Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

INTERNATIONAL/119: Wachstum gegen Armut in Uganda (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ausgabe 2 - 2012

Wachstum gegen Armut in Uganda

Von Philipp Rodrian/Hans-Martin Zademach



Energieversorgung und Finanzsysteme - auf den ersten Blick wirken die Themen, die Studierende der Wirtschaftsgeographie nach Uganda führten, eher europäisch. Der Alltag vor Ort setzte jedoch andere Vorzeichen. Wie lässt sich den Ärmsten in diesen Bereichen helfen?


Das ostafrikanische Land Uganda zählt mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 1.300 US-Dollar/Jahr und mit Rang 161 im globalen Vergleich des Human-Development-Index zu den sogenannten Least Developed Countries. Mit einer stabilen, wenn auch nicht unumstrittenen Regierung und einem seit Jahren hohen Wirtschaftswachstum (in den Jahren von 1998 bis 2008 betrug die jährliche Wachstumsrate durchschnittlich 7,1%) ist es gleichzeitig eines der dynamischsten Länder in Subsahara-Afrika. Zeichen dieser Dynamik sind erfolgreiche Ölexplorationen im Nordwesten Ugandas, der Bau des Bujagali-Staudamms am Nil und Entwicklung innovativer Dienstleistungsangebote auf Grundlage der Möglichkeiten der mobilen Kommunikation. Kommt dies jedoch auch der armen Bevölkerungsschicht zu Gute? Oder profitieren wie so häufig nur wenige Eliten und ausländische Investoren?


Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer großen Exkursion der Professur für Wirtschaftsgeographie, im Zuge derer Uganda sowie dessen Nachbarland Ruanda im September und Oktober 2011 zweieinhalb Wochen lang mit 18 Studierenden bereist werden konnten. Als besonders zentrale Inhalte eines "Pro Poor Growth", d.h. eines Wachstums, von dem auch und vor allem die arme Bevölkerung profitiert, zeichneten sich dabei die Themenkomplexe Energieversorgung und Finanzsystementwicklung ab.

Das Thema Energie steht in Uganda gegenwärtig, ähnlich wie in Deutschland, besonders im Fokus des öffentlichen Interesses, jedoch unter völlig anderen Vorzeichen. In Uganda sind laut amtlichen Statistiken nur etwa 5% der Bevölkerung an das Stromnetz angeschlossen, ein Großteil davon lebt in Städten. Für den Alltagsbedarf, wie z.B. zum Kochen, verwenden nach Angaben der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) 93% der Menschen vorwiegend Brennholz und Holzkohle, wodurch Umweltprobleme und Entwaldung verursacht bzw. verschlimmert werden. Für die Versorgung der Bevölkerung auf dem Land setzen die ugandische Regierung und Organisationen wie die GIZ entsprechend vermehrt auf die dezentrale Nutzung regenerativer Energiequellen. Dazu zählen die Entwicklung und landesweite Verbreitung von verbesserten, energieeffizienten Herden für Festbrennstoffe, die Unterstützung von Solartechnik und kleinen Wasserkraftwerken sowie besonders auch die Umweltbildung.

Neben der Bevölkerung leidet auch die Wirtschaft, da Engpässe und unkalkulierbare Stromausfälle an der Tagesordnung sind und durch teure Generatoren überbrückt werden müssen. Um die Bedürfnisse von Bevölkerung und Industrie besser abdecken zu können, wurde der umstrittene Bujagali-Staudamm bei Jinja zum Zeitpunkt unserer Exkursion mit einer Kapazität von 250 Mega-Watt in Betrieb genommen. Befürworter betonen die große Bedeutung der Elektrizität für eine breitenwirksame Entwicklung. Kritiker sehen jedoch aufgrund fehlender Netzinfrastruktur wenig Nutzen für die einkommensschwache Bevölkerung, dafür aber negative Effekte durch Verdrängung des Rafting-Tourismus, durch Überflutung landwirtschaftlich produktiver Flächen und durch Beeinträchtigung der Fischerei. Nach Ansicht von Experten überwiegen jedoch die Vorteile, da durch die gewonnene Energie bestehende Engpässe abgedeckt und damit die Versorgung der stark wachsenden Hauptstadt Kampala sowie der Industrieachse zwischen Kampala und Jinja abgesichert werden können. Notwendig für eine positive Bewertung hinsichtlich des Pro Poor Growth-Gedankens und folglich von Experten gefordert, sind jedoch weitere Investitionen in das Netzsystem, um eine flächendeckende Nutzung des Stroms durch die Bevölkerung zu gewährleisten.


Für Brisanz in der Diskussion zum Thema Energie sorgen in Uganda zudem die Öl-Funde der Lake Albert Region, die viel debattierte Chancen und Risiken bergen. Die Förderung verspricht Exporterlöse und eine bessere Infrastruktur für das wirtschaftlich schwache Nordwestuganda. Neben ökologischen Risiken, auch für den bekannten Murchison-Falls Nationalpark, belegen Beispiele wie Nigeria jedoch auch die Gefahren des "Ressourcenfluchs": Rentenökonomien, Korruption, Umweltzerstörung und Gewalt können die Begleiter von Ressourcenreichtum sein. Anlass zu Hoffnung gibt ein Parlamentsbeschluss im September 2011, der alle Ugander und Uganderinnen als Besitzer des Öls deklariert und festschreibt, dass die gesamte Bevölkerung davon profitieren soll. Wird das umgesetzt, kann das Öl zu einem wichtigen Faktor eines dauerhaften Pro Poor Growth werden.


