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FINANZEN/077: So soll die Währungsunion stabilisiert werden (BMF)


Bundesministerium der Finanzen (BMF) - Newsletter vom 18. Mai 2010

So soll die Währungsunion stabilisiert werden
Mitgliedstaaten beschließen umfangreiches Maßnahmenpaket


Wir beantworten die wichtigsten Fragen:

Welche Maßnahmen wurden beschlossen?
Wie funktioniert der Europäische Stabilisierungsmechanismus?
Wie beteiligt sich die EZB an dem Maßnahmenpaket?
Warum ist das Maßnahmenpaket notwendig?
War die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen nicht bereits absehbar als das Gesetz zur Ermächtigung der Nothilfen für Griechenland in Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde?
Was hat Deutschland von dem Maßnahmenpaket?
Ist damit zu rechnen, dass Kredite nicht zurückgezahlt werden bzw. der Bürgschaftsfall eintritt?
Bedeutet der Europäische Stabilisierungsmechanismus aber nicht de facto den Einstieg in die Transferunion?
Ist die Unabhängigkeit der EZB durch den Ankauf europäischer Staatsanleihen gefährdet?
Sind die Spekulanten - vor allem die Hedge Fonds - Schuld an dieser Krise?
Ist der europäische Finanzstabilisierungsmechanismus mit EU-Recht vereinbar?
Welche Lehren ziehen wir aus der Krise?

Welche Maßnahmen wurden beschlossen?

Der Rat und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben am Sonntag, dem 9. Mai, ein umfassendes Paket von Maßnahmen zur Wahrung der Finanzstabilität in Europa beschlossen.

Erstens wurde am Sonntag im Namen der dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten die Darlehensvereinbarung mit Griechenland unterzeichnet.
Zweitens haben Portugal und Spanien zugesichert, in den Jahren 2010 und 2011 erhebliche zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen zu ergreifen, um damit zusätzliches Vertrauen an den Märkten zu schaffen.
Drittens wurde beschlossen, einen europäischen Stabilisierungsmechanismus zu schaffen, mit dem im Bedarfsfall die drohende Zahlungsunfähigkeit eines Mitglieds der Eurozone abgewendet werden soll. Hierfür ist ein Finanzmittelvolumen von bis zu 60 Mrd. EUR vorgesehen. Darüber hinaus und ergänzend zu diesen Mitteln haben sich die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets bereit erklärt, eine Zweckgesellschaft zu gründen, für die die teilnehmenden Mitgliedstaaten anteilig bis zu einem Volumen von 440 Mrd. EUR bürgen bzw. garantieren. Die Zweckgesellschaft kann drei Jahre lang Kredite vergeben. Der auf Deutschland entfallende Anteil an der Bürgschafts- bzw. Garantiesumme soll sich auf bis zu 123 Mrd. EUR belaufen - entsprechend dem Prozentanteil der Bundesrepublik am Kapital der Europäischen Zentralbank (EZB). Der Internationale Währungsfonds (IWF) wird sich an den Finanzierungsvereinbarungen ebenfalls beteiligen, wobei erwartet wird, dass der IWF mindestens die Hälfte des Beitrags der EU bereitstellen wird.

Deutschland hat sich mit seiner Position bzgl. der Struktur des Stabilisierungssystems durchgesetzt, das nicht unmittelbar bei der Europäischen Kommission angesiedelt ist, sondern auf bilateralen Garantien basiert. So bleibt der Einfluss der nationalen Garantiegeber vollständig gewahrt.

Die konkrete Gefährdung der Zahlungsfähigkeit eines Mitgliedstaates des Euro-Währungsgebiets wird durch die Staaten des Euro-Währungsgebiets unter Ausschluss des betroffenen Landes gemeinsam mit dem IWF und der EZB festgestellt. Bürgschaften werden nur für Darlehen übernommen werden, die bis zum 30. Juni 2013 ausgereicht wurden.

