Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

TOURISTIK/365: Balkan - Einkaufstourismus boomt, Serben sparen in Mazedonien und Bulgarien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. März 2012

Balkan: Einkaufstourismus boomt - Serben sparen in Mazedonien und Bulgarien

von Vesna Peric Zimonjic

Serben fahren bis zu hundert Kilometer weit nach Bulgarien, um günstig Kleider und Schuhe zu kaufen - Bild: © Vesna Peric Zimonjic/IPS

Serben fahren bis zu hundert Kilometer weit nach Bulgarien,
um günstig Kleider und Schuhe zu kaufen
Bild: © Vesna Peric Zimonjic/IPS
Vranje, Serbien, 20. März (IPS) - Die anhaltende Wirtschaftskrise hat auf dem Balkan eine neue Form des Tourismus hervorgebracht. Viele Menschen sind zwischen Serbien, Bosnien, Kroatien, Ungarn, Bulgarien und Mazedonien unterwegs, um sich preisgünstig mit Lebensmitteln, Kleidung und anderen Bedarfsgütern einzudecken. Beobachtern zufolge schweißt dieser 'Einkaufstourismus' Südosteuropa enger zusammen.

"Einmal im Monat fahre ich nach Mazedonien, um meinen Kühlschrank zu füllen", sagt der 72-jährige Milan Jankovic aus der serbischen Stadt Vranje. "Das Busticket kostet 300 Dinar (3,5 US-Dollar). Für etwa 284 Dollar kaufe ich dort Käse, eingemachtes Fleisch, Pasteten und haltbare Milchprodukte ein. In Serbien würden mich diese Waren ein Drittel mehr kosten. Dann wäre meine gesamte Rente weg."

Die mazedonische Stadt Kumanovo, die 50 Kilometer von Vranje entfernt liegt, ist das Hauptziel für Einkaufstouristen wie Jankovic. "Wintergarderobe ist dort zurzeit bis zu 70 Prozent heruntergesetzt. Damit können meine Frau und ich uns einen neuen Mantel kaufen."

Ähnlich denken auch andere Serben, die in Grenznähe leben. Bewohner von Städten wie Nis und Pirot im Süden des Landes fahren sogar etwa 100 Kilometer weit zu dem bulgarischen Markt Ilijanci, während Bulgaren in nahe gelegenen serbischen Städten einkaufen. Nach Angaben von Serben sind Kleidung und Schuhe in Bulgarien 30 Prozent billiger als in ihrer Heimat. Bulgaren können dagegen in Serbien günstiger an Lebensmittel kommen.

"Selbst wenn ich die Benzinkosten für die Fahrt von der bulgarischen Hauptstadt Sofia nach Pirot einrechne, spare ich immer noch, wenn ich dort frisches Fleisch oder haltbare Fleischprodukte kaufe", sagt der 39-jährige Ivan Mitev IPS. "In Bulgarien ist alles sehr teuer geworden."


Bulgaren retten serbischen Lebensmittelhändlern den Umsatz

Ein Metzger im Süden Serbiens berichtet, dass er an den Wochenenden nur Bulgaren in den Läden sehe. "Das rettet uns das Geschäft, weil die Serben immer weniger Geld haben." Kroaten werden nicht nur durch erschwinglichere Lebensmittel, sondern auch durch günstigere Zigaretten in das Nachbarland gelockt. Mit umgerechnet einem bis 1,5 Dollar pro Packung sind die Preise für Tabakwaren in Serbien die niedrigsten in der gesamten Region. In Kroatien, das im nächsten Jahr der EU beitreten soll, kostet eine Packung Zigaretten mindestens 2,6 Dollar.

Vladimir Stojanovic, der Leiter des Zollbüros im serbischen Gradina, dem größten Grenzübergang nach Bulgarien, kann den Boom des Einkaufstourismus nur bestätigen. "Bulgaren holen sich hier Nahrungsmittel, während Serben jenseits der Grenze Textilien und Lederwaren kaufen. In Bulgarien kosten LED-Fernseher außerdem nur etwa 390 Dollar, in Serbien dagegen zwischen 585 und 650 Dollar."

