afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, November/Dezember 2015
Nächster Halt: Sackgasse
von Christian Selbherr
Nach Jahren der Krise in Mosambik erlebten die Kohleminen von Tete und Moatize ab 2010/2011 einen Aufschwung. Ausländische Konzerne haben Milliarden investiert - aber dafür wurden einheimische Kleinbauern umgesiedelt, und die Profite lassen auf sich warten. Ist der Boom schon wieder vorbei?
Dass damals alles besser war, würde Jorge dos Santos jetzt nicht
unbedingt sagen. Schon vor 30 Jahren war das Leben nicht einfach. Aber
Jorge war jung, und er hatte Arbeit in der Kohlemine. Damals, als die
Deutschen noch hier waren.
"Sie waren gut zu uns", sagt Jorge dos Santos. "Und wir durften damals unser Zuhause behalten. Nicht so wie heute." Im Kohlerevier von Mosambik, nahe den kleinen Städten Tete und Moatize, lagern wahre Reichtümer unter der Erde. Es ist eines der größten unerschlossenen Steinkohlevorkommen, die es auf der Welt gibt. Um diesen Schatz ist ein internationales Wettrennen entbrannt. Mächtige Konzerne mischen mit, entsprechend vorsichtig verhalten sich die Gesprächspartner. Herr dos Santos möchte seinen richtigen Namen lieber nicht nennen.
"Wir sind umgesiedelt worden", sagt er, während er ein kleines Maisfeld bearbeitet. Sein ganzes Dorf musste der Kohlemine weichen. Die Ruinen sind noch zu erkennen. "Dort drüben, das war unser Krankenhaus", sagt Herr dos Santos. Jetzt ist nur noch das Fundament zu sehen.
Seit etwa fünf Jahren sind Konzerne wie Vale aus Brasilien, Jindal aus Indien und der britisch-australische Bergbau-Gigant Rio Tinto dabei, die Kohleminen von Mosambik zu erschließen. Was heute kaum noch jemand weiß: Die Anfänge des Steinkohlebergbaus von Moatize liegen auch in Deutschland. Einer, der sich noch gut daran erinnert, ist Günter Mosler aus Zeitz, nahe Leipzig. 1979 schickte ihn die DDR nach Mosambik. Das sozialistische Regime in Maputo hatte bei befreundeten Staaten des damaligen Ostblocks um Hilfe gebeten.
"Nachdem die Portugiesen aus ihrer Kolonie abgezogen waren, lag der Bergbau völlig am Boden", sagt Günter Mosler. Er sollte Industrieanlagen bauen und Arbeiterwohnungen errichten. Zusammen mit seiner Frau ging er als Bauleiter nach Afrika. "Wir waren jung und abenteuerlustig", sagt Mosler. "Die Bezahlung war auch gut." 1500 Mark sollte es geben, 33 Urlaubstage und einen Klimazuschlag von 100 Mark pro Monat.
Auch Jorge dos Santos bekam Geld angeboten. Als die Vertreter der Minengesellschaft in sein Dorf kamen, sagten sie zu ihm: "Entweder Geld, oder ein neues Haus." Er nahm das Geld. Es waren 250.000 Meticais, immerhin fast 7000 Euro. Davon konnte er in den vergangenen drei Jahren leben. Aber jetzt ist die Summe fast aufgebraucht. "Und dort, wo wir jetzt leben, wächst nichts mehr." Deshalb ist er mit seiner Familie ins alte Dorf zurückgekehrt. Zwischen abgebrochenen Ziegelsteinen und umgestürzten Bäumen säen sie Mais an. Ein paar Körner auf einem winzigen Feld. Sie hoffen darauf, dass ihnen der Boden einen guten Ertrag bringt.
Auf reichen Ertrag spekulieren auch diejenigen, die am Bergbau beteiligt sind. Mit einem Foto aus dem Jahr 2011 dokumentiert der Konzern Vale aus Brasilien den offiziellen Beginn seiner Operation in Moatize. Der Konzernchef ist zu sehen, die Bergbauministerin und der Präsident der Republik Mosambik. Sie legen ihre Hände übereinander, besiegeln die Zusammenarbeit: "Auf eine gute Zukunft!"