Der am 11. Mai 2010 vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzentwurf ermächtigt das Bundesministerium der Finanzen, Bürgschaften für Kredite der Zweckgesellschaft an Mitgliedstaaten der Euro-Zone, deren Zahlungsfähigkeit konkret gefährdet ist, zu übernehmen, sofern diese Kredite als Notmaßnahmen zum Erhalt der Zahlungsfähigkeit des betroffenen Mitgliedstaates erforderlich sind, um die Finanzstabilität in der Währungsunion sicherzustellen. Der Bürgschaftsbeitrag der Bundesrepublik beträgt maximal 147,6 Mrd. EUR : (Die bereits genannten) 123 Mrd. EUR plus ggf. 24,6 Mrd. EUR, abhängig davon ob ein Land und wenn ja, welches Land einen Kredit braucht und damit als Bürge ausfällt. Der Bürgschaftsrahmen von 123 Mrd. EUR wird nur erweitert, wenn der Haushaltsausschuss des Bundestages zustimmt.


Wie funktioniert der Europäische Stabilisierungsmechanismus?

Die 60 Mrd. EUR können ab sofort eingesetzt werden, um einem Mitgliedsstaat des Euro-Währungsgebiets in Schwierigkeiten zu helfen. Sollte das nicht ausreichen, kann auf die 440 Mrd. EUR zugegriffen werden. Die - noch zu gründende - Zweckgesellschaft würde die Refinanzierung des Kredits auf der Basis der Bürgschaften/Garantien zu günstigen Bedingungen am Kapitalmarkt aufnehmen und ohne Zinsverlust an den kreditnehmenden Staat weiterreichen.

Aber jeder Kredit wird vorher von der EU-Kommission zusammen mit EZB und IWF geprüft. Der Kredit wird nur dann vergeben, wenn der kreditnehmende Staat sich verpflichtet, seinen Haushalt zu konsolidieren und strukturelle Reformen umzusetzen. So wird sichergestellt, dass der Kredit wieder zurückgezahlt wird und das Land zukünftig keine Kredite mehr braucht.


Wie beteiligt sich die EZB an dem Maßnahmenpaket?

Der EZB-Rat hat in unabhängiger Verantwortung ebenfalls mehrere Maßnahmen beschlossen, um den starken Spannungen in einigen Marktsegmenten entgegenzuwirken, die den geldpolitischen Transmissionsmechanismus und damit die effektive Durchführung einer auf mittelfristige Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik beeinträchtigen.

Hierzu gehört der Beschluss des EZB-Rats, aufgrund der außergewöhnlichen Marktsituation Interventionen an den Märkten für öffentliche und private Schuldverschreibungen im Euro-Währungsgebiet durchzuführen, um die Markttiefe und -liquidität in den gestörten Marktsegmenten sicherzustellen.


Warum ist das Maßnahmenpaket notwendig?

Wir sollten uns an den Beginn der globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise im September 2008 erinnern. Mit der - im Nachhinein - falschen politischen Entscheidung der US-Regierung, die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Konkurs gehen zu lassen, wurde das Weltfinanzsystem an den Rand des Abgrunds gebracht und die globale Realwirtschaft in eine tiefe Rezesion gestürzt - beides verbunden mit horrenden ökonomischen wie nicht-ökonomischen Kosten, von denen der Verlust von Millionen Arbeitsplätzen weltweit nur einen Ausschnitt der schmerzhaften Konsequenzen darstellt.

Auch und gerade vor diesem Hintergrund gilt einmal mehr: Nichtstun und Abwarten ist die teuerste Alternative! Wir würden viel mehr Geld verlieren, wenn wir zuschauen und das Entstehen einer kaskadenartigen Krise, die im schlimmsten Fall zum Auseinanderbrechen der Währungsunion führen könnte, zulassen würden, die wir politisch nicht mehr beherrschen können.

