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INTERNATIONAL/077: Brasilien - Porto Velho droht der Niedergang, Hoffnungen auf Handel mit Peru (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. März 2012

Brasilien: Porto Velho droht Niedergang nach Abschluss von Megaprojekten - Hoffnungen auf Handel mit Peru

von Mario Osava

Das vom Wasserkraftwerk Santo Antônio überschwemmte Dorf Vila Teotonio - Bild: © Mario Osava/IPS

Das vom Wasserkraftwerk Santo Antônio überschwemmte Dorf Vila Teotonio
Bild: © Mario Osava/IPS

Porto Velho, 6. März (IPS) - Der Handel mit Peru soll der brasilianischen Hafenstadt Porto Velho im Nordwesten Brasiliens über den Verlust von zehntausenden Arbeitsplätzen hinweghelfen, die durch zwei Wasserkraftwerke am Rio Madeira entstanden sind.

Die Bauarbeiten an den Stauanlagen Jirau und Santo Antônio hatten im letzten Jahr 40.000 Menschen beziehungsweise neun Prozent der Bevölkerung Porto Velhos, der Hauptstadt des Bundesstaates Rondônia, beschäftigt. In vier Jahren ist alles vorbei. Dann werden viele Menschen ihre Jobs und Einnahmequellen verlieren, wie der Vorsitzende des Industrieverbands von Rondônia, Gilberto Baptista, prognostiziert.

Doch andere Experten sehen durchaus Grund zu Hoffnung. So werde der Bausektor, der in Brasilien derzeit eine Hoch-Zeit erlebt, einen Großteil der Arbeitskräfte auffangen, sind sie überzeugt. Porto Velho erlebt schon jetzt einen regelrechten Bauboom. Hier werden neue Wohnhäuser und eine Brücke über den Madeira-Fluss gezogen, die zunächst den Weg in Richtung Norden und dann in Richtung Südwesten und Peru öffnen soll.

Abgesehen davon, dass sich die Arbeiter durch die Mitarbeit an den Wasserkraftwerken beruflich weiterbilden konnten, werden die Dämme die Produktionskapazitäten der lokalen Unternehmen stärken, ist sich Baptista sicher. Dadurch werde die Nachfrage aus Peru nach qualitativ hochwertigen Gütern und Dienstleistungen steigen. Zu den Hauptexportgütern Rondônias gehören Fleisch- und Milchprodukte.


Absatzmarkt Peru

Das Nachbarland verbucht ein höheres Wirtschaftswachstum als Brasilien und könnte deshalb zu einem "viel versprechenden Absatzmarkt" für Erzeugnisse aus Rondônia werden, zumal die Interozeanische Autostraße den gesamten peruanischen Süden mit Brasilien verbindet.

Allerdings ist die Entfernung zwischen Rondônia und Peru groß. Von Porto Velho bis zur Grenze sind es 880 Kilometer Straße, die den brasilianischen Grenzstaat Acre durchschneidet. Und doch kommt Rondônia aufgrund seiner diversifizierten Wirtschaft eine wichtige Rolle bei der Integration der Andenbewohner zu. Auch der gute Anschluss sowohl an den Norden als auch an den mittleren Süden Brasiliens mit seinen 1,6 Millionen Menschen werde sich bezahlt machen, ist Baptista überzeugt. Acre verfügt nur über halb so viele Menschen und ist darüber hinaus ein armer Bundesstaat.

Bolivien wiederum stößt direkt an Rondônia an, allerdings sind die Geschäfte aufgrund der begrenzten Absatzmöglichkeiten im Norden Boliviens wenig erfolgversprechend.

Doch um einen Niedergang von Porto Velho zu verhindern, müsse weit mehr getan werden, meint Pedro Beber, der außerordentliche Sekretär für Sonderprogramme der Kommune. "Wir erwarten einen kräftigen Anstieg der Arbeitslosigkeit", meint er. "Was wiederum bedeutet, dass die Gewalt und andere negative soziale Effekte zunehmen werden."

Sein Büro war 2007 mit dem Ziel eingerichtet worden, für die bestmögliche Verwendung der Gelder zu sorgen, die die Investoren der Wasserkraftwerke für die Entwicklung der Gemeinden und Kommunen bereitstellen müssen, um die negativen Auswirkungen der Staudämme zu kompensieren. Insgesamt wurden für die entsprechenden Projekte 1,2 Milliarden Dollar bereitgestellt. Der überwiegende Teil jedoch ist für die Wiederansiedlung von 3.000 Familien vorgesehen, deren Häuser und Grundstücke in den Stauseen untergehen werden.

"Hier handelt es sich nicht um Entschädigungen, sondern um Kosten, wie sie bei jedem anderen beliebigen Bauprojekt anfallen wie etwa beim Kauf eines Grundstücks für den Bau von Häusern", gibt Aluildo Leite von der Staatsanwaltschaft von Rondônia zu bedenken. Von einer Entschädigung der Betroffenen könne somit keine Rede sein.

Doch Leite begrüßt die Entwicklungsprojekte, die mit Geldern der Konsortien, die den Zuschlag für den Bau der Wasserkraftwerke erhalten haben, finanziert werden. So würden 22 neue Gesundheitszentren und neun Schulen gebaut, Straßen asphaltiert und eine sanitäre Grundversorgung ermöglicht, sagt er.

Dem Priester Miguel de Moura Pero stehen sie mit den Schäden, die sie verursachen, in keinem Verhältnis. So hätten die Wasserkraftwerke Gewalt, Drogenkriminalität und Prostitution Tür und Tore geöffnet. Besonders schlimm seien die Menschen in Jacy-Paraná dran, die sich 90 Kilometer von Porto Velho entfernt genau zwischen den beiden Staudämmen befinden. Porto Velho liegt von Santo Antônio sieben und von Jirau 130 Kilometer entfernt.


Zweifach gestraft

Porto Velho leide gleich zweifach unter der Auswirkung der Großprojekte, meint Cleiton Silva, Vorsitzender der größten brasilianischen Gewerkschaft CUT: zunächst unter dem Ansturm der vielen Menschen und dem plötzlichen Wohlstand der Stadt und später unter dem zwangsweisen Niedergang nach Abschluss der Bauarbeiten.

Beber zufolge ist es notwendig, in die nachhaltige Entwicklung der Region zu investieren, die neben Agrarprodukten auch reich an Fischen und Holz sei. Doch bisher fehle es an einer soliden Förderung, wie sie etwa der Sojaproduktion zuteil geworden sei. Allerdings können diese Alternativen längst nicht so viele Stellen schaffen wie der Bau großer Stauseen. Auch die Metall verarbeitende Industrie ist dazu nicht in der Lage, die sich in Porto Velho angesiedelt hat.

Porto Velho bekommt die Vorboten des Niedergangs bereits zu spüren. So kostet der Bau eines Hauses keine 1.750 Dollar pro Quadratmeter mehr. Erwartet wird zudem, dass die Stadt ihre Spitzenposition verlieren wird, was den Verkauf von Motorrädern angeht. Die gute Nachricht: Dann wird auch die Zahl der Unfälle von derzeit sieben pro Tag zurückgehen, an denen die Zweiräder beteiligt sind. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.santoantonioenergia.com.br/site/portal_mesa/es/home/home.aspx
http://www.portovelho.ro.gov.br/
http://www.fiero.org.br/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100274

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2012