Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → WIRTSCHAFT


INTERNATIONAL/357: Globale Ungleichheit (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2018

Nachhaltig und sozial?
Umwelt- und Entwicklungspolitik in Zeiten wachsender Ungleichheit

Globale Ungleichheit
Extremer Reichtum und extreme Armut im weltumspannenden Wirtschaftssystem

von Ellen Ehmke


Die globale Ungleichheit hat gewaltige Ausmaße erreicht - und sie nimmt weiter zu. Ihre Bedeutung geht jedoch über Vermögens- und Einkommensunterschiede weit hinaus. Sie ist ökologisch unhaltbar, zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt und untergräbt die Demokratie. Es gilt daher, die Schere zu schließen: jene zwischen Arm und Reich, in Deutschland und weltweit.


Der viertreichste Mann der Welt ist Armancio Ortega, Besitzer des Modekonzerns Zara und anderer Marken. Sein Vermögen wuchs im Jahr 2016 durch Dividenden aus seinen Unternehmen um etwa 1,3 Milliarden US-Dollar an. Auch die Spitzenmanager der 5 größten Modekonzerne der Welt haben ein gutes Auskommen, jeder von ihnen verdient in nur 4 Tagen so viel wie eine Näherin in Bangladesch in ihrem ganzen Leben. Auch wenn diese fast jeden Tag 12 Stunden arbeitet, reicht ihr Geld am Ende kaum für 3 Mahlzeiten am Tag aus.

Im globalisierten Wirtschaftssystem sind extremer Reichtum und extreme Armut untrennbar miteinander verbunden, was am Beispiel der Textilindustrie deutlich wird. Gewinne kommen den AnteilseignerInnen - im Englischen Shareholder - zugute, Spitzenverdienende können sich Einkommensgewinne sichern, und das Nachsehen haben Arbeitende am unteren Ende der globalen Produktionsketten.

So war 2017 ein ertragreiches Jahr für das reichste 1 Prozent der Weltbevölkerung: 82 Prozent des Vermögenswachstums floss in ihre Taschen.(1) Das Vermögen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung, von 3,7 Milliarden Menschen, stagnierte dagegen. In der Summe besitzt das reichste 1 Prozent nun über die Hälfte des globalen Vermögens und damit mehr als die übrigen 99 Prozent gemeinsam besitzen - dies ist der derzeitige Stand der globalen Vermögensungleichheit.

Mit Blick auf globale Einkommensungleichheit zeigt sich, dass die globalen Spitzenverdienende - das oberste Prozent - zwischen 1980 und 2016 ganze 27 Prozent des globalen Einkommenswachstums erhielt. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung musste sich hingegen untereinander gerade einmal 13 Prozent des gesamten Einkommenswachstums teilen. Männer stellen hierbei durchweg die Mehrheit der am besten bezahlten Angestellten, die am schlechtesten bezahlten und prekärsten Jobs verrichten zumeist Frauen.


Und sie wächst doch ...

Trotz dieser augenscheinlichen Ungleichheit konstatiert die Weltbank eine Abnahme globaler Einkommensungleichheit, welche sie an den schwindenden Unterschieden der durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen zwischen verschiedenen Staaten festmacht. Entscheidend hierfür sind die Einkommen in Lateinamerika, China und anderen bevölkerungsreichen asiatischen Ländern, die stärker anstiegen als die Einkommen in den reichsten Ländern der Welt. Bliebe indes allein China bei der Berechnung außen vor, hätte die globale Einkommensungleichheit im Vergleich zu 1988 weiter zugenommen.

Gegen die Sicht der Weltbank spricht zudem, dass globale Einkommensungleichheit in absoluten Zahlen - im Gegensatz zum relativen Vergleich des Wachstums der Einkommen - zugleich zunahm. Selbst bei einer prozentual starken Steigerung niedriger Löhne - bei zeitgleicher geringer Zunahme höherer Löhne - kann der absolute Lohnabstand steigen: Global betrachtet stieg das Einkommen des ärmsten Zehntels der Weltbevölkerung zwischen 1988 und 2013 um 75 Prozent, für das reichste Zehntel dagegen nur um 36 Prozent. Die unteren 10 Prozent verzeichneten damit eine Erhöhung ihres Pro-Kopf-Einkommens von gerade einmal 217 US-Dollar - über einen Zeitraum von 25 Jahren! Derweil stiegen die Einkommen des reichsten Zehntels im gleichen Zeitraum um 4.887 US-Dollar pro Kopf.(2) Kurzum: In den Messungen der Weltbank nahm die relative globale Einkommensungleichheit zwar ab, in absoluten Zahlen nahm sie jedoch deutlich zu.

Auch die Einkommensschere zwischen den ärmsten und den reichsten Ländern vergrößerte sich, wenn man die absoluten Zahlen zugrunde legt: Betrug der Abstand des Bruttonationalprodukts pro Kopf zwischen den ärmsten und den reichsten Ländern im Jahr 1980 noch 18.438 US-Dollar, so waren es 2010 bereits 30.465 US-Dollar. (3)


Frauen schaffen Wohlstand - profitieren jedoch weniger davon

Innerhalb der Länder und global besteht Ungleichheit nicht nur mit Blick auf Vermögen und Einkommen, sondern auch dahingehend, wie jene zwischen Männern und Frauen verteilt sind. Im globalen Durchschnitt verdienen Frauen 23 Prozent weniger als Männer. In Deutschland sind es mit 21 Prozent fast eben so viel. Zudem besitzen Männer weltweit weitaus mehr Vermögen, Land, Aktien und andere Kapitalanlagen als Frauen.