Für das Jahr 2014 vermeldete Vale einen Rekord: 4,9 Millionen Tonnen Steinkohle seien in Mosambik gefördert worden, so viel wie nie zuvor. Auch der Konkurrent Rio Tinto ist tief ins Geschäft eingestiegen: Für 3,7 Millionen Dollar kaufte die Firma 2011 den Konkurrenten Riverside und sicherte sich so seinen Zugang zu den Minen.
Das Problem, dass auf den Kohlefeldern eigentlich ein paar hundert Menschen lebten, würde sich schon irgendwie lösen lassen. "Es gibt so viel Land bei uns. Warum mussten sie uns ausgerechnet hierher schicken?" Thomas Silva lebt in einer der neuen Siedlungen. Sie wurde von Rio Tinto gebaut. Nur wenige hundert Meter liegt eine, die von Vale finanziert wurde. Die Konzerne haben sich bemüht, es richtig zu machen. Sie legten exakte rechteckige Parzellen an, jede Familie erhielt ein einstöckiges Haus mit einem kleinen Vorgarten. Auch Strom gibt es, den hatten sie vorher nicht. Abends treffen sich Frauen am Brunnen und füllen Wasser in ihre gelben Kanister. "Es geht schon", sagen sie.
Aber völlig zufrieden sind die Bewohner nicht. 2013 gab es Proteste. Polizei und Sicherheitskräfte rückten an, Steine flogen, Tränengas wurde versprüht, einige Demonstranten verschwanden im Gefängnis. Deshalb heißt auch Thomas Silva eigentlich anders. "Unser Leben hier ist schlecht." 37 Kilometer von Moatize entfernt wohnen sie jetzt.
Ohne eigenes Fahrzeug oder genug Geld ist die alte Heimat kaum zu erreichen. Sie fühlen sich abgeschoben ins Nirgendwo. Auf dem kargen Boden wächst nicht viel. "Rio Tinto hat uns versprochen, dass wir mit Lebensmitteln versorgt werden", sagt Thomas Silva. Nur ein Teil davon kam an. "Wenn wir eine Ration für sechs Familien beantragt haben, dann haben nur vier Familien etwas bekommen", beschreibt er. Der Rest wurde abgezweigt und verschwand.
Während er spricht, wälzt sich ein Omnibus über die breite, staubige Straße. Es ist ein Bus von Vale, der die Arbeiter zur Mine und wieder zurück nach Hause bringt. Am Steuer sitzt Paolo Alfredo, er trägt einen orangenen Bauhelm. "Zwei Mal am Tag fahre ich meine Runde", sagt er. Fast zwei Stunden dauert seine Fahrt bis zur Mine.
"Ich bin zufrieden, weil ich jetzt mehr verdiene als früher." Seit das südafrikanische Unternehmen Unitrans die Busse übernommen hat, bekommt Paolo Alfredo 15.000 Meticais im Monat (415 Euro). Im Dienst einer mosambikanischen Firma waren es nur 5800. "Davor habe ich fast ein Jahr als Fliesenleger in Südafrika gearbeitet", sagt der junge Familienvater. Mit dem Kohleboom kam er zurück in die Heimat. Er zog in ein neu gebautes Vale-Haus, fand eine Frau, sie heirateten und haben gerade ihr erstes Kind bekommen. "Er heißt Joel", sagt der Vater stolz. Dann muss er los.
Wie lange wird es dauern, bis er den großen Reisebus voll hat? "Naja", sagt er. "Es steigen nicht viele Leute ein. Morgens sind es drei Arbeiter, nachmittags fünf." Auch die meisten anderen Busse sind fast leer. "So ist es", sagt Thomas Silva. "Sie können uns in den Minen gar nicht brauchen." Die Minen werden streng abgeschottet, überall finden sich Zäune, Kontrollposten, Kameras. Auch zu Günter Moslers Zeiten war Sicherheit immer ein Thema. In den 80er-Jahren tobte ein Bürgerkrieg zwischen Frelimo-Regierung und Renamo-Rebellen. "Es gab viele Sabotageakte", sagt Mosler. Einmal wäre er fast ums Leben gekommen. Er sollte einige Brücken begutachten, als ihr Transporter auf eine Landmine fuhr. Sie explodierte, riss acht Menschen in den Tod. Mosler überlebte unverletzt.