Auf die aus den Nachbarstaaten nach Serbien eingeführten Waren muss kein Zoll bezahlt werden, wenn die Mengen dem privaten Verbrauch entsprechen. Die meisten Menschen kommen daher mit einzelnen Fernsehern und ein paar Einkaufstüten zurück. In Bulgarien und Ungarn, die bereits der EU angehören, kann außerdem die Mehrwertsteuer von dem Kaufpreis abgezogen werden, wenn der Warenwert 195 Dollar übersteigt. Die Käufer können sich das Geld an bestimmten Schaltern an den Grenzen zurückerstatten lassen.

"Deswegen lohnt es sich, nach Szeged zu fahren", erklärt der 52-jährige Slobodan Kordic aus der nordserbischen Stadt Subotica. Szeged liegt auf der anderen Seite der Grenze in nur 40 Kilometern Entfernung. "Ich habe meinem Sohn für 31 Dollar ein Paar heruntergesetzte Winterschuhe gekauft. Zu Hause würden sie über 100 Dollar kosten", sagt Kordic.


Autoersatzteile in Bosnien günstiger

Einwohner der Stadt Loznica im Westen Serbiens sparen bei der Anschaffung von Autoersatzteilen und -reifen, wenn sie in die bosnische Stadt Bijeljina fahren. Die Preise sind dort um etwa 20 Prozent niedriger, zudem wird die Mehrwertsteuer von 17 Prozent erstattet. "Auch tanken ist in Bosnien viel billiger", erzählt Zoran Smijanovic aus Loznica. Für einen Liter hochwertigen Treibstoff zahlt der 34-Jährige in Bosnien 1,6 Dollar, während die gleiche Menge in Serbien fast zwei Dollar kosten würde.

"Wenn man im Monat mehrere Tausend Dinar bei Benzin, Kleidung und Kinderschuhen sparen kann, so ist das eine Menge", meint der Wirtschaftsexperte Misa Brkic. Gerade in den südserbischen Grenzgebieten, die besonders arm sind, kämen die Menschen damit besser über die Runden.

Das durchschnittliche Monatseinkommen in Serbien ist mit etwa 390 Dollar niedriger als in anderen Balkanländern. Nach der Einführung der Marktwirtschaft im Jahr 2000 sind verstärkt Waren aus dem Ausland über die Grenzen gekommen. Der Staat erhebt darauf hohe Steuern, um seine Kassen zu füllen.


Kaufkraft in Serbien stark gesunken

Erst die erneute Abschaffung der Visumspflicht für Bürger von EU-Staaten 2009 hat den Serben wieder die Möglichkeit gegeben, jenseits der Grenzen einzukaufen. Obwohl die Steuern graduell sinken, vor allem seit das Land in den Kreis der EU-Beitrittskandidaten aufgenommen worden ist, sind die Preise in dem in den letzten Jahren ärmer gewordenen Land gestiegen. Seit Ausbruch der Krise 2008 ist die individuelle Kaufkraft auf den niedrigsten Stand seit 2000 gesunken.

"Die Kaufkraft hat sich in Serbien im vergangenen Jahr um mindestens ein Drittel verringert. Nach dem Verlust vieler Arbeitsplätze haben die Familien nur noch ein begrenztes Einkommen zur Verfügung", sagt Brkic. "Die meisten Preise sind gleich geblieben, obwohl sich die Menschen außer Lebensmitteln und anderen Basisgütern kaum noch etwas leisten können." Die durchschnittlichen Nettoeinkommen liegen bei 958 Dollar in Kroatien, 520 Dollar in Bosnien und 455 Dollar in Bulgarien. (Ende/IPS/ck/2012)


Link:
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107083

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. März 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2012