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MARKT/1577: Studie - Finanzmarktrisiken 2018 (idw)


Hans-Böckler-Stiftung - 07.02.2018

Finanzmarktrisiken 2018:
Neuer Deregulierungswettlauf, deutsche Immobilienkredite und Lücken bei der Derivatesicherung

Neue Studie des IMK


Die akuten Risiken an den deutschen und internationalen Finanzmärkten waren in den vergangenen 12 Monaten etwas gesunken. Allerdings könnten sie in nächster Zeit wieder deutlich steigen und die aktuellen Börsenturbulenzen Vorboten größerer Probleme sein.

Denn zehn Jahre nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise scheint das Bewusstsein zu schwinden, dass schwach regulierte Finanzmärkte eine große Gefahr für die globale Wirtschaft bedeuten: Sinnvolle Regeln werden nur halbherzig umgesetzt oder drohen sogar aufgeweicht zu werden, wie in den USA. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Finanzmarktstabilitätsreport des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.(*) Er wird heute [07.02.21018] auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt.

Die IMK-Finanzmarktfachleute Dr. Thomas Theobald und Dr. Silke Tober sehen den "kurzsichtigen Deregulierungskurs" von US-Präsident Donald Trump mit Sorge, aber auch Europa halten sie noch nicht für stabil: Obwohl das Volumen notleidender Kredite insbesondere bei italienischen Banken sinkt, seien die Systemrisiken noch beträchtlich, zumal es weiterhin keine europäische Einlagensicherung gibt. Deutsche Banken könnten bei steigenden Zinsen unter Druck geraten, weil sie viele Immobilienkredite vergeben haben, die niedrige Zinsen über sehr lange Zeiträume festschreiben (mehr Informationen jeweils weiter unten). Anleger auf Renditesuche geben ihr Geld verstärkt an Investmentfonds, die nicht selten in Unternehmensanleihen mit nicht unerheblichem Ausfallrisiko bei steigenden Zinsen investieren. Beim Derivatehandel weisen nach Analyse der Experten unbedingt notwendige Sicherheitsstrukturen Lücken auf. Hinzu kommen neue Herausforderungen durch Kryptowährungen wie Bitcoin, auf die die Eurostaaten mit Vorbereitungen für einen digitalen Euro reagieren sollten, so die Forscher.

"Uns beunruhigt die neue Sorglosigkeit bei Finanzmarktakteuren und wichtigen Politikern. Was wir auf keinen Fall gebrauchen können, ist ein neuer Deregulierungswettlauf, der die Lehren des vergangenen Jahrzehnts in den Wind schlägt", fasst Prof. Dr. Gustav A. Horn, wissenschaftlicher Direktor des IMK, die aktuelle Analyse zusammen. "Jeder Verantwortliche muss sich bewusst sein, dass Finanzmarktstabilität eine wichtige Gerechtigkeitsfrage ist. Die letzten beiden Rezessionen in Deutschland wurden dadurch ausgelöst, dass Finanzblasen geplatzt sind. Eine tiefe, lang andauernde Rezession schädigt Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, die auf ihre Arbeit angewiesen sind, oft weitaus stärker als reiche Anleger."


Zentrale Ergebnisse der Studie:
Risiko 1: Trump lässt die Banken los und verschärft die Ungleichheit

Wenn es nach Donald Trump geht, ist die Zeit der Zurückhaltung vorbei. Banken sollen wieder mehr riskieren. Das US-Finanzministerium hat Pläne ausgearbeitet, welche die Regeln lockern, die den Kreditinstituten infolge der Finanzkrise auferlegt worden waren. Kleinere Banken sollen demnach ohne jede Einschränkung auf eigene Rechnung spekulieren dürfen, für die Großbanken sollen Beschränkungen des Eigenhandels zumindest teilweise aufgehoben werden. Auch die verschärften Anforderungen an Eigenkapital und Liquidität sollen zum Teil gelockert werden. Trump hat vor allem eines im Sinn: Er will, dass die Banken ungehemmt Kredite vergeben, was wiederum das Wachstum der US-Wirtschaft ankurbeln soll. Damit ignoriert er jedoch "zentrale Erkenntnisse der Finanzmarktforschung", schreiben Theobald und Tober. "Maßnahmen, die allein das Kreditwachstum anregen, ohne dass ihnen steigende Einkommen der Schuldner gegenüberstehen, erhöhen die Gefahr von Finanzmarktkrisen und damit von tiefen Rezessionen."

