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REDE/399: Steinbrück - Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung, 03.07.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Finanzen, Peer Steinbrück, zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung vor dem Deutschen Bundestag am 3. Juli 2009 in Berlin:


Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Zunächst möchte ich mich für den kolossalen Rundumschlag von Herrn Wissing bedanken. Er ist ein Indiz dafür, wie ernst er mich nimmt. Darüber hinaus ist er der lebendige Beweis dafür, dass die FDP zum Thema Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ein verniedlichendes und verharmlosendes Verhältnis hat.

Allein die deklamatorische Äußerung "Wir sind dagegen" reicht nicht. Es müssen Taten folgen. Wenn es eine Kraft innerhalb dieses Parlamentes gibt, die in den letzten drei Jahren zum Thema Steuerhinterziehung und Steuerbetrug nicht eine einzige Initiative und nicht eine einzige unterstützende Maßnahme ergriffen hat, dann ist es die FDP gewesen.

Herr Wissing, ich sage Ihnen ganz freimütig: Sie sind in Stilfragen für mich definitiv keine Instanz. Das gilt auch für Ihren Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Solange ein Staatssekretär meines Hauses von Ihnen so behandelt und angegriffen wird, bevor Sie ihm überhaupt die Möglichkeit gegeben haben, Gehör zu finden, können Sie mit mir über Stilfragen garantiert nicht reden.

Manche Debattenbeiträge können leider nur so gehalten werden, wie sie gehalten werden, weil es eine selbstverordnete Wahrnehmungsblockade gibt. Das ist an vielen Ihrer Beiträge festzumachen. Sie werden natürlich diese Litanei und diese Parolen zum Zustand der deutschen Finanzaufsicht immer wiederholen. Aber ich erinnere daran, dass dieses Hohe Haus gerade gestern ein wichtiges Gesetz beschlossen hat, nämlich das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht. Auch drei andere Gesetze, die die Stellung der deutschen Finanzmarktaufsicht deutlich verbessert haben, wurden alleine in den letzten Monaten verabschiedet. Insofern geben Sie hier nur Parolen heraus.

Dasselbe gilt mit Blick auf das Thema der größten Steuererhöhung. Denn Sie verschweigen dabei, dass über die Gesamtheit aller Maßnahmen der Großen Koalition die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bei den Steuern und bei den Sozialversicherungsbeiträgen innerhalb eines Jahres um 16 Milliarden Euro entlastet werden. Sie können auch weiterhin gerne über die Haushaltskennziffern reden, Herr Wissing. Es wäre aber schön, wenn Sie gelegentlich die Souveränität und die intellektuelle Brillanz hätten, darauf hinzuweisen, dass diese Republik gerade die schwerste Wirtschaftskrise seit ihrer Gründung 1949 erfährt. Das wäre dann eine vollständige Darstellung des Ganzen.

Es gibt gelegentlich gute Nachrichten. Ich finde, eine gute Nachricht ist von der Konferenz ausgegangen, die hier letzte Woche auf Einladung meines französischen Kollegen Eric Woerth mit massiver Unterstützung der OECD stattgefunden hat. Das, was in dem dort verabschiedeten Kommuniqué zusammengefasst worden ist, ist der weitestgehende Versuch mehr als das: der ehrgeizige Ansatz , dem Thema Steuerhinterziehung und Steuerbekämpfung denselben Stellenwert wie der Bekämpfung und Finanzierung von Terrorismus und der Geldwäsche zu verschaffen.

Einen solchen Stand der internationalen Debatte haben wir bisher nicht gehabt. Dafür ist auch das ist ein Instrument, das von der FDP völlig ausgeblendet wird eine Liste mit verantwortlich, die die OECD seinerzeit veröffentlicht hat. Nicht nur auf deklamatorischem Weg, sondern faktisch auch über einen gewissen Druck von der internationalen Ebene bis hin zu nationalen gesetzlichen Maßnahmen haben wir inzwischen erreicht, dass sage und schreibe 84 Länder oder Jurisdiktionen Artikel 26 des OECD-Kodex unterzeichnet haben.

Ich lasse gerne mit mir darüber reden, ob diese Liste in allen Bestandteilen fair, vollständig ist, ob sich manche dort zu Unrecht wiederfinden oder ob noch andere mit hätten aufgeführt werden müssen. Aber diese Liste hat eine Dynamik, eine Wirkungskraft entfacht, ohne die es nicht zu erklären wäre, dass innerhalb von drei Monaten und über den Finanzgipfel am 2. April dieses Jahres in London 18 Staaten zusätzlich diesen OECD-Kodex akzeptieren. Das ist ein Indiz dafür, dass es richtig gewesen ist. Deshalb verfängt Ihre Kritik daran auch nicht.

Im Übrigen wird es diese Liste weiterhin geben müssen. Es ist geradezu die Aufgabe, auf die wir uns verabredet haben, dass die OECD in einer weiteren Konferenz, nämlich im September in Mexiko, diese Liste weiter verfolgt, und zwar mit Blick auf die Frage: Wer setzt denn nun die Erklärung in seine jeweilige Steuergesetzgebung beziehungsweise in bilaterale Absprachen, maßgeblich die Veränderung und Überarbeitung von Doppelbesteuerungsabkommen, faktisch um?

