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REDE/484: Rösler zum geplanten Ausstieg aus der Atomkraft und zur Energiewende, 30.06.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Dr. Philipp Rösler, zum geplanten Ausstieg aus der Atomkraft und zur Energiewende vor dem Deutschen Bundestag am 30. Juni 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Lieber Herr Kollege Gabriel, waren Sie nicht mal Umweltminister? Ich finde, dafür haben Sie heute herzlich wenig zum Thema geredet. Es war eher ein allgemeinpolitischer Teil. Es scheint ja hoch herzugehen bei der Frage: Wer wird eigentlich Kanzlerkandidat?

Zwei davon sitzen hier vorn, einer sitzt dahinter. Mir liegt, anders als Ihnen, Herr Gabriel, Polemik vollkommen fern, aber ich glaube, wir haben heute die Kaltreserve der sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten gesehen.

In einem hat Herr Gabriel Recht - das wird die Grünen ärgern -: Die erste Partei, die das Thema Umweltpolitik aufgebracht hat, waren in der Tat die Sozialdemokraten. Ich wollte Sie zu Beginn einmal loben, ganz kurz; es wird danach nicht so schön für Sie.

Herr Gabriel hat zu Recht einmal gesagt, dass die Sozialdemokraten die Umweltpolitik erfunden haben und nicht die Grünen; denn es war Willy Brandt, der vom blauen Himmel über der Ruhr gesprochen hat. Es waren übrigens ebenfalls die Sozialdemokraten, die vehement den Einstieg in die Kernenergie gefordert haben nach dem Motto "Billiger Strom für alle".

Sie haben Ihre Position geändert. Das haben Sie erklärt, und es wurde allgemein akzeptiert. Diese Regierungskoalition hat - ebenso wie Sie - die Ereignisse in Fukushima wahrgenommen. Diese Ereignisse haben uns nicht unbeeindruckt gelassen. Wir haben daraufhin gesagt: Das ist das erste Ereignis, die erste Katastrophe, die aufgrund technischen Versagens zustande gekommen ist.

Es wäre verantwortungslos, wenn eine Regierung in einem solchen Fall nicht reagieren würde. Sie können sich winden, Sie können dazwischenrufen, aber am Ende dieses Tages werden Sie genau unserem Ausstiegsbeschluss zustimmen. Das zeigt: Sie unterstreichen die Richtigkeit unserer politischen Entscheidung. Das können Sie guten Gewissens tun; denn Ihr Ausstiegsbeschluss war ausdrücklich ein anderer. Sie haben nämlich nur den Ausstieg beschlossen. Sie haben aber vergessen, zugleich als Alternative den Einstieg und den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland zu beschließen.

Sie haben sich damit zufriedengegeben zu sagen: Wir steigen hier aus. - Die notwendige Entscheidung zu treffen, die gebraucht worden wäre, um zum Beispiel den Ausbau von Ersatzkapazitäten voranzutreiben, haben Sie aber nicht gewagt.

Auch heute verweigern Sie sich solchen sinnvollen Vorschlägen. Sie alle wissen: Wir brauchen bis zum Jahr 2013 zehn Gigawatt und bis zum Jahr 2020 nochmals zehn Gigawatt Ersatzkapazitäten. Das bedeutet im Übrigen nicht nur den Ausbau erneuerbarer Energien, sondern auch den Zubau von konventionellen Kraftwerken. Ich bin sehr gespannt, ob die Grünen dann den Mut haben, auf unserer Seite zu stehen, wenn es darum geht, konventionelle Kraftwerke zu bauen.

Bisher sind Sie immer nur dabei, zu demonstrieren, wenn es darum geht, neue Kraftwerke - seien es Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke - oder die dazu notwendigen Hochspannungsleitungen zu bauen.

Solch ein Verhalten hat nichts mit Glaubwürdigkeit zu tun. Zur Ehrlichkeit hingegen gehört: Wer den Ausstieg und den Umstieg will, der braucht den Einstieg in erneuerbare Energien, aber auch den Ausbau von konventionellen Kraftwerken.

Dafür werden jetzt im Gesetzespaket - Energiewirtschaftsgesetz, Netzausbaubeschleunigungsgesetz - die Voraussetzungen geschaffen. Sie alle wissen: Wir müssen schneller vorankommen, wenn es darum geht, die notwendigen Netze auszubauen. Bisher haben wir Planungszeiten von zehn Jahren, hinzu kommen noch die Bauzeiten. Wir wollen diesen Zeitraum auf vier Jahre reduzieren.

Die Bundesländer, die Sie bereits angesprochen haben, haben alle gemeinsam - sechzehn zu null - ausdrücklich gefordert, dass wir den Netzausbau nicht nur über die vorhandenen Gesetze beschleunigen, sondern dass wir uns weiterhin dafür einsetzen, auf europäischer Ebene das materielle Recht zu ändern, damit wir die Möglichkeit haben, beim Netzausbau und beim Kraftwerksausbau schneller voranzuschreiten. Lieber Herr Kollege Gabriel, das ist eine Ohrfeige für Sie; denn in Ihrer Zeit als Umweltminister haben Sie genau das nicht geschafft. Das war zum Schaden nicht nur der Umweltpolitik, sondern auch der deutschen Wirtschafts- und Industriepolitik.