Eine Lehre, die wir aus der Finanzmarktkrise der letzten Jahre, aber auch aus früheren Finanzkrisen ziehen können ist, dass die Politik den Märkten nicht hinterher laufen darf. Es muss der Politik vielmehr gelingen, den Markt zu überraschen und die Wetten der Marktakteure ins Leere laufen zu lassen. Genau dafür hat die EU jetzt die Voraussetzungen geschaffen. Sie hat ein richtiges und wichtiges Signal gegen die Spekulation und ein deutliches Vertrauenssignal dafür gesetzt, dass die Staaten der Eurozone ihren Zahlungsverpflichtungen in jedem Fall nachkommen werden. Wäre dieses Vertrauen erst einmal verloren gegangen, würde es sehr lange dauern - und es wäre sehr teuer - es wieder zurück zu gewinnen.

Die Politik musste auch deshalb so schnell und kraftvoll handeln, weil aufgrund der Reaktion der Märkte auf die angespannte Situation in Griechenland die Lage auf den Finanzmärkten für andere Länder der Währungsunion zunehmend schwieriger wurde. Ihre Refinanzierungsbedingungen begannen sich deutlich zu verschlechtern. Wir beobachteten Überreaktionen, offenbar verstärkt durch spekulative Attacken, auf den Finanzmärkten. Kurz: das Ansteckungsrisiko für andere Länder nahm Ende vergangener Woche rapide zu.

Deshalb wurde am Sonntag nicht nur das Unterstützungspaket für Griechenland verabschiedet. Um ein "Contagion", eine Ansteckung anderer Länder zu verhindern, haben wir beschlossen, einen europäischen Stabilisierungsmechanismus zu schaffen und gleichzeitig die potenziell gefährdeten Länder zur beschleunigten Haushaltskonsolidierung verpflichtet.


War die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen nicht bereits absehbar als das Gesetz zur Ermächtigung der Nothilfen für Griechenland in Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde?

Als das Gesetz zur Ermächtigung der Nothilfen für Griechenland von Bundestag und Bundesrat am 7. Mai 2010 verabschiedet wurde, waren weitere Maßnahmen nicht absehbar. Diese wurden erst aufgrund der dramatischen Entwicklungen am Freitagnachmittag notwendig. Die Anleihe-Spreads, also die Zinsdifferenz zwischen griechischen, portugiesischen, spanischen und irischen Staatsanleihen gegenüber deutschen Staatsanleihen, stiegen am Freitag innerhalb kurzer Zeit drastisch und erreichten neue Höchststände. Auch die Credit Default Swaps-Prämien, also die Kosten für die Versicherung gegen Ausfälle dieser Staatsanleihen, stiegen drastisch an. Man konnte den Eindruck

gewinnen, dass auf den Zahlungsausfall bei diesen Staatsanleihen gewettet wurden. Schließlich wurden auch teilweise Staatsanleihen der betroffenen Eurozonenländer von Banken nicht mehr als Sicherheiten bei der Kreditvergabe akzeptiert. Der Geldmarkt drohte auszutrocknen, da Banken sich aufgrund der Unsicherheit über die Sicherheiten aber auch über das Exposure ihrer Gegenparteien, d.h. das Engagement in Anleihen der betroffenen Eurozonenländer, kaum noch Geld liehen. Bankenzusammenbrüche waren möglich. Es kam zu heftigen Kursverlusten an den Börsen, insbesondere für Finanzwerte. Der Euro geriet erneut unter enormen Druck.

Aufgrund dieser dramatischen Entwicklung auf den Märkten gab es am Freitagnachmittag eine Telefonkonferenz der G7-Finanzminister. Die Finanzminister waren sich einig, dass die Gefahr des Zusammenbruchs der Währungsunion und erneuter erheblicher Verwerfungen an den Finanzmärkten innerhalb kurzer Zeit enorm gestiegen sei. Die Lage auf den Märkten sei dramatisch.

