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SCHULDEN/186: Entwicklungsländer ächzen unter Schuldenlast des Privatsektors (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Juli 2012

Finanzen: Entwicklungsländer ächzen unter Schuldenlast des Privatsektors

von Hilaire Avril


Kinder in Otjivero, Namibia - Bild: © Servaas van den Bosch/IPS

Kinder in Otjivero, Namibia
Bild: © Servaas van den Bosch/IPS

Nairobi, 31. Juli (IPS) - Zwölf Jahre nach einer erfolgreichen Kampagne zur Entschuldung der ärmsten Nationen leiden Entwicklungsländer erneut unter einer horrenden Schuldenlast. Diesmal sind es nicht die öffentlichen sondern die privaten Verbindlichkeiten, die ihnen so schwer zu schaffen machen.

Wie aus einem Bericht der 'Jubilee Debt Campaign' hervorgeht, sind die Auslandsschuldenzahlungen in armen Ländern zwischen den Jahren 2000 und 2010 von durchschnittlich vier auf zehn Prozent gestiegen. Die Jubilee Debt Campaign ist ein Zusammenschluss von Organisationen, die sich für die Entschuldung armer Länder und für mehr Transparenz auf den globalen Finanzmärkten einsetzen.

"Einige Länder wie Äthiopien, Niger oder Mosambik geben weiterhin ebenso viel für den Schuldenberg aus wie vor den Schuldenerlässen im Jahr 2000", erläutert Tim Jones, der Autor des Berichts, im IPS-Gespräch. El Salvador, die Philippinen und Sri Lanka müssten nach wie vor ein Viertel ihrer Staatseinnahmen für die Rückzahlung ihrer Schulden aufbringen.

Die Schuldenzahlungen des Privatsektors seien in vielen der weltfragilsten Volkswirtschaften doppelt so hoch wie diejenigen, die der öffentliche Sektor zu begleichen habe, warnt der bereits im Mai veröffentlichte Bericht 'State of Debt'.


Entwicklungsziele gefährdet

"Im Allgemeinen sind die öffentlichen Schulden aufgrund der Schuldenerlasse oder verbesserten wirtschaftlichen Aussichten zurückgegangen. Doch nun hat sich der Privatsektor in vielen Entwicklungsländern auf gefährliche Weise übernommen und gefährdet somit die Millenniumsentwicklungsziele", warnt Jones. Wie er kritisiert, wurde nichts unternommen, um den Anstieg der Schuldenberge in den Entwicklungsländern durch das äußerst liberalisierte Weltfinanzsystem zu verhindern.

Trotz der Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, 33 Ländern im Rahmen der Initiative für hochverschuldete arme Länder (HIPC) ab 2000 bis zu 125 Milliarden Dollar an Schulden zu erlassen, prognostizieren Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) einen Anstieg der Auslandsverbindlichkeiten der ärmsten Länder (LDCS) in den kommenden Jahren um ein Drittel.

Der Anstieg dieser nicht nachhaltigen Schulden, die den Süden bereits seit den 1970er Jahren plagen, sorgt nun auch in Europa für Panik. Was derzeit in Griechenland geschieht, spiegelt nach Ansicht vieler Entwicklungsexperten das, was den Entwicklungsländern in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts widerfahren ist. Nach Ansicht von Jones wiederholt sich die Geschichte in einer Welt, "in der die Geldverleiher auch weiterhin sträflich Geld verleihen dürfen und Kreditnehmer immer den Preis zahlen müssen".

Das Thema nicht nachhaltiger Schulden wurde erstmals im August 1982 im Zusammenhang mit der ersten Mexiko-Krise aufgebracht. Eine Auflage der schweren wirtschaftlichen Turbulenzen infolge einer exzessiven Aufnahme von Krediten durch den Privatsektor erlebte Mexiko in den 1990er Jahren. Auch Ostasien, Russland, Brasilien, die Türkei und Argentinien wurden getroffen. Der Bericht der Jubilee Debt Campaign weist darauf hin, dass in den 1950er und 1960er Jahren durchschnittlich vier Staaten innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren ihren Schuldendienst nicht mehr bedienen konnten. Seit den 1970er Jahren sind es vier pro Jahr.

