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WOHNEN/230: Berlin - Bauen, bauen, bauen? (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 207 - Dezember 2018 / Januar 2019
Die Berliner Umweltzeitung

Bauen, bauen, bauen?
Für ein soziales und ökologisches Berlin kommt es darauf an: Wer baut was und für wen?

von Elisabeth Voß


Zweifellos fehlen Wohnungen in Berlin, das können alle bestätigen, die neu in die Stadt ziehen oder umziehen möchten. Genau genommen fehlen bezahlbare Wohnungen. Da liegt der Ruf nach Neubau nahe - aber ist es so einfach?

Aus den Antworten des Senats auf eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katina Schubert (Linke) geht hervor, dass in Berlin seit zehn Jahren kontinuierlich immer mehr gebaut wird. 2006 wurden 3.162 Wohnungen neu errichtet, 2016 bereits 13.659 und 2017 sogar 15.669. Baugenehmigungen wurden viel häufiger erteilt, und Ende 2017 waren fast 60.000 Wohnungen genehmigt, aber noch nicht gebaut. Etliche Grundstücke werden mit Baugenehmigungen weiterverkauft, so dass hier auch von spekulativen Verzögerungen ausgegangen werden kann.

Der Anteil von Eigentumswohnungen im Neubau lag 2017 bei 30 Prozent. Bei den Mietwohnungen stiegen die Mieten für den Erstbezug in den letzten zehn Jahren um 65 Prozent und lagen 2017 laut Marktbericht der Immobilienbank DZ Hyp bei durchschnittlich 12,50 Euro netto kalt pro Quadratmeter. Sind das noch Wohnungen oder ist das schon Betongold? Aus marktwirtschaftlicher Sicht mag der Preisanstieg durch erhöhte Nachfrage logisch erscheinen. Wenn jedoch von einer erhöhten Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen ausgegangen wird, dann handelt es sich um ein weitgehendes Marktversagen, wenn diese Wohnungen nicht bereitgestellt werden.

Wohnen ist ein Menschenrecht

Ohnehin sind Wohnungen keine Ware wie jede andere, sondern das Recht auf Wohnen ist in den allgemeinen Menschenrechten und im UN-Sozialpakt festgelegt. Daher ist es überhaupt nicht egal, wer Wohnungen baut. Die verbliebenen sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen spielen eine wichtige Rolle, sind jedoch in ihrer privatrechtlichen Verfasstheit als GmbHs und Aktiengesellschaften auf Gewinnerzielung ausgerichtet. Mit dem Mietenvolksentscheid, der 2015 begonnen wurde, sollten sie in Anstalten öffentlichen Rechts umgewandelt und auf Wohnraumversorgung statt Profit verpflichtet werden. Aus den Verhandlungen zwischen Volksentscheid-Initiative und Politik resultierte das Wohnraumversorgungsgesetz, das Anfang 2016 in Kraft trat. Zusammen mit der im April 2017 unterzeichneten Kooperationsvereinbarung wurden die landeseigenen Gesellschaften in ihren Mieterhöhungs-Möglichkeiten eingeschränkt.

2017 wurden nur 2.436 Wohnungen von öffentlichen Bauherren fertiggestellt. Die landeseigenen Wohnungsunternehmen sollen ihre Bautätigkeiten intensivieren und gemäß Kooperationsvereinbarung ihren Bestand von bisher zusammen knapp 300.000 Wohnungen bis zum Jahr 2021 auf 360.000 erhöhen, wobei etwa die Hälfte neu gebaut, die andere Hälfte zugekauft werden soll. 50 Prozent der Wohnflächen müssen im sozialen Wohnungsbau errichtet werden, der jedoch mit Nettokaltmieten von anfangs durchschnittlich 6,50 Euro pro Quadratmeter nicht wirklich preiswert ist.

Konstruktionsfehler: Befristete Sozialbindung

Private Bauherren werden vom Senat im Rahmen der Kooperativen Baulandentwicklung verpflichtet, im Neubau 30 Prozent Sozialwohnungen zu errichten, wenn die gesamte Wohnfläche mindestens 5.000 Quadratmeter beträgt. Dafür gibt es Zuschüsse, und die geförderten Wohnungen können auch von städtischen Gesellschaften gebaut oder später von ihnen übernommen werden. Die Mietpreis- und Belegungsbindung besteht für 30 Jahre. Diese Befristung stellt einen grundlegenden Konstruktionsfehler dar, denn preiswerter Wohnraum wird auf Dauer benötigt, nicht nur vorübergehend. Berlin könnte sich ein Beispiel an Wien nehmen, wo zwei Drittel der Bevölkerung in Gemeindewohnungen oder im geförderten Wohnungsbau leben, der dort auf Dauer angelegt ist.