Selbstverständlich ist es richtig, dass heute der Deutsche Bundestag über einen solchen Gesetzentwurf beschließt, im Übrigen ein Gesetzentwurf, der Maßnahmen enthält, die ein weiter Teil unserer europäischen Nachbarstaaten längst geregelt hat. Worüber regen Sie sich eigentlich auf? Warum kritisieren Sie nicht die Franzosen, dass die längst ein Instrument im Kasten haben, das wesentlicher Bestandteil dieses Gesetzes ist? Das kommt in Ihren Reden nicht vor, die lediglich Parolen enthalten oder nur agitatorischen oder propagandistischen Charakter haben.

Gerade in der jetzigen Situation ist es wichtig, dass die Menschen den Eindruck haben, dass wir Steuerhinterziehung und Steuerbetrug nicht als Kavaliersdelikt behandeln. Es ist kriminell. Es ist ein Schaden für den Steuerstandort Bundesrepublik Deutschland.

Der Druck, den wir ausüben, erstreckt sich nicht auf souveräne andere Staaten, sondern er erstreckt sich auf deutsche Steuerbürger, die von mir aus legal jedwede Anlage haben können. Das stört mich nicht, sondern mich stört, dass sie dieses Kapital entweder illegal an andere Standorte schieben, oder, wenn sie es legal verschieben möglicherweise ihrer Steuerpflicht auch in Deutschland nicht Genüge tun. Das ist zum Schaden der einzelnen Steuerbürger; denn wenn es diese Steuerverluste nicht gäbe, könnten wir in dem Ausmaß eventuell Steuersätze senken, und uns stünde mehr Geld für die zentralen Aufgaben, die für die Zukunft dieses Landes wichtig sind, zur Verfügung. Alleine die Infrastruktur des Bildungsbereichs könnte anders bedient werden.

Die Fahrlässigkeit, mit der Ihre Fraktion darüber hinweggeht, ist teilweise bekümmernd. Ich hätte gerne einen Hinweis, dass Sie gegenüber Bankensektoren in südlichen Ländern, zu denen Sie Kontakt haben, jemals zur Geltung gebracht haben, dass wir auf diesem Gebiet weiterkommen müssen. Ich habe ein solches Indiz nicht. Das ist auch eine Frage der Wahrnehmung von Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft. Gerade in einer Zeit, in der sich viele Menschen mit der Frage beschäftigen, wer eigentlich die Zeche zahlt, ist es sehr wichtig, dass wir mit Blick auf Phänomene wie Korruption, sittenwidrig niedrige Löhne, sittenwidrig hohe Abfindungen und Steuerhinterziehung deutlich machen, dass sich die Politik diesen Phänomenen entgegenstellt. Das ist für die legitimatorische Grundlage dieser Gesellschaft von Bedeutung. Das behandelt man nicht en passant oder weil die Gelegenheit günstig ist, in einer letzten Bundestagsrede dem Finanzminister aufs Dach zu hauen, Herr Wissing. Etwas mehr Grundsätzlichkeit und Geradlinigkeit hätte ich mir von Ihnen

Dieser internationale Druck wird fortgesetzt werden. Ich habe insbesondere gegenüber den französischen Partnern Dank zu leisten. Ohne das Zusammenwirken von Deutschland und Frankreich hätte dies nicht funktioniert. Diesen Dank erstrecke ich namentlich auch auf die Bundeskanzlerin und den französischen Staatspräsidenten. Sie sind es gewesen, die bei dem Finanzgipfel in London am 2. April dieses Jahres in einer vorgeschalteten Pressekonferenz darauf hingewirkt haben, dass es zur Veröffentlichung solcher Listen kommt, dass die entsprechende Benennung stattfindet und der Druck auf die Jurisdiktionen oder Nationalstaaten erhöht wird. Darüber hinaus muss ich ein großes Kompliment an die amerikanische Regierung beziehungsweise die amerikanische Steuerverwaltung machen, die, wie ich finde, mit einem hohen Druck in einer kritischen Betrachtung der einzelnen Steuerbürger aus den USA die Steuerhinterziehung bekämpfen. Das hat zu einem maßgeblichen Durchbruch gegenüber dem Land geführt, das sich diesem Thema bisher weitestgehend verweigert hat.

Es ist doch auszusprechen, dass es Kreditinstitute außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gibt, die das mindestens billigend in Kauf nehmen, vielleicht sogar mehr als das, vielleicht sogar werbend auftreten ist das so unwahrscheinlich? , um hochvermögende deutsche Steuerbürger zu veranlassen, ihr Kapital zu verschieben. Halten Sie diese Betrachtung für naiv? Ich fürchte, das trifft weitestgehend zu. Was man an Informationen bekommt, ist allerdings nicht immer leicht verwertbar, weil es nicht immer beweiskräftig ist.

Ich glaube, dass wir über die Entwicklung der letzten Wochen einen großen Schritt weitergekommen sind in der Frage, uns international zu verabreden, um das sehr ernst zu nehmende Thema der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und des Steuerbetrugs weiter anzugehen und dafür

Ich will abschließend noch einmal sehr deutlich sagen: Wer Steuern hinterzieht, der schadet dem Gemeinwesen, der verhöhnt den Rechtsstaat in Deutschland und schwächt den Staat in einer Zeit, wo dieser Staat mehr denn je handlungsfähig sein muss.


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Quelle:
Rede des Bundesministers der Finanzen, Peer Steinbrück, zum
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung vor dem
Deutschen Bundestag am 3. Juli 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2009