Ein weiteres Risiko sehen die Ökonomen in der von Trump auf den Weg gebrachten Steuerreform, von der Unternehmer und Top-Verdiener am meisten profitieren. Die Reform sieht permanente Steuererleichterungen für Unternehmen und temporäre für Haushalte in Höhe von etwa 1,5 Billionen US-Dollar vor. Der Körperschaftssteuersatz für Unternehmen sinkt von 35 auf 21 Prozent, der Spitzensteuersatz auf Einkommen von 39,6 auf 37 Prozent. Nach Ansicht des IMK erhöhen die Steuererleichterungen für Reiche nicht nur die Ungleichheit im Land, sondern gefährden langfristig auch die Finanzmarktstabilität. Schließlich stünden "immer höheren Ersparnissen reicher Haushalte oft keine produktiven Investitionen gegenüber". Das Geld fließe stattdessen in die Finanzmärkte, wo sich Vermögenspreisblasen bildeten.

Risiko 2: Zu großer Optimismus bei Investoren

Das Vertrauen in europäische Staatsanleihen ist zurückgekehrt. Das lässt zumindest ein Blick auf die vergleichsweise geringen Risikoaufschläge der Anleihen aus Italien oder Spanien vermuten. Doch nach Meinung der IMK-Ökonomen sind die niedrigen Zinsen im Euroraum nicht unbedingt ein Ausdruck von Stabilität, sondern vor allem der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zu verdanken. Viele Investoren ignorierten dies jedoch und ließen sich von den Niedrigzinsen dazu verleiten, die Risiken vor allem bei Unternehmensanleihen nicht korrekt zu bepreisen. Dieses Risiko hat nach Analyse der Forscher ein erhebliches Volumen, weil Investmentfonds, die untereinander und mit Versicherungen und Pensionskassen verflochten sind, in den vergangenen Jahren stark in solche Anleihen investiert haben.

Unter diesen Bedingungen könne selbst eine vorsichtige Zinsänderung durch die Zentralbank für heftige Reaktionen an den Märkten sorgen, heißt es in dem Bericht. Wenn die Zinsen steigen, könne die Stimmung kippen, schnell kämen dann erneut Sorgen auf, dass Unternehmen oder gar einzelne Staaten ihre Schulden nicht bedienen können. Die Eurokrise könnte so wieder aufflackern. Zumal in den Büchern europäischer Banken - trotz aller Verbesserungen - nach wie vor zu viele notleidende Kredite stünden. Das Volumen dieser Kredite in den Bilanzen europäischer Banken sank im vergangenen Jahr von einer Billion Euro auf rund 800 Milliarden Euro. Bei einzelnen Kreditinstituten besteht aber noch hoher Sanierungsbedarf. Ein Viertel der notleidenden Kredite entfällt auf italienische Banken. Die Risiken wiegen umso schwerer, erklären die Experten, als es immer noch an einer europaweit einheitlichen Einlagensicherung und einer effektiven, weil nicht an Auflagen an den Staatssektor gebundenen Absicherung des Bankenabwicklungsfonds durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus mangelt.