Frauen leisten weiterhin den Löwenanteil unbezahlter und zumeist nicht anerkannter Pflege- und Sorgearbeit. Der Umfang dieser Care-Arbeit wird jährlich auf 11 Billionen US-Dollar geschätzt. (4) Während unser Wohlstand somit maßgeblich von dem Beitrag von Frauen abhängt, profitieren diese oftmals nicht gleichermaßen von diesem.


Die ökologische Dimension von Ungleichheit

Auch aus ökologischer Sicht ist eine gerechtere Verteilung von Vermögen und Einkommen unumgänglich, denn Ungleichheit ist ein Treiber des Klimawandels. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung ist für nur 10 Prozent der auf individuellen Konsum zurückzuführenden Kohlenstoffemissionen verantwortlich.(5) Sie leben zugleich überwiegend in den Ländern, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Die reichsten 10 Prozent verursachen dagegen rund die Hälfte aller Emissionen und können sich vor den Folgen des Klimawandels besser schützen.

Die ökologischen Grenzen unseres Planeten weisen zudem all jene Fantasien in Schranken, die meinen, Wirtschaftswachstum allein reiche aus, um extreme Armut bis 2030 zu überwinden. Unter Beibehaltung der gegenwärtigen ungleichen Verteilung der Wohlstandsgewinne müsste die globale Wirtschaft um das 175-fache anwachsen, um dieses oberste Ziel der Agenda 2030 zu erreichen.(6)


Ungleichheit als Frage der Macht

Die Bedeutung von Ungleichheit reicht weit über Fragen von Löhnen und Einkommen hinaus: Sie ist auch ein zentrales Hindernis für gleichberechtigte demokratische Teilhabe. Superreiche Einzelpersonen und Großkonzerne vereinen nicht nur enorme wirtschaftliche, sondern auch politische Macht auf sich. Ihren Einfluss nutzen sie, um politische Regeln in ihrem Sinne zu beeinflussen - nicht zuletzt mit dem Ziel, auf diese Weise ihre Profite zu maximieren. Wo jedoch Unternehmenswert und Wachstum im Vordergrund stehen, geraten die Rechte und Löhne von Arbeitenden, der Erhalt einer intakten Natur sowie der Ausbau und Erhalt eines solidarischen Gemeinwesens zwangsläufig in den Hintergrund.

Der Einfluss mächtiger Wirtschaftsinteressen führte in den vergangenen Jahrzehnten zur massiven Senkung von Unternehmenssteuern zu Lasten von Einkommens- und Verbrauchssteuern. In zahlreichen Ländern zeigt sich infolgedessen heute ein ungerechteres Steuersystem und Staatseinnahmen sanken. Damit fehlen auch die Mittel, um in Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherung zu investieren, deren Ausbau wiederum zu Verringerung von Ungleichheit führen würde.

Zusätzlich verschärfen ausbleibende Investitionen und die Privatisierung sozialer Grunddienste und der öffentlichen Daseinsfürsorge die soziale Lage vieler Menschen. Wenn Ihnen der Zugang zu Bildung, Gesundheit und sozialen Sicherungssystemen verwehrt wird, verhindert dies zugleich soziale Mobilität. Armut wird somit über Generationen weitergegeben, die soziale Ungleichheit nimmt damit nicht nur zu, sondern wird obendrein zementiert. So schwindet auch das Vertrauen in das politische System und damit in die Demokratie als solche.


Politik gegen Ungleichheit ist notwendig und möglich

Wenn Ungleichheit die Folge politischer Entscheidungen ist, bedeutet dies zugleich, dass diese Entscheidungen prinzipiell umkehrbar sind. Eine Kurswende ist somit nicht nur erforderlich, sondern auch möglich. Konkret brauchen wir in Deutschland und international eine gerechte Steuerpolitik, die dafür sorgt, dass alle auch Konzerne und Superreiche ihren fairen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Lohn- und Einkommenspolitik muss über nationale Grenzen hinaus gedacht werden und sicherstellen, dass auch in globalen Lieferketten existenzsichernde Löhne gezahlt und Einkommensunterschiede abgebaut werden. Ein Fundament gegen soziale Ungleichheit bilden zudem gute öffentliche Bildungs- und Gesundheitssysteme und soziale Sicherung für alle. Hier müssen Regierungen mehr investieren. Für diese notwendigen politischen Veränderungen - für Demokratie und gleiche Teilhabe, für Solidarität und eine gerechte Verteilung der Lasten und der Gewinne wirtschaftlicher Aktivität müssen wir gemeinsam streiten.


Anmerkungen:

(1) Alle Zahlen in diesem Abschnitt stammen aus dem Oxfam-Bericht 'Reward Work, not Wealth', Januar 2018.
https://www.oxfam.de/system/files/bericht_englisch_-_reward_work_not_wealth.pdf.

(2) Christoph Lakner (2016): Global Inequality. Policy Research Working Paper 7776. World Bank.

(3) Jason Hickel (2017): Is global inequality getting better or worse? A critique of the World Bank's convergence narrative. Third World Quarterly, Bd. 38.

(4) McKinsey Global Institute (2015): How advancing women's equality can add $12 trillion to global growth.

(5) Oxfam Media Briefing (2015): Extreme Carbon Inequality.

(6) D. Woodward (2015): Incrementum ad Absurdum: Global Growth, Inequality and Poverty Eradication in a Carbon-Constrained World. World Social and Economic Review. Bd. 4.

*

Quelle:
Rundbrief 2/2018, Seite 12-13
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang