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FORSCHUNG/899: Den Giganten der Weltwirtschaft auf der Spur (highlights - Universität Bremen)


"highlights" - Heft 35 / Winter 2017/2018
Forschungsmagazin der Universität Bremen

Den Giganten der Weltwirtschaft auf der Spur


Die Ökonomin Sarianna Lundan und ihr Team erforschen, wie die "Global Player" agieren - und welche Auswirkungen das hat.


Google, Amazon, Apple, Microsoft, Daimler, Exxon-Mobil, Walmart, Gasprom - das sind einige der bekanntesten weltumspannenden Konzerne. Sie agieren und investieren in vielen Ländern, machen Geschäfte mit sich selbst, nutzen Steuerschlupflöcher und nehmen zentrale Rollen in der globalen Wirtschaft ein. Doch es existiert nur wenig Wissen, wie genau diese Unternehmen wirtschaften, welches ihre Strategien sind und welche Folgen ihr weltweites Engagement hat. Licht ins Dunkel bringen die Wirtschaftswissenschaftlerin Sarianna Lundan und ihre Arbeitsgruppe vom "Lehrstuhl für Internationales Management und Governance" (IMG) der Universität Bremen. Mit ihrer ökonomischen Grundlagenforschung will sie herausbekommen, wie die "Global Player" ticken und welches die Auswirkungen ihres internationalen Geschäftsmodells sind.

"Uns interessieren die Großen", sagt Sarianna Lundan. Die Finnin zählt zu den herausragenden Forscherinnen, wenn es um das International Business geht. Sie hat lange mit der Koryphäe auf diesem Gebiet - dem britischen Ökonomen John H. Dunning - zusammengearbeitet. Seit 2010 leitet Lundan den Lehrstuhl für Internationales Management und Governance an der Bremer Uni. "Die globalen Konzerne sind als Forschungsgegenstand faszinierend. Sie sind innovativ, geschickt, leistungsfähig. Sie haben außerordentliche Fähigkeiten und nutzen neueste Technologien. Sie sind gut gemanagt, verfolgen einen klaren Wachstumskurs und investieren und agieren über Grenzen hinweg. All das hat vielfältige Folgen - für das Land, aus dem sie stammen ebenso wie für das Land, in das sie gehen. Für die Wirtschaft, die Beschäftigten, die Politik, die Verwaltung, die Märkte, die Gesetzgebung und vieles mehr."

Lundan und ihr Team verfolgen, was genau dabei passiert und wie die Großunternehmen vorgehen. Echte Grundlagenforschung, denn auf diesem noch recht jungen Feld der Wirtschaftswissenschaften gibt es bislang nur wenige Erkenntnisse. "Beim International Management untersuchen wir, welche Strategien die Konzerne verfolgen, welche Strukturen sie haben. Wie organisieren und koordinieren sie ihre Schritte über alle Grenzen hinweg", erläutert die Ökonomin. "Auf der Seite der Governance geht es um die Regulierung oder Lenkung dieser Entwicklungen. Wie beeinflusst beispielsweise die Ansiedlung eines Unternehmens in einem Land die dortigen Arbeits- und Lebensverhältnisse, die Politik und die Gesetzgebung?"


BMW: Fabrik steht in den USA

Ein Beispiel: Der größte Produktionsstandort des Autobauers BMW steht nicht in Deutschland, sondern in den USA. In Spartanburg (South Carolina) hat sich der Konzern Mitte der 1990er-Jahre angesiedelt. Mittlerweile fertigen dort mehrere tausend Menschen die neuesten BMW-Modelle. Mehr als 20.000 Jobs sind zudem in der Zulieferindustrie entstanden. Ein typischer Fall, so Sarianna Lundan. "Kapital kommt rein, es werden Jobs geschaffen, es gibt einen Technologietransfer. Uns interessieren die unmittelbaren und die verzögerten Effekte. So gibt es nicht selten Veränderungen im Bildungssektor: Mehr Menschen wird der Zugang zu höherer Bildung ermöglicht. Oder sie erhalten spezifische Trainings, um bei dem neu angesiedelten Unternehmen einen Job zu bekommen. Oder die Politik will weitere automobilnahe Technologien ansiedeln, damit die Region zu einem Cluster der Automobilindustrie wird."

Ein Interessenschwerpunkt der Bremer Ökonomen liegt auf den Verhandlungsprozessen vor einer Ansiedlung. Was genau wird dort besprochen und vereinbart? Mit welchen Anreizen versuchen Politik und Wirtschaftsförderung, ein Unternehmen zu Investitionen zu bringen? Welche Forderungen stellen die Firmen auf? Welche harten und weichen Faktoren beeinflussen ihre Entscheidung für einen Standort?


Milliardengewinne, niedrige Steuern

Ein anderes Projekt befasst sich mit Finanzströmen innerhalb und um die multinationalen Firmen. Diese nutzen oft die verschiedenen Gesetzgebungen der Länder aus: Milliardengewinne einfahren, aber kaum Steuern zahlen - damit haben sich Amazon und Apple einen schlechten Namen gemacht. Google schaffte es sogar als Negativbeispiel in einen deutschen Wikipedia-Beitrag über das grenzüberschreitende Verschieben von Gewinnen durch multinationale Konzerne. Über die USA, Niederlande, Irland und die Bermudas liefen die Google-Finanztransaktionen - so lange, bis kaum noch Gewinn zu versteuern war.