Am Freitagabend informierte EZB-Präsident Trichet die Staats- und Regierungschefs der Eurozone über die aktuellen Entwicklungen und stellte ebenfalls fest, dass sich die Lage an den Finanzmärkten innerhalb kurzer Zeit dramatisch verschlechtert habe und sich weiter verschlechtere.

Aufgrund dieser neuen Entwicklungen und Informationen haben die Staats- und Regierungschefs dann die Schaffung des europäischen Stabilisierungsmechanismus beschlossen, um die Währungsunion und damit den Euro zu stabilisieren.


Was hat Deutschland von dem Maßnahmenpaket?

Das Maßnahmenpaket ist kein Akt der Barmherzigkeit für Griechenland und kein Bail-out für die Banken, sondern in unserem deutschen Interesse, im Interesse aller deutschen Bürgerinnen und Bürger. Ohne dieses Paket ist die Stabilität des Euro und der Eurozone und damit die Stabilität der deutschen Wirtschaft und die Sicherheit deutscher Arbeitsplätze gefährdet.

Gerade als mehrfacher "Exportweltmeister" mit unseren international hochgradig wettbewerbsfähigen Unternehmen und Produkten profitieren wir in ganz besonderer Weise von der stabilen, einheitlichen Währung - zum Beispiel, indem innerhalb der Eurozone jegliche Wechselkursrisiken entfallen. Das bringt den deutschen Unternehmen Jahr für Jahr Einsparungen von ca. 10 Mrd. EUR, die sie ansonsten für die erforderlichen Kurssicherungsgeschäfte ausgeben müssten.

Noch bedeutender aber ist, dass wir den Erfolg unserer Produkte und Unternehmen im Wesentlichen dem Euro und dem europäischen Binnenmarkt mit seinen mehr als 500 Mio. Konsumenten verdanken: Immerhin zwei Drittel der deutschen Exporte gehen in die Länder der Europäischen Union. Der Deutsche Industrie- und Handelstag hat errechnet, dass der gemeinsame Binnenmarkt bei uns in Deutschland rund 5,5 Millionen Arbeitsplätze sichert.

Wir haben auch kein Interesse an einem schwachen Euro. Zwar würde dies kurzfristig die Produkte der Eurozone im Ausland verbilligen. Mittelfristig würden extreme Verwerfungen zwischen den Währungen unserer Wirtschaft aber schaden.

Die Wiedereinführung der DM wäre übrigens auch keine Alternative. Es ist ja kein Zufall, dass, selbst in dieser für den Euro so schwierigen Zeit, kein einziges deutsches Unternehmen die DM wieder einführen will. Die Wiedereinführung wäre mit einer derart raschen und massiven Aufwertung der DM verbunden, dass wir einen Großteil unserer Exporte nicht mehr absetzen können und die Arbeitslosenzahlen rapide steigen würden.


Ist damit zu rechnen, dass Kredite nicht zurückgezahlt werden bzw. der Bürgschaftsfall eintritt?

Ein Ausfall ist unwahrscheinlich, da die Konditionalitäten, also die wirtschafts-, struktur- und haushaltspolitischen Auflagen, die das jeweilige Land im Falle der Inanspruchnahme von Krediten aus dem Stabilisierungsmechanismus zu erfüllen hätte, ja auch dem Ziel dienen, die Rückzahlung des Kredits sicherzustellen. Die Auszahlung erfolgt zudem nur tranchenweise. Und immer nur dann, wenn die vereinbarten Konditionalitäten erfüllt sind. Die EU-Kommission wird dies in Abstimmung mit der EZB und dem IWF sorgfältig und regelmäßig überprüfen. Wenn die Vorgaben nicht erfüllt werden, werden dem jeweiligen Land - wie auch bei jedem IWF-Programm - keine weiteren Kredite zur Verfügung gestellt.


Bedeutet der Europäische Stabilisierungsmechanismus aber nicht defacto den Einstieg in die Transferunion?

