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STANDPUNKT/009: Gebühren für Grundrechte? (Grundrechtekomitee)


Komitee für Grundrechte und Demokratie
Berlin/Köln, den 24. Oktober 2011

Erklärung zum Residenzpflichtverfahren von Komi E.
vor dem Oberverwaltungsgericht Magdeburg am 26. Oktober 2011


Gebühren für Grundrechte?

"Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit ..." (GG Art. 2.1)
"Die Freiheit der Person ist unverletzlich." (GG Art. 2.2)


Komi E., politischer Aktivist, hatte im Jahr 2007 gegen die Entrichtung einer Gebühr von 10, geklagt, die der Landkreis Saale für die Erteilung einer "Verlassenserlaubnis" nach dem Aufenthaltsgesetz erhoben hatte. Das Verwaltungsgericht Halle hatte am 26. Februar 2010 formal entschieden, dass diese Gebühr zu Unrecht erhoben wurde. Dagegen ist der Landkreis in Berufung gezogen. Verhandelt wird nun am 26. Oktober 2011 vor dem Oberverwaltungsgericht in Magdeburg, Breiter Weg 203206 (11.00 Uhr, Saal 22). Bis zum März 2011 galt in SachsenAnhalt wie in anderen Bundesländern noch heute: Asylsuchende und "geduldete" Flüchtlinge dürfen den Bezirk der Ausländerbehörde nur mit besonderer Erlaubnis verlassen. Zusätzlich wird von einigen Ausländerbehörden eine Verwaltungsgebühr dafür verlangt, dass eine "Verlassenserlaubnis" erteilt wird. Normiert wurden diese menschenrechtswidrigen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit allein aus ordnungspolitischen Gründen im Asylverfahrensgesetz und im Aufenthaltsgesetz. Eine Zuwiderhandlung kann mit einem Bußgeld geahndet werden. Im Wiederholungsfall kann ein solcher Verstoß mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr belegt werden. Gegen diese - umgangssprachlich als Residenzpflicht bezeichnete - "Aufenthaltsbeschränkung" wird seit vielen Jahren engagiert protestiert.

Inzwischen hat das Land SachsenAnhalt die Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Asylsuchende und lediglich "geduldete" Flüchtlinge aufgehoben. Sie dürfen sich im gesamten sächsischanhaltinischen Land so "frei" bewegen, wie es die gesellschaftlichen Bedingungen erlauben, unter denen sie, systematisch diskriminiert im Namen des Rechts (z.B. durch das Asylbewerberleistungsgesetz), zu leben gezwungen sind. Die Aufweichung der "Residenzpflicht" in einigen Bundesländern kann, so erfreulich sie für Einzelne auch ist, eine bundesweite Regelung zur Aufhebung der mit der Menschenwürde unvereinbaren Aufenthaltsbeschränkungen nicht ersetzen. Denn der ausländergesetzlich verordnete Gebietsarrest wird lediglich auf die jeweiligen Landesgrenzen erweitert, ohne seine diskriminierenden Begleiterscheinungen zu beseitigen, wie z. B. Polizeikontrollen von Migrantinnen und Migranten ohne jeden Anlass. Die gesetzlichen Aufenthaltsbeschränkungen behindern Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit und in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit massiv. Gebühren allein dafür zu erheben, dass Grund und Menschenrechte in Anspruch genommen werden können, ist widersinnig und verstößt gegen die Menschenwürde. Darum müsste das Ansinnen des Landkreises Saale die Gebührenerhebung für so genannte Verlassensanträge rechtskräftig zu machen, vom Magdeburger Oberverwaltungsgericht abgewiesen werden. Der eigentliche Skandal, die freiheitsbeschränkende Menschenverwaltung der Ausländerbehörden, bliebe gleichwohl unangetastet. Wie lange noch? Alle staatliche Gewalt sei verpflichtet, die Würde des Menschen zu schützen, heißt es im Grundgesetz Artikel 1, ein "Gebietsarrest" - und sei er landesweit - ist damit nicht zu vereinbaren.

Dirk Vogelskamp - Komitee für Grundrechte
Fanny Michaela Reisin - Internationale Liga für Menschenrechte


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Quelle:
Erklärung vom 24. Oktober 2011
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Aquinostr. 7-11, 50670 Köln
Telefon: 0221 / 97269 -30, Fax: 0221 / 97269 -31
E-Mail: info@grundrechtekomitee.de
Internet: www.grundrechtekomitee.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2011