Das wird nunmehr nachgeholt. Wir brauchen nicht nur den beschleunigten Ausbau der Netze und der konventionellen Kraftwerke, sondern auch ein besseres Erneuerbare-Energien-Gesetz. Erstmalig wird hier auf Markt und auf Effizienz gesetzt, weil wir davon überzeugt sind, dass es Quatsch ist, bei dem Ausbau der erneuerbaren Energien nur auf Subventionen und Regulierungen zu setzen. Wir werden - auch wenn Ihnen das nicht gefällt - in diesem Bereich Marktprinzipien brauchen - wie beispielsweise die Marktprämie -, um beim Ausbau der erneuerbaren Energien schneller voranzukommen. Das zeichnet die schwarz-gelbe Regierungskoalition aus, im Unterschied zu Ihrem rot-grünen Ausstiegsbeschluss von 2002.

Gleichzeitig geht es in der Tat darum, die Wirtschaft nicht übermäßig zu belasten; denn sie steht in Bezug auf die Energiepreise nicht nur in einem europäischen, sondern auch weltweiten Wettbewerb. Deswegen ist es richtig, sich auf europäischer Ebene für die Strompreiskompensation einzusetzen, um energieintensive Industrien zu entlasten.

Gleichzeitig kommt es zu einer Entlastung des Mittelstandes in Deutschland, weil durch das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz erstmalig kleine und mittelständische Unternehmen von der Energieumlage befreit werden können und dadurch eine Erleichterung erfahren. Das zeigt, dass wir nicht nur darauf achten, die Energieversorgung in Deutschland umzustellen, sondern dass wir gleichzeitig ein Augenmerk darauf haben, dass unsere deutsche Wirtschaft gerade im Hinblick auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen wettbewerbsfähig bleibt. Sie von der SPD schauen als ehemals große Volkspartei auf die großen Konzerne. Wir schauen auch auf den Mittelstand in Deutschland.

In der Tat sind gerade diese Unternehmen in Bezug auf die Energieumstellung sehr positiv gestimmt, aus einem ganz einfachen Grund. Die europäischen Nachbarn fragen uns: Was passiert eigentlich gerade bei euch in Deutschland, was macht ihr eigentlich im Bereich der Energieumstellung? Da steht ein Fragezeichen und kein Ausrufezeichen; denn man ist sehr gespannt, was gerade in Deutschland passiert.

Unsere Nachbarn trauen uns zu, dass das, was wir uns vorgenommen haben, möglich wird. Sie haben sogar Angst davor, dass das, was wir uns vornehmen, am Ende erreicht wird, weil sie wissen: Wenn wir neue Produkte, Dienstleistungen und Güter in den Bereichen der erneuerbaren Energien und der Effizienz produzieren bzw. bereitstellen, dann wird das ein Wettbewerbsvorteil für die deutsche Wirtschaft im europäischen, aber auch im weltweiten Rahmen sein. Die Energieumstellung ist deswegen auch für die Wirtschaft nicht negativ, sondern ausdrücklich positiv, weil sie uns neue Chancen bietet im Inland, im europäischen Markt, aber genauso im übrigen Ausland.

Wir sind davon überzeugt, dass das, was wir auf den Weg bringen, in der Tat ein großer Schritt auf dem Weg zur Energieumstellung ist. Die Arbeit ist mit der Verabschiedung der vorliegenden Gesetzentwürfe nicht abgeschlossen; die Arbeit, die mit der Energieumstellung verbunden ist, beginnt jetzt erst. Denn das, was vor uns liegt, ist ein ähnlich großes Projekt wie die Wiedervereinigung - es ist fast schon gleichbedeutend.

Gerade im Bereich der Infrastrukturprojekte haben wir damals gesehen, dass es sehr wohl möglich ist, in der Sache Großes zu leisten, wenn sich ein ganzes Land anstrengt und alle gemeinsam an einem Ziel arbeiten. Das geht im Bereich der Infrastruktur; das geht im Bereich der Energieumstellung.

Auch wenn Sie dazwischenrufen: Sie werden dem Ausstiegsbeschluss zustimmen und sich einmal mehr dem Einstieg in den Ausbau der erneuerbaren Energie verweigern. Das ist am Ende nicht glaubwürdig. Es geht hier nicht um Ihre Politik, die Sie damals unter Rot-Grün begonnen haben; es geht hier um eine andere Politik, nämlich eine vernünftige und realistische Umstellung der Energieversorgung in Deutschland.

Das ist der Unterschied zwischen einer Koalition, die regiert, und einer Opposition, die am Ende doch gegen die wesentlichen Neuerungen der vorliegenden Gesetzentwürfe ist.


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Quelle:
Bulletin Nr. 69-2 vom 30.06.2011
Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Dr. Philipp Rösler,
zum geplanten Ausstieg aus der Atomkraft und zur Energiewende
vor dem Deutschen Bundestag am 30. Juni 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2011