Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → WIRTSCHAFT


INTERNATIONAL/334: Entfremdung und Dialog (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 26. Oktober 2017
german-foreign-policy.com

Entfremdung und Dialog


BERLIN/MOSKAU - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dringt auf einen intensiveren "Dialog" mit Russland. Er sei "der Überzeugung", Berlin und Moskau müssten "der in den letzten Jahren gewachsenen Entfremdung" etwas "entgegensetzen", erklärte Steinmeier am gestrigen Mittwoch bei einem Arbeitsbesuch in der russischen Hauptstadt. Der Aufenthalt dort erfolgte zu einer Zeit, zu der deutsche Konzerne nach einer mehrjährigen Flaute neue Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe in Russland tätigen, während die deutschen Exporte in das Land um zweistellige Prozentraten steigen. Erst vor zwei Wochen haben 20 hochrangige deutsche Manager sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen, um den erneuten Ausbau des kollabierten deutschen Russlandgeschäfts zu beschleunigen. Es winken nicht nur attraktive Profite. In den Jahren der Sanktionen sind deutsche Lieferanten in Russland weit hinter ihre chinesischen Konkurrenz zurückgefallen. Chinesische Konzerne gehen zudem zu Großinvestitionen in Russland über. Die deutsche Wirtschaft sieht Handlungsbedarf.

Ziel verfehlt

Hintergrund für die zunehmenden Russland-Aktivitäten deutscher Unternehmen ist der inzwischen klar erkennbare Aufschwung in dem Land. In Verbindung mit dem gesunkenen Ölpreis hatten die Sanktionen der EU und der Vereinigten Staaten Russland erheblichen ökonomischen Schaden zugefügt; das russische Bruttoinlandsprodukt war 2015 um 2,84 Prozent und 2016 um weitere 0,25 Prozent eingebrochen. Ihr politisches Ziel haben die Strafmaßnahmen dabei verfehlt. Sollten sie eigentlich die Bevölkerung gegen Präsident Wladimir Putin aufbringen, so haben sie die Menschen womöglich sogar noch stärker hinter der Staatsspitze zusammengeschweißt: Mehr als zwei Drittel aller Russen sprechen sich, obwohl sie sich in den vergangenen zwei Jahren an "ein geringeres Einkommens- und Konsumniveau" gewöhnen mussten [1], zur Zeit für eine vierte Amtszeit Putins aus. Mittlerweile kommt allerdings auch die Wirtschaft trotz fortdauernder Sanktionen wieder in Gang. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt das russische Wachstum für 2017 auf 1,4 Prozent; die russische Zentralbank geht sogar von einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um bis zu 2,0 Prozent aus. Der Konsum wächst dank höherer Realeinkommen zum ersten Mal seit Jahren wieder; auch die Investitionen nehmen zu.

Autoboom

Zu den Firmen, die davon profitieren wollen, zählen unter anderem deutsche Automobilkonzerne. Der Einbruch der russischen Wirtschaft in den vergangenen zwei Jahren hat dazu geführt, dass der Absatz von Kraftfahrzeugen dramatisch zurückgegangen ist. Jetzt, da der Aufschwung beginnt und "mit dem sinkenden Zinsniveau auf Konsumentenkredite ... vor allem langlebige Verbrauchsgüter wieder erschwinglich" werden [2], nimmt die Nachfrage - zusätzlich unterstützt durch meherere staatliche Förderprogramme für den Autokauf - mit hohem Tempo zu. Im ersten Halbjahr 2017 gaben russische Kunden, wie die bundeseigene Wirtschaftsagentur Germany Trade & Invest (gtai) berichtet, für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge "10 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum" aus. Das kam beispielsweise Volkswagen zugute: Der Konzern konnte von Januar bis Juni seinen Absatz in Russland um 7,6 Prozent auf 79.931 verkaufte Fahrzeuge steigern. Er baut nun seine Produktion in Russland mit einem Komponentenwerk im Gebiet Tscheljabinsk aus. Daimler hat im Juni den Grundstein für ein Werk im Industriepark Jessipowo bei Moskau gelegt und veranschlagt dafür gut 250 Millionen Euro (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Auch BMW wird ein neues Werk in Russland bauen und dafür mehrere hundert Millionen Euro ausgeben. Standort soll, wie jetzt bestätigt wird, die Sonderwirtschaftszone Kaliningrad sein. Dort lässt BMW schon seit 1999 seine Fahrzeuge vom russischen Automobilhersteller Awtotor montieren.