Möglich wird dies durch die "Verrechnungspreise", die die Unternehmen bei Geschäften mit sich selbst ansetzen. "Dienstleistungen und Güter, die innerhalb des weltweit aufgestellten Unternehmens ausgetauscht werden - also beispielsweise zwischen Google Irland und Google Bermudas - werden nicht nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage abgerechnet. Sondern nach Regeln und Grundsätzen, die Google selbst aufgestellt hat", so Sarianna Lundan. "Mindestens ein Drittel des Welthandels - wahrscheinlich aber mehr - besteht aus diesen Verrechnungsgeschäften. Die interessieren uns natürlich sehr. Aber es ist schwierig, an detaillierte Zahlen zu kommen." Besonders knifflig ist die Problematik der Verrechnungspreise, wenn nicht "harte" Güter gehandelt werden, sondern - wie zum Beispiel bei Google und Amazon - geistiges Eigentum.

Die 35 Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kämpfen mittlerweile gegen die Steuervermeidung. Im Zuge des "Base Erosion and Profit Shifting" (BEPS)-Projekts - zu Deutsch: Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung - will man sowohl den "Steuerwettbewerb" der Staaten untereinander als auch die "aggressiven Steuerplanungen international tätiger Konzerne" bekämpfen. "Steuerparadiese wie die englischen Kanalinseln oder Karibik-Staaten sollen ausgetrocknet werden", so Sarianna Lundan. Auch bei diesen politischen Entwicklungen sind die Finnin und ihre Arbeitsgruppe forschend dabei: Wie werden die 2015 verabschiedeten 15 Punkte des OECD-Aktionsprogrammes in nationale Standards überführt? Wie beeinflusst die "neue Generation von Regeln" das Handeln und Wirtschaften der Großkonzerne?

Es ist ein ungemein breites Forschungsfeld: Nationale Ökonomien, in denen sich einheimische und ausländische Firmen tummeln; riesige Finanzströme, die in ein Land und aus ihm heraus fließen; nationale und internationale Regulierungen und Gesetze, transparente und geheime wirtschaftliche Entscheidungen, Geschäftspläne für nationale Märkte ebenso wie weltumspannende Business-Strategien. "Wir analysieren mit nur wenigen Jahren Abstand die vielfältigen ökonomischen Folgen, die die Globalisierung in der jüngeren Vergangenheit mit sich gebracht hat", sagt Sarianna Lundan. Dabei ist es oft schwer, überhaupt an Datenmaterial zu kommen. "Wir werten aus, was wir kriegen können - Zahlen von internationalen Organisationen wie der Weltbank oder der OECD, Geschäftsberichte, Interviews mit Akteuren, Wirtschaftsartikel." Viele aktuelle Daten werden erst in der Zukunft wichtig: "Im Moment schauen alle auf die USA, denn unter Donald Trump werden derzeit viele Stellschrauben des globalen Wirtschaftens wieder zurückgedreht. Welche Auswirkungen das hat, zeigt sich erst in einigen Jahren. Die Arbeit geht uns nicht aus."


Bremen anerkanntes Forschungszentrum

Der Lehrstuhl von Sarianna Lundan und damit die Universität Bremen sind mittlerweile zu einem der anerkannten Zentren der International Business-Forschung geworden. Schon 2013 organisierten Lundan und ihr Team die "European International Business Academy" (EIBA), zu der mehr als 400 Experten aus aller Welt in die Hansestadt kamen. Zudem ist Sarianna Lundan Vizepräsidentin der "Academy of International Business (AIB)" mit 3.500 Mitgliedern. Die Organisation ist verantwortlich für das hochrangige "Journal of International Business Studies", bei dem Sarianna Lundan als Redakteurin beteiligt ist. Besonders stolz ist sie aber darauf, demnächst als Chefredakteurin mit dem "Journal of International Business Policy" ein zweites Fachmagazin der AIB herauszugeben - "eine Publikation, in der diejenigen schreiben, die sich unmittelbar mit der Regulierung der internationalen Wirtschaft beschäftigen."

Prof. Dr. Sarianna M. Lundan
Lehrstuhl für Internationales Management
und Governance (IMG)
Telefon +49 421 218-66550
E-Mail: s.lundan@uni-bremen.de
www.img.uni-bremen.de

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Quelle:
highlights - Forschungsmagazin der Universität Bremen
Heft 35 / Winter 2017/2018, Seite 24-29
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion, Texte:
Karla Götz, E-Mail: karla.goetz@uni-bremen.de, Text Seite 24-29
Kai Uwe Bohn, E-Mail: kai.uwe.bohn@uni-bremen.de
Universitäts-Pressestelle:
Postfach 330440, 28334 Bremen
Telefon: 0421/218-601 50
E-Mail: presse@uni-bremen.de
Internet: www.uni-
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hihglights ist erhältlich bei der Universitäts-Pressestelle.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2017

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