Ein Kredit ist kein Transfer. Ein Kredit wird mit Zinsen zurückgezahlt, ein Transfer nicht. Das ist ein entscheidender Unterschied. Nochmals: Kredite und Garantien des Europäischen Stabilisierungsmechanismus werden nur unter strengen Auflagen vergeben und nur zu Konditionalitäten, die denen des IWF vergleichbar sind.

Durch diesen Mechanismus, der streng konditionierte, rückzahlbare, verzinsliche Kredite bzw. Garantien, für Länder mit außergewöhnlichen Zahlungsbilanzschwierigkeiten vorsieht, vermeiden wir gerade eine Transfergemeinschaft innerhalb der Eurozone. Die Länder gesunden nachhaltig und wir erhalten unser Geld zurück.


Ist die Unabhängigkeit der EZB durch den Ankauf europäischer Staatsanleihen gefährdet?

Der EZB-Rat hat die Entscheidungen über seine - temporären - Maßnahmen in seiner Verantwortung für den Euro und die Europäische Währungsunion getroffen. Die EZB ist unabhängig und sie wird unabhängig bleiben. Das war und ist eine conditio sine qua non Deutschlands und daran wird sich nichts ändern.

Der Kauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt stellt die Unabhängigkeit der EZB nicht in Frage! Der Kauf der Staatsanleihen wird auch keine inflationäre Wirkung haben. Die EZB wird die zusätzliche Liquidität, die sie dem Markt durch den Kauf vorübergehend zuführt, wieder sterilisieren, d. h. zurückführen. Der Kauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt ist für eine Zentralbank auch nicht ungewöhnlich. Die - unabhängige - amerikanische Notenbank, die Fed, hat Staatsanleihen gekauft, als das während der Bankenkrise notwendig war. (Übrigens auch die Bank of England.)


Sind die Spekulanten - vor allem die Hedge Fonds - Schuld an dieser Krise?

Die ohnehin schwierige Situation ist wahrscheinlich durch Spekulanten noch verschlimmert wurden, die gegen den Euro wetteten oder darauf, dass ein Land wie Griechenland seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann.

In erster Linie haben aber die zu hohen Haushaltsdefizite und Staatsschulden einiger Länder der Eurozone die Krise verursacht. Ohne zu hohe Haushaltsdefizite bzw. Staatsschulden wären die Länder nicht in Schwierigkeiten geraten. Einige Länder haben einfach zu lange über ihre Verhältnisse gelebt. Das konnte nicht gut gehen und ist nicht gut gegangen.

Dass infolge der Finanzkrise das Wachstum in Europa und weltweit einbrach, half allerdings auch nicht. Und natürlich spielen auch die Laufzeiten der Staatsanleihen, das heißt die Refinanzierungszeiträume und die Refinanzierungsvolumina, sowie die Investorenbasis - d.h. ob die Schulden im Wesentlichen im Ausland aufgenommen wurden - eine große Rolle.


Ist der europäische Finanzstabilisierungsmechanismus mit EU-Recht vereinbar?

Wir brechen keine Norm des EU-Vertrags.

Gemäß Artikel 122 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist vorgesehen, Mitgliedstaaten, die aufgrund von außergewöhnlichen Ereignissen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen sind, einen finanziellen Beistand zu gewähren. Derartige außergewöhnliche Ereignisse liegen derzeit ohne Zweifel vor: Die Verschärfung der Finanzkrise hat für mehrere Mitgliedstaaten des Eurogebiets zu einer gravierenden Verschlechterung der Kreditkonditionen geführt, die darüber hinausgeht, was sich durch wirtschaftliche Fundamentaldaten erklären und rechtfertigen ließe. Wird in dieser Situation nicht umgehend gehandelt, könnten Stabilität, Einheit und Integrität des Eurogebiets insgesamt ernsthaft bedroht sein.

