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STELLUNGNAHME/086: Zur Festnahme eines türkischen Vertrauensanwalts der deutschen Botschaft (Flüchtlingsrat Niedersachsen)


Flüchtlingsrat Niedersachsen - 21. November 2019

Festnahme eines türkischen Vertrauensanwalts der deutschen Botschaft gefährdet Tausende von Geflüchteten in Deutschland

Flüchtlingsrat fordert das BAMF auf, alle betroffenen Flüchtlinge anzuerkennen und zukünftig sensibler mit Beweisunterlagen umzugehen.


Rund 200 Geflüchtete aus der Türkei, die derzeit vor dem Verwaltungsgericht gegen die Ablehnung ihres Asylantrags klagen, erhalten in diesen Tagen Besuch vom Verfassungsschutz: Der türkische Geheimdienst MIT habe sie im Visier, so die Warnung. Sie sollten vorsichtig sein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat die Betroffenen zuvor im Asylverfahren als "unglaubwürdig" abgelehnt.

Hintergrund der Warnungen: Ein Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft in Ankara wurde in der Türkei wegen "Spionage" festgenommen. Dieser Anwalt war beauftragt, Dokumente und Unterlagen zu prüfen, die aus der Türkei nach Deutschland geflohene türkische Staatsbürger_innen zum Beleg ihrer Verfolgung vorgelegt hatten. Die Rechercheunterlagen des Anwalts befinden sich nun in den Händen des türkischen Geheimdienstes MIT. Betroffen hiervon könnten - über die vom Verfassungsschutz vorgewarnten 200 Personen hinaus - Tausende weitere Geflüchtete sein, deren Verfolgung der Vertrauensanwalt in den letzten Jahren recherchiert hat.

Dündar Kelloglu vom Vorstand des Flüchtlingsrat erklärt dazu:

"Ich fordere das BAMF auf, zukünftig sensibler mit Beweisunterlagen umzugehen. Es ist unerträglich, wenn die Behörde, die für die Anerkennung von Fluchtgründen zuständig ist, dafür sorgt, dass zusätzliche Verfolgungsgründe entstehen. Die Bescheide des BAMF sind in vielen Fällen bodenlos schlecht, weil vorgelegte Beweismittel nicht gewürdigt werden."

Dass unzählige Flüchtlinge befürchten müssen, vom türkischen Geheimdienst observiert und verfolgt zu werden, hat vor allem mit einer fragwürdigen Verwaltungs- und Entscheidungspraxis des BAMF zu tun: Das Bundesamt begegnet Geflüchteten aus der Türkei in einer Vielzahl von Fällen mit strukturellem Misstrauen. Statt die von Betroffenen vorgelegten Unterlagen über Anklagen und Gerichtsverfahren zu prüfen und zu bewerten, lehnt die Behörde Asylanträge oftmals ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung mit den Dokumenten ab und klassifiziert die Asylanträge pauschal als "unglaubhaft". Die Verwaltungsgerichte in Deutschland sehen sich wegen der ablehnenden Entscheidung des BAMF regelmäßig gezwungen, das Auswärtige Amt um Prüfung der Echtheit der vorgelegten Dokumente zu bitten. Bis vor kurzen waren solche Recherchen die Ausnahme, aktuell wird nahezu jeder zweite Fall aus der Türkei dem Auswärtigen Amt zur Prüfung vorgelegt. Bei den Verwaltungsgerichten ist die Empörung über die mangelhafte Qualität der BAMF-Bescheide groß.

Dündar Kelloglu:

"Wir fordern eine Kehrtwende des BAMF bei der Bewertung der Asylanträge von Flüchtlingen aus der Türkei. Oppositionelle und vermeintliche Regimegegner können aus nichtigem Anlass in den Fokus der türkischen Verfolgungsbehörden gelangen. Ganz offenbar werden die Leitsätze des BAMF dieser traurigen Realität in der Türkei nicht gerecht."

Beispielfall:

Z. floh am 02.02.2018 in das Bundesgebiet und stellte einen Asylantrag. Seine Verfolgung bewies Z. durch zahlreiche gerichtliche Urkunden. Das Bundesamt prüfte den Asylantrag nur oberflächlich, verzichtete auf eine inhaltliche Würdigung der vorgelegten Urkunden und lehnte den Asylantrag am 08.06.2018 mit der Begründung ab, der Vortrag sei unglaubhaft, da nicht vorstellbar sei, dass ein unpolitischer Mensch wie der Antragsteller von staatlichen Verfolgungsmaßnahmen betroffen sei.

Am 21.06.2018 erhob der Kläger gegen den Bescheid Klage und verwies auf die drohende Verfolgung, die sich aus den vorgelegten Unterlagen zweifelsfrei ergab. Das Bundesamt hielt dennoch an seinem offensichlich mangelhaften Bescheid fest. Obwohl nichts für eine Fälschung der vorgelegten Unterlagen sprach, sah sich das Verwaltungsgericht Hannover daher genötigt, mit Beweisbeschluss vom 12.11.2018 eine Auskunft des Auswärtigen Amtes einzuholen, ob die eingereichen gerichtlichen Urkunden echt sind.

Mit Schreiben vom 05.09.2019 an das VG Hannover bestätigte das Auswärtige Amt die Echtheit der von Herrn Z. eingereichten Papiere. Herr Z. müsse, so das Auswärtige Amt, bei einer Rückkehr mit Verhaftung rechnen. Daraufhin verpflichtete das VG Hannover das Bundesamt mit Urteil vom 07.11.2019 ohne mündliche Verhandlung zu einer Flüchtlingsanerkennung.

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2019

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