"Wir haben es nun mit einer globalen Finanzkrise zu tun, die der westlichen Welt das beschert, was vielen Ländern des globalen Südens bereits in den letzten 30 Jahren widerfuhr. Vor diesem Hintergrund ist es schon erstaunlich, wie sehr sich die Liberalisierungsidee halten konnte", meint Jones.

Einige Länder haben in den letzten Jahren versucht, den internationalen Kreditsektor zu regulieren. So verhängte Brasilien eine Steuer, die den vorschnellen Abzug von Auslandskapital verhindern sollte. Island griff zu einer drastischen Maßnahme. Als dort 2008 der Bankensektor kollabierte, weigerte sich die Regierung auf Druck der Bevölkerung, für die Schulden aufzukommen, die das nationale Bruttoinlandsprodukt um das Sechsfache überstiegen. Inzwischen erholt sich das Land besser von seiner Schuldenkrise als manch anderer Staat.

"Es gibt noch mehr Regierungen, die Maßnahmen zur Regulierung der Finanzflüsse in und aus ihren Ländern unterstützen. Leider gibt es aber Systembremsen wie die Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO)", so Jones.


Entschuldung wirkt Wunder

In den letzten zwölf Jahren haben sich 32 Entwicklungsländer für einen Schuldenerlass qualifiziert. Dadurch konnten sie ihre Schuldenzahlungen von durchschnittlich 20 Prozent der Regierungseinnahmen 1998 auf unter fünf Prozent 2010 verringern, wie es im Bericht der Jubilee Debt Campaign heißt. Die Staaten, die in den Genuss eines Schuldenerlasses gekommen sind, konnten die Einschulungsraten von Kindern innerhalb von zehn Jahren von 63 Prozent auf 83 Prozent steigern.

Die Jubilee Debt Campaign wirbt für die Einrichtung eines internationalen Schuldengerichts, das über das Mandat verfügt, nicht nachhaltige Schulden zu erlassen, damit auch andere Entwicklungsländer endlich aus ihrem 'Schuldgefängnis' befreit werden können. Denn die wachsende Schuldenlast setzt auch den Ländern zu, die sich nicht für das HIPC-Schema qualifizieren konnten.

Kiama Kaara vom 'Kenya Debt Relief Network' beklagt, dass in seinem Land viel zu wenig über Schuldenmanagement und Entwicklungsdividenden nachgedacht werde. "Darlehen und Entwicklungsfinanzierung müssen auf die nationale Entwicklungsagenda gesetzt werden", fordert er. "Anderenfalls werden wir auf noch mehr nutzlosen 'weißen Elefanten' sitzen bleiben, die unsere nationalen Ressourcen austrocknen." Kenias öffentliche Schulden sind im letzten Jahrzehnt von 46,8 auf 48,9 Prozent gestiegen.

"Eine Aufnahme von Krediten macht, solange man besonnen zu Werke geht, wirtschaftlich gesehen durchaus Sinn", sagt Kaara. Problematisch werde die Verschuldung immer dann, wenn die politischen und wirtschaftlichen Eliten dieselben seien. Dann entstehe ein für das Land gefährlicher Interessenkonflikt.

Auf nationaler Ebene will sich die kenianische Zivilgesellschaft ein größeres Maß an Mitsprache bei der Aufnahme von Krediten durch den Staat erkämpfen. Kaaras Netzwerk arbeitet an einer Charta für eine verantwortungsvolle Kreditaufnahme.

"Der IWF bemüht sich zwar um ein neues Mandat, um die Finanzströme zwischen den Staaten zu regulieren, doch ist es noch viel zu schwach", meint Jones und warnt. "In der europäischen Schuldenkrise begehen wir die gleichen Fehler wie in der lateinamerikanischen Schuldenkrise der Vergangenheit, indem wir so tun, als sei ein rigider Sparkurs die richtige Antwort. Stattdessen geht es mit der Wirtschaft bergab und das Leid der Menschen an der Basis nimmt zu." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.jubileedebtcampaign.org.uk/stateofdebt
http://www.ipsnews.net/2012/07/private-sector-debt-gnawing-at-developing-countries/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2012