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ROHSTOFFE/026: Entwicklung - Florierende Rohstoff-Exporte machen ärmste Länder noch ärmer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. November 2010

Entwicklung: Florierende Rohstoff-Exporte machen ärmste Länder noch ärmer

Von Isolda Agazzi


Genf, 29. November (IPS) - Die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries - LDC) haben es versäumt, während des jüngsten Rohstoff-Exportbooms auch für andere Produkte neue Absatzmärkte zu suchen. Wie die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) feststellte, hat sich die Abhängigkeit der ärmsten Staaten von Nahrungseinfuhren in den vergangenen Jahren sogar noch vergrößert.

Im Zeitraum 2002 bis 2007 hätten diese Länder immerhin jährliche Zuwachsraten von durchschnittlich sieben Prozent verzeichnet, sagte UNCTAD-Generalsekretär Supachai Panitchpakdi, der in Genf den Jahresbericht 2010 zur Lage der LDC vorstellte. "Die höheren Preise, vor allem für Erdöl und -gas, brachten allerdings keine Lösung für das Problem der Preisfluktuationen", sagte er. Die LDC seien weiterhin in erster Linie auf die Ausfuhr von Rohstoffen angewiesen. Das Wachstumsmodell sei also "nicht nachhaltig" und "nicht-inklusiv".

"Die Globalisierung hat nicht alle gleich behandelt", meinte Zeljka Kozul-Wright, die die LDC-Abteilung der UNCTAD leitet. "Die ärmsten Länder sind aufgrund ihrer Abhängigkeit von Rohstoff-Exporten die Verlierer. Während der Boom-Jahre ist der verarbeitende Sektor dort schwächer geworden", stellte sie fest. Die Re-Industrialisierung sei deshalb ein wichtiges Thema.

Zeljka Kozul-Wright und Supachai Panitchpakdi - Bild: © Isolda Agazzi/IPS

Zeljka Kozul-Wright und Supachai Panitchpakdi
Bild: © Isolda Agazzi/IPS

Nach Einschätzung von Panitchpakdi hat sich die wirtschaftliche Lage der LDC wegen ihrer zu raschen Marktöffnung verschlechtert. "Um Vorteile aus einer umfassenden Handelsliberalisierung ziehen zu können, müssen die Regierung neue Regelungen für die Industrie in Kraft setzen", erklärte der UNCTAD-Chef. Afrikanische Staaten, in denen Strukturanpassungsprogramme durchgeführt würden, hätten diese Möglichkeit allerdings nicht. In Sambia beispielsweise sei die Textilindustrie inzwischen vollständig am Boden.


Diversifikation in Asien weiter fortgeschritten als in Afrika

Kozul-Wright hob hervor, dass asiatische LDC ihre Exportwirtschaft vor allem im arbeitsintensiven Fertigungsbereich weiter diversifiziert hätten als die ärmsten afrikanischen Staaten. Weiteres Wachstum zu schaffen sei mittlerweile allerdings auch in Asien schwierig, sagte sie. Die Entwicklungsstrategie nach dem Einheitsmodell habe letztlich nicht funktioniert.

Die Armut in den LDC hat infolgedessen deutlich zugenommen. Laut dem Report mit dem Titel 'Towards a New International Development Architecture for LDCs' ist die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen in den Export-Boomjahren um jährlich drei Millionen gestiegen. 2007 seien schätzungsweise 421 Millionen Menschen vom Elend betroffen gewesen - doppelt so viele wie 1980. Dies entspricht 53 Prozent der Gesamtbevölkerung aller LDC, die bis 2017 wahrscheinlich auf eine Milliarde anwachsen wird.

Die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten sei inzwischen verheerend, sagte Panitchpakdi. Die Kosten dafür hätten sich zwischen 2002 und 2008 von neun Milliarden auf 24 Milliarden US-Dollar fast verdreifacht. Der UNCTAD-Generalsekretär schlug als Alternative eine "neue internationale Wirtschaftsarchitektur" vor, die über die Entwicklungshilfe und die bisherigen Handelsmodelle hinausgehe. Auch die Technologieentwicklung und die Folgen des Klimawandels müssten berücksichtigt werden.

Im Finanzsektor kritisierte UNCTAD den Wegfall von jährlich 23 Milliarden Dollar an offizieller Entwicklungshilfe und sprach sich für eine ausgewogene Verteilung von Hilfen für soziale Zwecke und zur wirtschaftlichen Förderung aus. Das Organ der UN-Vollversammlung forderte außerdem "innovative Wege" zur Finanzierung sowie eine stärkere Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor vor allem bei Infrastrukturprojekten. Angesichts der gravierenden finanziellen Schieflage vieler LDC müssten auch Entschuldungsprogramme aufgestockt werden, hieß es.


Transaktionssteuer angemahnt

Laut dem UNCTAD-Bericht sollte auch die antizyklische Finanzpolitik zum Ausgleich schwankender Preise neu diskutiert werden. Betont wurde außerdem die Notwendigkeit, im Derivatenhandel mit Rohstoffen eine Transaktionssteuer einzuführen und die Rohstoffpreise stärker zu stabilisieren.

Von den Industriestaaten erwartet UNCTAD einen größeren Technologietransfer in die ärmsten Länder. Dies sei eine "moralische Verpflichtung", hieß es. Angemahnt wurde auch eine angemessene Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen. Denn die LDC produzierten lediglich ein Prozent der globalen Treibhausgase, seien aber von den Folgen des Klimawandels am stärksten betroffen. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.unohrlls.org/en/ldc/related/62/
http://www.unctad.org/Templates/WebFlyer.asp?intItemID=5737&lang=1
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53680


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2010