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INTERNATIONAL/113: Desmond Tutu will Austritt afrikanischer Staaten aus Weltstrafgericht verhindern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2013

Menschenrechte: Nobelpreisträger Desmond Tutu will Austritt afrikanischer Staaten aus Weltstrafgericht verhindern

von Thalif Deen


Bild: © UN/Jena-Marc Ferré

Desmond Tutu
Bild: © UN/Jena-Marc Ferré

New York, 14. Oktober (IPS) - Der Südafrikaner und Friedensnobelpreisträger von 1984, Desmond Tutu, hat eine internationale Kampagne angestoßen, die einen Ausstieg afrikanischer Länder aus dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) verhindern soll.

An der Spitze der Bewegung gegen den ICC stehen Sudan und Kenia, deren politische Führer sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Völkermord vor dem Haager Tribunal verantworten müssen. Beide Staaten haben damit gedroht, den ICC zu verlassen.

Tutu, der emeritierte Erzbischof von Kapstadt und weltweit bekannte Menschenrechtler, hat sich an Südafrika und Nigeria als zwei der einflussreichsten afrikanischen Staaten gewandt, damit sie dem Sudan und Kenia Einhalt gebieten, Afrika zu einem Ausscheren aus dem ICC zu drängen. Die Kampagne wurde mit der Hilfe von 'Avaaz' gestartet, das zu den größten Aktivistennetzwerken der Welt gerechnet wird.

Etliche afrikanische Länder einschließlich Uganda, Ruanda und Äthiopien sind dagegen, dass sich der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta und dessen Vize William Ruto vor dem ICC verantworten müssen. Beiden werden für die Gewalt im Anschluss an die Wahlen von 2007/2008 verantwortlich gemacht, die mehr als 1.000 Menschen den Tod brachte.

Am zweiten Oktoberwochenende hat die Afrikanische Union in Addis Abeba gefordert, die strafrechtliche Verfolgung amtierender Staats- und Regierungschefs bis zum Ablauf von deren Amtszeit zu verschieben. Der Vorschlag einzelner afrikanischer Staaten, aus dem ICC auszuscheren, konnte sich nicht durchsetzen.


Tutu: ICC sollte sich auch mit einigen westlichen Führern beschäftigen

In einer Mail an mehr als 26 Millionen Avaaz-Mitglieder wies Tutu die Vorwürfe zurück, die ICC-Ermittlungen seien eine vom Westen orchestrierte und gegen Afrikaner gerichtete Hexenjagd. Afrikanische Führer, die ihre Macht missbrauchten, müssten zur Rechenschaft gezogen werden, betonte er. "Und ich sage aber auch 'on the record', dass es gewisse ehemalige westliche Führer gibt, für die das Gleiche gelten sollte."

Damit bezog sich Tutu auf den Vorwurf vieler Afrikaner, dass sich die internationale strafrechtliche Verfolgung ausschließlich auf Afrikaner konzentriere und somit mit zweierlei Maß gemessen werde.

Afrikanische Staaten bilden mit 31 von 122 Ländern die größte Ländergruppe der ICC-Mitglieder. Die Mehrheit der Menschenrechtsuntersuchungen konzentrieren sich auf afrikanische Länder wie auf den Sudan, auf Uganda, Libyen, Kenia, Côte d'Ivoire, die Zentralafrikanische Republik und die Demokratische Republik Kongo (DRC).

Elise Keppler, Programmleiterin für internationale Gerichtsbarkeit der internationalen Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW), ist der Meinung, dass Tutu den afrikanischen Regierungen die Bedeutung des Weltstrafgerichts als letzte Instanz begreiflich machen möchte. Eine Botschaft, die auch 150 Menschenrechtsorganisationen in einem Schreiben an 35 afrikanische Staaten verbreitet haben.

Laut William R. Pace, der die Koalition für den Internationalen Strafgerichtshof (CICC) leitet, geht es Tutu und Avaaz darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass afrikanische Führer mit einem Austritt aus dem ICC "eine große Ungerechtigkeit im Namen der Gerechtigkeit" begehen würden.

Alice Jay, die Kampagnenleiterin von Avaaz, begrüßte den Vorstoß des südafrikanischen Erzbischofs als starke Warnung an die Adresse Afrikas, der Straffreiheit den Vorzug vor Gerechtigkeit zu geben. Wie sie erklärte, macht der ICC im Kongo, in Liberia und in Côte d´Ivoire tausenden Menschen, die von den "Armeen, Milizen und Irren" verfolgt werden, Hoffnung, dass ihnen irgendwann einmal Gerechtigkeit wiederfahren wird.

Tutu wies darauf hin, dass man wohl schwerlich von einem afrikafeindlichen Tribunal sprechen könne, wenn dessen Chefankläger, dessen Vizepräsident und fünf Richter Afrikaner seien und durch den ICC viele Menschenleben in Afrika gerettet werden könnten. "Diejenigen, die sich vor einer strafrechtlichen Verfolgung durch den ICC fürchten, sollten keine Machtbefugnisse übernehmen dürfen", fügte er hinzu.

Auch Keppler von HRW lässt das Anti-Afrika-Argument der ICC-Gegner nicht gelten. Wie sie betonte, sei das Gericht in den meisten Fällen erst dann aktiv geworden, nachdem afrikanische Regierungen den ICC angerufen hätten. In zwei weiteren Fällen sei der UN-Sicherheitsrat die Triebfeder für die Aufnahme von Ermittlungen gewesen, erläutert die Aktivistin. Das Büro des ICC-Chefanklägers sei lediglich im Fall Kenias aktiv geworden, und das auch nur, weil an der Heimatfront kein Recht gesprochen worden sei.


Vorwurf des doppelten Standards

Die Expertin räumt aber ein, dass es eine Reihe von Fällen gibt, in denen der ICC nicht aktiv werde, obwohl dies eigentlich der Fall sein müsste. So gebe es derzeit einige einflussreiche Regierungen, die sich in Sicherheit wiegen dürften, weil sie dem ICC nicht beigetreten seien beziehungsweise sich darauf verlassen könnten, dass ihre Freunde im UN-Sicherheitsrat von ihrem Vetorecht Gebrauch machten.

Syrien ist ein Paradebeispiel. Sowohl Russland als auch China, beide ständige Mitglieder der UN-Sicherheitsrates, haben damit gedroht, ihr Veto einzulegen, sollten Versuche unternommen werden, den ICC auf Syrien anzusetzen.

"Doch gerade ein solcher Fall sollte die afrikanischen und alle anderen Regierungen veranlassen, den Doppelstandard bei der Anwendung internationalen Rechts zu kritisieren und überall dort, wo schlimme Verbrechen begangen werden, für Gerechtigkeit einzutreten, anstatt das einzig ständige Gericht mit dem Mandat, schwere Verbrechen zu ahnden, auszuschalten", so Keppler. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.avaaz.org/de/petition/
http://www.ipsnews.net/2013/10/nobel-laureate-fights-african-pullout-from-global-court/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2013