwicklungschancen der weniger entwickelten Länder auswirkte. Die regionalen Verteilungseffekte der Finanzkrise sind jedoch noch völlig offen.


Hin zur globalen Neuordnung

Im Zuge des anstehenden weltwirtschaftlichen Balanceakts wird die größte Herausforderung darin bestehen, das Streben nach nationalstaatlicher Krisenbewältigung im Interesse der nationalen Beschäftigung einerseits und die Auswirkungen des Abbaus globaler Ungleichgewichte andererseits auszutarieren. Um Industrie- und Finanzstandorte langfristig zu schützen, verfügen alle Regierungen über einen politischen Instrumentenkasten, dessen Anwendung einer koordinierten Antwort auf die Krise tendenziell entgegenwirkt. Die Regierungen stark konsumabhängiger Ökonomien betonen die Nachfrageseite stärker als die Regierungen von stark exportorientierten Industrien, die sich direkt industriepolitisch engagieren. Die Auswirkungen dieser Interessenunterschiede sieht man bereits am Unvermögen der europäischen Regierungen, sich auf ein umfassend koordiniertes Vorgehen zu einigen. Einerseits würde es den nationalen Regierungen die Hände für die eigene Konjunkturpolitik zu stark binden und ihren Interessen nicht vollständig entsprechen. Andererseits müsste im Interesse einer weiter offenen globalen Ökonomie auch die EU als Ganzes stärker strategische Antworten auf die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone wie auch in Osteuropa suchen.

Es gibt aus diesem Dilemma keinen Königsweg außer demjenigen, dass man das Problem erkennt und die nationalstaatlichen Einzelinteressen als prinzipiell legitime Bestandteile eines europäisch und global koordinierten Vorgehens akzeptiert. In Anbetracht des erheblich größeren politischen und ökonomischen Sachverstands in den nationalen Ministerien sowie einer Reihe internationaler Organisationen als noch zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise sollte es möglich sein, die relativen Kosten- und Nutzenanteile nationalstaatlicher Beiträge zur Krisenbewältigung zu bewerten und in die Gipfelgespräche der G20 oder G21 einzubringen, ohne auf nationale Ressentiments oder Vorwürfe der Unfähigkeit und Untätigkeit zurückgreifen zu müssen.

In der Sache selbst bleibt zu hoffen, dass die Krise eine Wende hin zu einer stärker balancierten globalen Wirtschaftsordnung einleitet. Bretton Woods war das Sinnbild eines in den Worten von John Ruggie "eingebetteten Liberalismus", bei dem die durch die große Depression und zwei Weltkriege hinreichend geprägten Regierungen einen Ausgleich zwischen der notwendigen wirtschaftlichen Stabilität nationaler Ökonomien und dem wirtschaftlichen Fortschritt durch einen geregelten, aber im Grundsatz freien Handel und Finanzverkehr suchten und fanden. Insofern stimmt die oftmals erwähnte Analogie der Suche nach einem "Neuen Bretton Woods". Substanziell werden die Lösungen aufgrund der neuen Wirtschaftsmächte und Neuentwicklung der Finanzmärkte und -technologien ganz anders aussehen. Neue wirtschaftliche Verhältnisse erfordern neue Formen der "Einbettung" in soziale und politische Strukturen. Sie wird nicht von alleine entstehen, aber das grundsätzliche Interesse an einer stärkeren Einbettung der globalen Ökonomie sollte in allen Regierungszentralen größer sein als ihr Scheitern.


Anke Hassel (* 1965) ist Professorin für Public Policy an der Hertie School of Governance in Berlin.
hassel@hertie-school.org


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 4/2009, S. 45-48
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2009