Der Anteil von 30 Prozent Sozialwohnungen im privaten und 50 Prozent im öffentlichen Wohnungsneubau kann von den Vorhabenträgern nach Belieben angeordnet werden, es gibt keinerlei Auflagen, beispielsweise zur sozialräumlichen Mischung. So können geförderte Wohnungen in unattraktiveren Lagen angesiedelt werden, oder sie werden als Lärmschutzriegel zwischen Straßen oder Bahngleisen und den Gebäuden mit teureren Wohnungen gebaut.

Genossenschaften sind auf die dauerhafte Versorgung ihrer Mitglieder mit Wohnraum ausgerichtet (Rabe Ralf August 2018, S. 20). In der Berliner Neubau-Statistik werden sie jedoch nicht gesondert erfasst, sondern gehen in die Zählung privater Wohnungsunternehmen ein. Ihnen fehlen oft Grundstücke, um Wohnungen für weitere Mitglieder errichten zu können. Die rasant steigenden Preise für Bauland in Berlin - im Jahr 2017 um 77 Prozent - sind ein wesentlicher Grund dafür, dass Bauen immer teurer wird. Hinzu kommen eine erhöhte Nachfrage nach Bauleistungen und wachsende technische Anforderungen an Sicherheit und Energieeffizienz. Die reinen Baupreise in Berlin lagen im August 2018 um 7,1 Prozent höher als ein Jahr zuvor.

Um der Bodenspekulation Einhalt zu gebieten, werden öffentliche Grundstücke in Berlin in der Regel nicht mehr verkauft. Eine Initiative in Kreuzberg-Friedrichshain arbeitet an einem Eigentumsmodell zur dauerhaften Sicherung von städtischem Boden als Grundlage für bezahlbare Wohn- und Gewerberäume (Rabe Ralf Oktober 2018, S. 20).

Nachverdichtung um jeden Preis?

Die Nachverdichtung der Innenstadt ist ein konfliktreiches Thema. Vor kurzem wurde sogar die Bebauung des Tempelhofer Feldes wieder ins Gespräch gebracht. Angesichts des Klimawandels sind Grünzonen und Frischluftschneisen für die städtische Bevölkerung überlebenswichtig, insbesondere wenn die notwendige Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs nicht vorangebracht wird. Mehr Wohnungen - auch wenn sie flächensparend durch Aufstockungen oder Dachausbau entstehen - ziehen Infrastrukturen im sozialen, kulturellen und gewerblichen Bereich nach sich und verstärken den Verkehr nochmals.

Sowohl unter sozialen als auch ökologischen Aspekten kann Neubau nicht die einzige Lösung der Wohnungsfrage darstellen. Mindestens ebenso wichtig ist der Erhalt des Bestandes an bezahlbaren Wohnungen und der Schutz vor spekulativer Verwertung. Die Ausweisung von Milieuschutzgebieten ist immerhin ein Ansatz, wenngleich die Schutzwirkungen begrenzt sind. Notwendig wären bundespolitische Regelungen, beispielsweise eine wirksamere Mietpreisbremse oder die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Jedoch könnte auch regional mehr möglich sein, wenn die Wohnungsfrage stärker als bisher in die Entwicklung der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg einbezogen würde.

Auf dem Stadtforum "StadtUmland! Gemeinsam wachsen" am 12. November 2018 stellte Jan Drews, Abteilungsleiter der Gemeinsamen Landesplanung Berlin-Brandenburg, den aktuellen Stand des Landesentwicklungsplans vor. Im Siedlungsstern entlang der Bahntrassen von Berlin ins Umland gebe es Platz für mehr als eine halbe Million neue Wohnungen, mit der Regionalbahn etwa 45 Minuten von den Arbeitsmarktzentren in Berlin entfernt.

Perspektive wechseln

Vielleicht wäre ja ein Perspektivwechsel hilfreich, der die Wohnungsfrage einbettet in die größere Frage danach, wie Wohnen, Arbeit und Freizeit - das ganze Leben also - anders, regionaler und selbstbestimmter organisiert werden könnten, statt Schlafstädte im Umland und immer mehr Pendelverkehr zu produzieren?

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Quelle:
DER RABE RALF
29. Jahrgang, Nr. 207, Seite 1 und 4
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2018

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