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INTERNATIONAL/216: China - Macau verspielt seine Zukunft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Juli 2014

China: Macau verspielt seine Zukunft

ein Gastbeitrag von Martin Murphy*


Bild: © Damon Garrett/CC-BY-2.0

Das Casino Lisbo, eines der größten Spielcasinos von Macau
Bild: © Damon Garrett/CC-BY-2.0

Hongkong, 10. Juli (IPS) - In Chinas Sonderverwaltungszone Macau setzt sich der Aufschwung der Glücksspielindustrie im sechsten Jahr in Folge unvermindert fort. So konnten die Casinos im vergangenen Jahr einen neuen Einnahmenrekord von 45 Milliarden US-Dollar verbuchen. Das sind 18,6 Prozent mehr als 2012. Doch die 'Glückssträhne' hat ihren Preis.

Die Spielhöllen in der ehemaligen portugiesischen Kolonie, die 1999 an China übergeben wurde, nehmen inzwischen sieben Mal mehr ein als die in Las Vegas. Fast ein Viertel aller Erwerbstätigen in Macau arbeiten in dem Sektor, in dem sie 30 bis 40 Prozent mehr verdienen können als in anderen Bereichen. Auch Einzelhändler und das Hotelgewerbe profitieren. Etwa die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung der Stadt mit rund 600.000 Einwohnern hat mit diesem Sektor zu tun.

Dieser Boom gibt allerdings Anlass zur Sorge. So steckt eine ganze Generation von Beschäftigten in einem monotonen Arbeitskreislauf, teilt Karten für das Baccara-Spiel aus oder dreht Roulettes. Qualifikationen in anderen Bereichen, die sich in der globalisierten Wirtschaft einsetzen ließen, erwerben sie nicht.

Die Wirtschaft in Macau begibt sich zunehmend in die Abhängigkeit von Glücksspielern vom chinesischen Festland. Die Geschäfte der Casinos, die mittlerweile zur Hälfte zum Bruttoinlandsprodukt der Sonderverwaltungszone beitragen, haben zudem unübersehbar negative Folgen. Prostitution, organisiertes Verbrechen und Geldwäsche gehören in Macau zum Alltag.


Bauboom und Luftverschmutzung

Die unkontrollierte Stadtentwicklung, der Verlust von Grünflächen und der Anstieg der Zahl der Spielsüchtigen sind weitere Belastungen für die traditionell gewachsene Gesellschaft. Für den Durchschnittsbürger wiegen die Nachteile schwerer als die Vorteile. Das Verkehrsnetz ist unzureichend und die Luft wird durch die zahlreichen Shuttle-Busse verschmutzt, die die 29 Millionen auswärtigen Besucher Macaus befördern. Zudem ziehen die Immobilienpreise weiter kräftig an.

Die kleinen und mittelständischen Firmen in Macau, die 95 Prozent aller Unternehmen ausmachen, müssen sich mit höheren Mieten und dem Verlust von Arbeitskräften an die Glücksspielindustrie arrangieren. Die Kriminalität hat auf der ganzen Linie zugenommen. Trotz aller Nachteile sehen die Casinobetreiber und ihre Investoren, darunter große Glücksspielunternehmen aus den USA, unbegrenzte Chancen auf weiteres Wachstum, wenngleich auch sie über einen gravierenden Mangel an qualifizierten Mitarbeitern klagen.

2016 sollen weitere Riesen-Casinos in Macau eröffnen. Nach offiziellen Angaben werden dann mindestens 75.000 neue Arbeitskräfte in Spielhallen und in Hotels gebraucht. Da die kleineren Firmen bereits jetzt unter der starken Konkurrenz der gut zahlenden Casinos leiden, wird Macau nicht nur Mitarbeiter für den Glücksspielsektor, sondern für alle Wirtschaftsbereiche anwerben müssen.


Gesellschaft der Unwissenden

Weder Macau noch China scheinen jedoch eine Strategie zu haben, um das von der Glücksspielindustrie verursachte Defizit an Arbeitskräften zu beheben. Noch schwerer wiegt, dass die Sonderwirtschaftszone keine Anstalten macht, die kommenden Generationen auf eine globalisierte, wissensbasierte Wirtschaft vorzubereiten. Sollte sich die derzeitige Entwicklung fortsetzen, läuft Macau Gefahr, zu einer Gesellschaft der Unwissenden zu werden.

In einer im vergangenen Dezember veröffentlichten Umfrage wurde festgestellt, dass fast die Hälfte aller Firmen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von IT-Fachkräften haben. Im April wies ein weiterer Report aus der Industrie ebenfalls auf das Fehlen qualifizierter Arbeitskräfte hin. In einer anderen Studie wurde ein Defizit an Ingenieuren bemängelt.

Experten warnen davor, dass für kurzfristige Gewinne den künftigen Generationen eine schwere Hypothek aufgebürdet werde. Auch einige Parlamentarier in Macau kritisieren inzwischen, dass der Glücksspielboom Luftschlösser hervorgebracht habe. Der Abgeordnete Jose Coutinho erklärte im vergangenen Jahr, dass Macau "eine komplette Illusion von Wohlstand" vorgaukle. Dort entstünden ausschließlich neue Casinos, Hotelzimmer und Geschäfte, die bekannte Markenartikel anböten.


Den Status quo erhalten

Die meisten Mitglieder des Parlaments, in dem zwölf von 33 Abgeordneten in indirekter Wahl von Wirtschaftsorganisationen und weitere sieben von dem von Peking eingesetzten Chefadministrator bestimmt werden, wollen den Ausbau des Glücksspielsektors jedoch nicht bremsen.

Keiner der Vorschläge, mit denen die Behörden die Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht bringen wollen, hat bisher Veränderungen in Gang gesetzt. Häufig wird darüber gesprochen, dass Macau zu einem regionalen Konferenz- und Messezentrum ausgebaut werden sollte. Doch selbst hier wird die Nähe zum Glücksspielbetrieb überdeutlich. Die größte Handelsmesse in Macau ist die 'Global Gaming Expo Asia'. Auch die geplante Einrichtung einer Freihandelszone auf der nahegelegenen Insel Hengqin dürfte den meisten Kleinunternehmen in Macau nur wenig helfen.

Die höchste Hürde auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Wirtschaftsmodell ist der Umstand, dass Macau gut an den chinesischen Glücksspielern verdient und die Führung in Peking die Sonderverwaltungszone als Freizeitziel für ihre Mittel- und Oberschicht schätzt. Die Behörden in Macau wollen daher nicht einmal daran denken, dass Gäste aus China webleiben könnten, sollte sich das Wirtschaftswachstum verlangsamen. (Ende/IPS/ck/2014)


* Martin Murphy war von 2009 bis 2012 Leiter der Abteilung für Wirtschaftpolitik des US-Konsulats in Hongkong und Macau.


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/07/macau-gambling-away-its-future/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. Juli 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2014