Risiko 3: Intransparente Derivate

Eine der Lehren aus der Finanzkrise lautete: Der Handel mit Derivaten muss stärker reguliert werden. Doch die bisher eingeführten Regeln "offenbaren dringenden Bedarf der Weiterentwicklung", heißt es im IMK-Bericht. Ein Eindruck von der Bedeutung des Derivatehandels lässt sich am ausstehenden Nominalwert der zu Grunde liegenden Vermögenswerte gewinnen. Dieser belief sich 2017 auf mehr als 500 Billionen US-Dollar. Vereinfacht gesagt handelt es sich bei Derivaten um Finanzprodukte, die es erlauben, auf die Entwicklung von Wertpapieren, Zinssätzen oder Wechselkursen zu wetten, ohne dass man den jeweils zu Grunde liegenden Vermögenswert selbst besitzt. Sie können der Absicherung dienen oder aber zum Spekulieren verleiten, weshalb sie von vielen Beobachtern als eine Art Brandbeschleuniger der Finanzkrise 2008 angesehen werden.

Besonders die sogenannten OTC-Derivate gelten als intransparent, da ihre Bedingungen allein zwischen zwei privaten Parteien - zum Beispiel einer Bank und einem Unternehmen - ausgehandelt werden. Eine Kontrolle wie im Börsenhandel findet nicht statt, was auch schon an der Bezeichnung "OTC" deutlich wird. Die Abkürzung steht für "over the counter", was mit "über den Tresen" übersetzt werden kann. Um sicherzustellen, dass es bei diesen Geschäften nicht erneut massenweise zu Zahlungsausfällen und damit zu einer Kettenreaktion kommt, haben die G20-Staaten nach der letzten Krise einen Beschluss gefasst: Beim Handel mit OTC-Derivaten soll ein Zentraler Kontrahent (Central Counterparty, CCP) zwischengeschaltet sein. Dieser setzt sich zwischen die eigentlichen Geschäftspartner und gewährleistet, dass es nicht zu Zahlungsausfällen kommt - und wird damit selbst zu einem systemrelevanten Knotenpunkt. Der Zentrale Kontrahent kann auf Sicherheiten zurückgreifen, die Käufer und Verkäufer bei ihm hinterlegt haben, zuletzt haftet er auch mit dem eigenen Kapital.

Die IMK-Experten halten solche Abwicklungsstellen für einen Schritt in die richtige Richtung. Sie kritisieren jedoch, dass die Zentralen Kontrahenten privatwirtschaftlich organisiert und damit darauf ausgelegt sind, Gewinne zu erzielen und miteinander zu konkurrieren. Dies vertrage sich nicht mit ihrer Funktion als Kontrollinstanz. Zudem sei die für die Sicherung der einheitlichen Aufsicht zuständige Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde bisher nicht adäquat ausgestattet, um ihrer Rolle gerecht zu werden. So bestehe die Gefahr, dass sich Derivatehändler die Länder mit der laxesten Regulierung des OTC-Handels aussuchen. "Die Neuordnung des Derivathandels könnte sich nicht nur als nicht stabilisierend erweisen, sondern neue Risiken schaffen", erklären die Autoren des Finanzmarktstabilitätsreports.

Risiko 4: Immobilienkredite könnten deutsche Banken bedrohen

Die realen Immobilienpreise in Deutschland sind seit 2010 um mehr als 20 Prozent gestiegen, in den Großstädten sogar noch deutlich stärker. Die hohen Preise führen dazu, dass Hauskäufer höhere Kredite aufnehmen. Das Problem dabei ist nach der IMK-Analyse weniger die Verschuldung der privaten Haushalte in Deutschland, das Problem sind die Banken, die diese Kredite vergeben. Sie gewähren Immobilienkäufern immer längere Zinsbindungen, um höhere Erträge zu erzielen. Der Anteil der neu vergebenen Wohnungsbaukredite mit einer Zinsbindung von mehr als zehn Jahren ist von 26 Prozent im Jahr 2010 auf 44 Prozent 2017 gestiegen. Damit sind laut IMK auch die Risiken gewachsen. Wenn die Marktzinsen wieder steigen, müssten die Banken die langfristigen Kredite zu höheren Kosten refinanzieren, als sie durch die vergebenen Kredite einnehmen.