Angesichts dieser außergewöhnlichen Situation, die sich der Kontrolle der Mitgliedstaaten entzieht, erscheint es notwendig, unverzüglich einen EU-Mechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität in Europa einzuführen. Dieser Mechanismus sollte die Union in die Lage versetzen, auf akute Schwierigkeiten in einem Mitgliedstaat des Eurogebiets koordiniert, rasch und wirksam zu reagieren.


Welche Lehren ziehen wir aus der Krise?

ERSTENS, wir brauchen eine nachhaltige Stabilisierung der Finanzmärkte - vor allem durch eine verbesserte Regulierung und Aufsicht. Hier kann und wird Europa einen wichtigen Beitrag leisten.

Wir können nicht in zwei Jahren korrigieren, was in 20 Jahren falsch emacht wurde. Aber bei der Reform der Finanzmärkte gibt es durchaus schon greifbare Ergebnisse:

Alle G20-Länder haben bereits für eine durchschlagskräftigere Finanzaufsicht gesorgt. Insbesondere haben sie die länderübergreifende Zusammenarbeit mit der Einrichtung von so genannten Aufsichtskollegen und Krisenmanagementgruppen für alle bedeutenden grenzüberschreitend tätigen Finanzinstitute deutlich verbessert. Dies wird dazu beitragen, dass wir Schieflagen früher erkennen entsprechend eingreifen können.
Alle großen G20-Ländern haben bereits klügere Kompensations- und Haftungsregeln eingeführt, die dazu beitragen werden, dass langfristiger Erfolg und nicht kurzfristige Renditemaximierung honoriert wird.
Ferner wurde die Regulierung von Ratingagenturen in Angriff genommen. In der EU haben wir Ende 2009 eine Rating-Verordnung verabschiedet, deren Umsetzung jetzt beginnt und die Ratingagenturen der Finanzaufsicht unterstellt.
Schließlich haben die G20-Länder bereits im Sommer 2009 eine erste Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der Banken beschlossen, die bis Ende dieses Jahres von allen G20-Ländern umgesetzt wird. Derzeit wird mit Hochdruck an einer komplett überarbeitetes Eigenkapital- und Liquiditätsregime, sozusagen Basel III, gearbeitet.
Wir würden die wirtschaftliche Erholung aber gefährden, wenn wir die Finanzinstitute bereits zum jetzigen Zeitpunkt durch zu harte Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen überfordern würden. Wenn die wirtschaftliche Erholung da ist, müssen aber die umfassenden neuen Regeln von den Banken umgesetzt werden. Das ist bereits beschlossen. Alle G20-Länder werden "Basel III" einführen.

ZWEITENS, die finanz- und wirtschaftspolitische Überwachung in der Eurozone funktioniert nicht ausreichend. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt - insbesondere sein präventiver Arm - muss gehärtet werden. Weil es hier Fehlentwicklungen gegeben hat, hat der Bundesfinanzminister vor einigen Wochen mehrere Elemente für eine Reform der finanz- und wirtschaftspolitischen Überwachung in der Währungsunion vorgeschlagen.

Dazu gehört die Verschärfung der Defizitverfahren im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, eine Koordinierung, die neben der Finanzpolitik auch die Wirtschaftspolitik umfasst und die Schaffung eines permanenten Krisenmechanismus inklusive der Möglichkeit einer geordneten staatlichen Insolvenz für Mitglieder der Eurozone. Dabei werden wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, die uns der jetzige Rechtsrahmen bietet. Wir werden aber eine Ergänzung der Europäischen Verträge nicht von vorne herein ausschließen. Denn das Ziel jeder Reform muss es sein, die finanzpolitische Abstimmung und die finanzpolitische Disziplin der Euro-Mitgliedstaaten zu stärken und die Eurozone krisenfester und robuster zu machen.


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Quelle:
BMF-Newsletter vom 18.05.2010
Herausgegeben vom Referat K (Kommunikation) des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2010