Vor allem der Krieg, der bis in die 90er-Jahre dauerte, war verantwortlich, dass der Kohlebergbau so lange brach lag. Die Transportwege müssen erst wieder belebt werden - gerade ist eine mehr als 900 Kilometer lange Bahnverbindung geplant, die Moatize mit dem Hafen von Nacala verbinden soll. Siemens liefert dafür die Signal- und Leittechnik. Im November 2014 gab es den ersten Probelauf, bald sollen die Kohlezüge rollen. Schon jetzt fahren mehrmals täglich voll beladene Güterzüge auf der Linie von Moatize nach Beira.
"Ja, der Zug fährt hier jeden Tag vorbei. Aber was haben wir davon?", sagt Herr Silva. Ein Teil seines früheren Dorfes ist noch gar nicht mit umgezogen. "Manche Männer leben hier, ihre Frauen aber noch woanders. Können Sie sich das vorstellen?" In diesem Jahr sollen die letzten Häuser abgerissen werden, und die letzten Menschen nachziehen. So habe es Rio Tinto angekündigt, sagt Herr Silva. Was er noch nicht weiß: Rio Tinto wird bald gar nicht mehr hier sein. Ende 2014 hat der Konzern seine Anteile an den Kohleminen an ein Konsortium aus Indien verkauft. Für gerade einmal 50 Millionen Dollar. Im Vergleich zu den ursprünglich bezahlten 3,7 Milliarden ist das ein Spottpreis. Offenbar hat sich das Investment nicht gelohnt, und Rio Tinto wollte die Mine loswerden.
In den vergangenen Jahren ist der Weltmarktpreis für Steinkohle dramatisch eingebrochen. Noch vor drei Jahren konnte man mit 100 Euro pro Tonne kalkulieren, inzwischen haben sich die Preise fast halbiert, und die erhofften Profite bleiben aus. So musste sich auch Vale vor kurzem frisches Kapital besorgen. 15 Prozent der Anteile an der Vale-Mine gingen für 450 Millionen Dollar an einen Investor aus Japan. Und Vale, in der Öffentlichkeit sonst eher wortkarg, gab bekannt: Dieses Geschäft sei essentiell, um den Fortbestand der Mine zu gewährleisten.
Günter Mosler ging 1982 wieder zurück in die DDR. "Ich war ausgebrannt. Aber ich bin stolz auf das, was wir erreicht haben." Die Arbeitersiedlungen standen, eine Dieselelektroanlage war in Betrieb und versorgte die Mine mit Strom. Später arbeitete Mosler noch im Jemen und in Sibirien. Heute, mit 81 Jahren, lebt er als Ruheständler wieder in Zeitz. Das Land, das ihn damals nach Afrika schickte, gibt es nicht mehr. Und das Kohlereich, von dem so viele träumen, wird es vielleicht auch niemals geben.
Der Autor ist Redakteur beim missio magazin, der Zeitschrift des
katholischen Hilfswerks missio in München (www.missio.com).
KOHLEVORKOMMEN IN MOSAMBIK
Es waren christliche Missionare, die um 1800 erstmals von den großen Kohlevorkommen im Norden des heutigen Mosambik berichteten. Der Engländer David Livingstone bereiste das Gebiet 1857. Bis 1920 erschlossen Portugiesen das Gebiet für Kohleförderung. Sie benötigten Treibstoff für ihre Dampfschiffe, mit denen sie den Sambesi befuhren. Es folgte ein belgisches Unternehmen, bis 1949 wieder ein portugiesischer Konzern übernahm. 1975 wurde Mosambik unabhängig, die Portugiesen verließen ihre Kolonie, und auch der Bergbau kam zum Erliegen. Dann schickten Rumänien und die DDR Ingenieure, Techniker und Bergarbeiter, die bis Frühjahr 1990 blieben. Heute sind in dem Revier um die 100 Firmen tätig, die eine Konzession zum Bergbau haben. Im großen Stil aktiv waren bis Ende 2014 nur drei Konzerne: Vale aus Brasilien, Jindal aus Indien sowie Rio Tinto aus Australien. Im Dezember 2014 verkaufte Rio Tinto seine Anteile an ein indisches Konsortium - mit erheblichen Verlusten.
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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
44. Jahrgang, Nr. 6, November/Dezember 2015, S. 22-24
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