Die IMK-Ökonomen gehen davon aus, dass "substanzielle Zinsänderungsrisiken im deutschen Finanzsystem vorhanden sind". Die Banken seien gut beraten, die durchschnittliche Zinsbindung ihrer Bilanzen nicht weiter auszudehnen, sondern sich frühzeitig auf eine Zinserhöhung einzustellen und die Risikovorsorge weiter deutlich zu erhöhen statt wieder höhere Ausschüttungen an Anteilseigner und Personal in Form von Boni zu verteilen. Zinsänderungsrisiken drohten insbesondere den Sparkassen und Genossenschaftsbanken, da bei ihnen ein Großteil der Erträge auf dem klassischen Zinsgeschäft beruht.

Risiko 5: Bitcoin & Co. außer Kontrolle?

Neue Technologien könnten die Finanzwelt revolutionieren. Die unter dem Begriff Fintech zusammengefassten Innovationen betreffen im Grunde alles, was mit Geld zu tun hat - vom klassischen Bankgeschäft über neue Finanzierungsformen bis hin zu digitalen Währungen. Vor allem die Kryptowährungen haben "das Potenzial, die Finanzmärkte und die Geldpolitik grundlegend zu verändern", heißt es im IMK-Bericht. Seit gut zehn Jahren gibt es die auf der sogenannten Blockchain-Technologie basierende Digitalwährung Bitcoin. Sie wird dezentral in einem Rechnernetz generiert und verwaltet. Bitcoin kommen ohne Zentralbank aus und stellen damit einen Gegenentwurf zum staatlichen Geldsystem dar. Auch der Zahlungsverkehr funktioniert im Prinzip ohne Banken.

"Die potenzielle Sprengkraft der Fintechs ist erheblich", schreiben die Wissenschaftler. Mit einer Kapitalisierung von rund 830 Milliarden US-Dollar ist der Markt für Kryptowährungen - neben Bitcoin existiert eine Vielzahl weiterer virtueller Währungen - nicht weit entfernt von dem rund 1,3 Billionen US-Dollar großen Kreditvolumen im Subprime-Markt, der die Finanzkrise 2008 ausgelöst hat. Anders als im Falle der Subprime ist eine tiefe Verstrickung der Banken bisher nicht zu erkennen. In den nächsten Jahren könnte sich das ändern. "Der Einfluss auf die Finanzmarktstabilität wird in den kommenden Jahren mit der zu erwartenden steigenden Marktkapitalisierung zunehmen. Verstärkt werden dürfte dieser Effekt durch die Einführung staatlicher Digitalwährungen", heißt es im IMK-Bericht. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Staaten auf die Konkurrenz durch Kryptowährungen reagieren und die eigenen Währungen in digitaler Form bereitstellen. In Estland gebe es bereits konkrete Vorstellungen über einen "Estcoin", dessen Wert an den Euro gekoppelt sein soll.

Digitale Währungen böten in puncto Schnelligkeit und Sicherheit eine Reihe von Vorteilen. Die Frage sei deshalb nicht, ob sie sich durchsetzen werden, schreiben Theobald und Tober, sondern vielmehr, wer sie kontrolliert. Bei der weitgehend noch ausstehenden Regulierung müssen laut IMK drei Aspekte in Einklang gebracht werden: Erstens müssen die Risiken für die Stabilität des Finanzsystems niedrig bleiben, zweitens muss der erhöhte Nutzen - zum Beispiel in Form niedriger Gebühren - den Verbrauchern zugutekommen und drittens muss das Recht der Bürger auf Privatsphäre gewahrt bleiben. Die Wissenschaftler empfehlen, die Einführung eines digitalen Euro konzeptionell vorzubereiten, "um eine wertstabile und sichere Alternative zu bereits existierenden und künftig bereitgestellten Systemen zu liefern."


Weitere Informationen unter:

https://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_134_2018.pdf
- (*)Quelle: Thomas Theobald, Silke Tober: IMK-Finanzmarktstabilitätsreport 2017/2018 - Der regulatorische Druck lässt nach, IMK-Report Nr. 134, Februar 2018.

https://www.youtube.com/watch?v=UESdPB6oNjg&feature=youtu.be
- Video-Statement von Dr. Thomas Theobald

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution621

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 07.02.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2018

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