Auch bezüglich seines Finanzsystems weist Uganda interessante Parallelen zu aktuellen Debatten in Deutschland auf - wiederum unter sehr anderen Vorzeichen. In Uganda haben nur 30% der Bevölkerung Zugang zu Finanzdienstleistungen. Was dies für Folgen haben kann, illustriert eindrücklich die Geschichte von Muhereza, der Exkursionsgruppe weitergegeben im Rahmen eines Termins bei der GIZ in Kampala:

Muhereza lebt in einem Dorf im Westen Ugandas. Sie handelt seit 15 Jahren mit Secondhand-Kleidung. Ein Bankkonto hat sie nicht, denn sie weiß nicht wie eine Bank funktioniert und die nächste Bank ist 30 km entfernt. Eine Fahrt dorthin kostet mit 8.000 UGX (4 US-$) mehr als sie oftmals in einer Woche verdient. Deshalb hat Muhereza ihr Geld in einer kleinen Tasche in ihrem Haus versteckt. Über die letzten 15 Jahre hat sie circa 350.000 UGX (150 US-$) angespart, was fast einem ganzen Jahreseinkommen entspricht. Als dann die Geschäfte zwei Monate nicht gut liefen, entschied Muhereza sich dazu, Geld von ihren Ersparnissen zu nehmen. Als sie die Tasche aus ihrem Versteck holte, musste Muhereza eine existenzbedrohende Entdeckung machen: Ihr Vermögen war von Ratten in Stücke gerissen worden!

Vor diesem Hintergrund sind Regierung und Entwicklungsorganisationen gegenwärtig darum bemüht, vor allem auf dem Land mehr Menschen Zugang zu Finanzdienstleistungen zu ermöglichen. Dieser Schritt ist jedoch aus Perspektive des Pro Poor Growth nicht ohne Risiken: Die Anbindung an das Finanzsystem bringt auch die Anbindung an internationale Kapitalmärkte und die damit einhergehende Krisenanfälligkeit mit sich. Zudem verfügen viele Menschen noch nicht über ausreichendes Wissen zu Finanzprodukten sowie den damit verbundenen Rechten und Pflichten und laufen Gefahr, für sie langfristig ungünstige Entscheidungen zu treffen oder sich zu überschulden.


Als ein wichtiger Lösungsansatz etablieren sich seit Kurzem vor allem Mobile Money-Angebote. Mit dieser in Ostafrika entwickelten Technologie können Überweisungen per SMS getätigt und Einkünfte als Telefonguthaben angespart werden. Technologisch ist Uganda hierbei den Industrieländern sogar einen Schritt voraus und das System wird inzwischen in vielen anderen Staaten des "Globalen Südens" adaptiert. In Uganda zählt der Mobilfunk-Anbieter MTN bei ca. 33 Mio. Einwohnern seit 2009 ungefähr 70.000 Neukunden im Monat und bald vier Millionen Nutzer. Schon 14 Monate nach der Markteinführung schreibt MTN auf monatlicher Basis positive Zahlen, d.h., die Technologie ist wirtschaftlich rentabel und nicht von Spenden abhängig. Da MTN jedoch nicht in ugandischem Besitz ist, fließen Teile der Gewinne ins Ausland ab.


Im Hinblick auf ein Pro Poor Growth gehen Studien davon aus, dass 50% der Nutzer über kein konventionelles Bankkonto verfügen. Mobile Money hat in diesen Fällen den Zugang zu grundlegenden Finanzdienstleistungen ermöglicht. Ähnlich eröffnen sich über mobile Kommunikation und Internet auch in den Bereichen Gesundheit und Bildung ganz neue Möglichkeiten. Inzwischen sind ca. 11% der Bevölkerung im Netz aktiv und es wird stetig in den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen investiert. Das Internet wird dabei auch als Plattform für politische Teilhabe genutzt, wie die unzähligen Blogger, Twitter- und Facebook-Nutzer belegen.


Ein zentrales Ziel der Exkursion war es, Entwicklungen und Herausforderungen in Uganda möglichst differenziert nachzuzeichnen, also (um mit der nigerianischen Autorin Chimamanda Adichie zu sprechen) auch "different stories" weiterzugeben. An diesem Projekt beteiligen sich alle Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmer mit großem Engagement; viele stehen via Facebook mit neuen Bekannten aus Uganda - etwa jungen Unternehmensgründern oder Studierenden, die Parlamentsdebatten im Fernsehen verfolgen und in sozialen Netzwerken weiter diskutierten - nach wie vor in engem Kontakt. Es wird also weiterhin viele Geschichten aus Uganda zu erzählen geben.


Dr. Philipp Rodrian ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Wirtschaftsgeographie.

Prof. Dr. Hans-Martin Zademach ist seit 2009 Professor für Wirtschaftsgeographie an der KU.

Ihr Beitrag entstand unter Mitarbeit von Lisa Bettendorf und Julian Rochlitz.

*

Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2/2012, Seite 18-19
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität, Prof. Dr.
Richard Schenk
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU, 85071 Eichstätt
Telefon: 08421 / 93-1594 oder -1248, Fax: 08421 / 93-2594
E-Mail: pressestelle@ku.de
Internet: www.ku.de
 
AGORA erscheint einmal pro Semester und kann kostenlos bezogen werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2012