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VERKEHR/1314: Brasilien - "TransBrasil" bindet Armenviertel an das Zentrum von Rio de Janeiro an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Oktober 2013

Brasilien: 'TransBrasil' bindet Armenviertel an das Zentrum von Rio de Janeiro an

von Fabiola Ortiz


Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Bislang ist ein öffentlicher Nahverkehr in den Favelas am Rande von Rio nicht möglich
Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Rio de Janeiro, 7. Oktober (IPS) - Die Erweiterung des öffentlichen Transportsektors durch einen Schnellbuskorridor in Rio de Janeiro wird Dutzende Armenviertel in den Außenbezirken ans Stadtzentrum anbinden und auf diese Weise die weltgrößte Nachfrage durch Pendler bedienen. Experten zufolge bietet das Projekt den Stadtplanern die außergewöhnliche Gelegenheit, die auf der Route liegenden Außenbezirke zu entwickeln.

Sie empfehlen den Behörden von Rio, die großen Infrastrukturarbeiten im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2014 und der Olympischen Spielen 2016 als Chance zugunsten einer nachhaltigen städtischen Mobilität beziehungsweise einer Entwicklung durch eine kluge Verkehrspolitik zu begreifen.

Die im Juni in Rio und anderen brasilianischen Städten ausgebrochenen Massenproteste waren durch die Probleme des öffentlichen Transportsystems in den großen brasilianischen Städten ausgelöst worden. Während des Besuchs von Papst Franziskus in Rio im Juli gingen Bilder um die Welt, die Hunderte von Metern langen Schlangen von Menschen zeigten, die auf die U-Bahn warteten.


Transitorientierte Entwicklung

Die sportlichen Großevents böten die Chance, das Konzept der Transitorientierten Entwicklung (TOD) umzusetzen, meint Robert Cervero, ein Professor für Stadtplanung an der Universität von Kalifornien im US-amerikanischen Berkeley. Dahinter steckt die Idee, den Ausbau des Schnellbus- und Schienenverkehrs zur nachhaltigen Entwicklung der anliegenden Stadtviertel als Wohn-, Geschäfts- und Begegnungsstätten, der Lebensqualität und verbesserten Gesundheit der Bewohner zu nutzen.

Der für TransBrasil vorgesehene Buskorridor wird 32 Kilometer lang sein und pro Tag 820.000 Pendlern zugute kommen. Die Kosten für das Vorhaben, das sich noch in der Ausschreibungsphase befindet, werden mit 570 Millionen US-Dollar veranschlagt. Das 'Bus Rapid Transit' (BRT)-System, so der internationale Namen für das Vorhaben, soll für die Pendler zum bevorzugten Transportmittel ihrer Wahl werden. Es sieht zum einen die Verwendung von Schnellbussen vor, die lange Entfernungen zurücklegen und lediglich die Zentren von Verkehrsknotenpunkten ansteuern, sowie von Nahverkehrsbussen, die alle 500 Meter halten.

"Es gilt die Besonderheiten, die Kultur einer jeden Stadt in die Planungen mit einzubeziehen", erläutert Cervero. "Hinter den TOD steht die Idee, die Chancen zu nutzen, die ein solcher Schnellbuskorridor zusammen mit dem U- und Straßenbahnsystem bietet. Die Bahnhöfe und Stationen werden zu Kristallisationspunkten, um eine Wiederentwicklung zu ermöglichen."

Es gehe zudem darum, Menschen zum Laufen und Fahrradfahren zu bewegen sowie Orte des sozialen Engagements zu schaffen. Das beste TOD zeichne sich dadurch aus, Orte geschaffen zu haben, die Menschen mit Bus und Bahn erreichen können, die ihnen die Gelegenheit geben, dort sicher zu leben, zusammenzukommen und einzukaufen.

"Die bevorstehen Sportveranstaltungen bieten eine Chance, die man nicht ungenutzt verstreichen lassen sollte", so Cervero. Allerdings gelte es eine Art Feuertaufe zu bestehen, wenn die Großveranstaltungen vorüber seien. Dann müsse sich die Infrastruktur für die Nachbarschaften, Gemeinschaften und Menschen bewähren. "Damit dies geschehen kann, ist Planung erforderlich und Führungsstärke, schließlich geht es um verschiedene Zuständigkeiten."

Cervero hatte im letzten Monat Brasilien besucht, um an einem Seminar zum Thema 'Wir sind die Städte' des 'Institute for Transportation and Development Policy' (ITDP) teilzunehmen. Nach Angaben der brasilianischen ITDP-Leiterin Clarisse Linke sei ein solcher 'städtischer Neuentwurf' für Rio de Janeiro noch nicht erfolgt.


Katastrophale Situation für Pendler

In Rio ist die Zahl der motorisierten Fahrzeuge im letzten Jahrzehnt auf 2,5 Millionen gestiegen. Bis 2015 werden den Schätzungen zufolge bei einer Bevölkerungszahl von 6,4 Millionen drei Millionen Fahrzeuge in der Stadt zirkulieren. Durchschnittlich müssen die Pendler der Stadt eineinhalb Stunden Fahrzeit am Tag in Kauf nehmen. In vielen Fällen sind es sogar vier bis sechs Stunden pro Tag. "Die größte Herausforderung besteht doch darin, wie wir Stadtplanung und Transport zusammenbringen, um eine lebenswertere und gleichere Stadt zu schaffen", betont Linke gegenüber IPS.

TransBrasil wird die Außenbezirke über die Avenida Brasil mit dem Stadtzentrum verbinden. Die Straße verläuft durch Dutzende Favelas. Der BRT-Korridor werde allen Nachbarschaften in der Nähe der neuen Bahnhöfe zu neuem Leben verhelfen, hofft Linke.

BRT, das bereits in vielen Städten der Welt zur Anwendung kommt, ist eine brasilianische Erfindung. Es wurde 1974 in der südlichen Stadt Curitiba erprobt und gilt inzwischen als Modell eines nachhaltigen Transportwesens.

Der Verkehr in Rio ist chaotisch, wie Maria Luiza Korenchendler aus dem Stadtplanungsamt von Rio einräumt. Doch nach Abschluss des TransBrasil werde sich die Zeit, die Pendler derzeit für den Transport aufbringen müssten, um 40 Prozent verringern. Erwartet wird ferner, dass BRT viele Autofahrer veranlassen wird, ihre Privatwagen stehen zu lassen und in die öffentlichen und kostengünstigeren Transportmittel einzusteigen. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2013/09/transbrasil-puede-cicatrizar-tajo-urbano-de-rio-de-janeiro/
http://www.ipsnews.net/2013/09/transbrasil-could-boost-integration-in-rio-de-janeiro/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2013