Chinesische Konkurrenz

Neben den deutschen Investitionen in Russland, die bereits jetzt deutlich gestiegen sind - von 225 Millionen US-Dollar im Gesamtjahr 2016 auf 312 Millionen US-Dollar im ersten Halbjahr 2017 -, nehmen mittlerweile auch die deutschen Russland-Exporte wieder stark zu. Hatten sie 2016 mit 21,5 Milliarden Euro einen neuen Tiefststand erreicht, so erholen sie sich seit Ende vergangenen Jahres und sind in den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres um rund 24 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gewachsen. Hatte es noch vor drei Monaten beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft geheißen, man rechne für das Gesamtjahr 2017 mit einem Wachstum von zehn Prozent, so geht der Verband mittlerweile von einer Zunahme um bis zu 20 Prozent aus.[4] Allerdings haben die EU-Russland-Sanktionen tiefe Spuren hinterlassen: Die Volksrepublik China ist zum mutmaßlich uneinholbar größten Lieferanten des Landes aufgestiegen. Stellte sie schon im Jahr 2013 16,9 Prozent der russischen Einfuhren - vor Deutschland mit 12,0 Prozent -, so hielt sie 2016 mit 20,9 Prozent bereits einen fast doppelt so großen Anteil wie die Bundesrepublik (10,7 Prozent). Auch bei den Investitionen beginnt China Deutschland Konkurrenz zu machen. So haben die Autohersteller Great Wall und Lifan den Bau neuer Werke in Russland in Aussicht gestellt.

Unterstützung aus Moskau

Im Kampf gegen die chinesische Konkurrenz können deutsche Unternehmen gegenwärtig auf die Unterstützung des russischen Präsidenten hoffen. So hat Wladimir Putin vor zwei Wochen, am 12. Oktober, 20 hochrangige deutsche Manager zu einem dreistündigen Gespräch in seiner Schwarzmeer-Residenz in Sotschi empfangen. Anwesend waren auch die russischen Minister für Wirtschaft, Maxim Oreschkin, für Industrie, Denis Manturow, und für Energie, Alexander Nowak. Darüber hinaus nahm der Präsident Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, an der Zusammenkunft teil. "Präsident Putin und die anwesenden Minister haben uns eine sehr konkrete Reformagenda der nächsten Monate vorgestellt", berichtet der Leiter der deutschen Unternehmerdelegation, Wolfgang Büchele, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft: "Dies erhöht die Chancen, dass die Rahmenbedingungen für deutsche Investoren in Russland, insbesondere für Mittelständler, weiter verbessert werden."[5] Nasarbajews Anwesenheit belege zudem "ein überragendes Interesse an ... einer engeren Kooperation zwischen der EU und der Eurasischen Union". Eine Kooperation der EU mit der von Moskau geführten Eurasischen Wirtschaftsunion [6] wird in deutschen Unternehmenskreisen seit geraumer Zeit mit Interesse diskutiert [7].

Ordnung und Profit

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier plädiert nun für einen intensiveren "Dialog" mit Moskau. Er sei "der Überzeugung, dass wir der in den letzten Jahren gewachsenen Entfremdung zwischen unseren beiden Ländern" etwas "entgegensetzen müssen", erklärte er gestern nach dem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen: "Wir sind uns einig, dass wir mit dem gegenwärtigen Zustand nicht zufrieden sein können."[8] Bereits zuvor hatte er in einem Presseinterview geäußert, "die Negativspirale der Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union" sei "für beide Seiten schlecht"; es müsse nun darum gehen, "Wege aus der Negativspirale von Konfrontation, Vertrauensverlust und gegenseitigen Vorwürfen zu finden".[9] Gleichzeitig erklärte Steinmeier aber auch mit Bezug auf die Übernahme der Krim durch Russland und den Bürgerkrieg in der Ostukraine, er werde weiterhin "Differenzen ... klar ... benennen". Der Anspruch Berlins, in Europa als Ordnungsmacht aufzutreten und etwaige russische Machtgewinne nicht zuzulassen, bleibt vom Profitstreben unberührt.


Anmerkungen:

[1], [2] Russlands Wirtschaft mit neuem Schwung.
www.gtai.de 20.10.2017.

[3] S. dazu Deutsch-russischer Aufschwung.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7330/

[4], [5] Ost-Ausschuss trifft Putin und Nasarbajew in Sotschi.
www.ost-ausschuss.de 13.10.2017.

[6] Der Eurasischen Union gehören Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Russland an.

[7] S. dazu Streit um die Russland-Sanktionen (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6965/

[8] Claudia Kade: Mit dem Besuch endet eine Sprachlosigkeit auf höchster Staatsebene.
www.welt.de 25.10.2017.

[9] Interview mit der russischen Tageszeitung Kommersant.
www.bundespraesident.de 24.10.2017.

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
Herausgegeber: German News Informations Services GmbH
c/o Horst Teubert
Hartwichstr. 94, 50733 Köln
Fax: 01212 52 57 08 537
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang