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EDITORIAL/092: Flucht und flüchten (SB)



Wochendruckausgabe 92 der Elektronischen Zeitung Schattenblick zum 30.06.2018


Aufgeschlagene Schattenblick-Zeitung in den Händen eines Lesers - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Flucht und flüchten

Der Unbill der Gefahr oder einer Bedrohung befristet entrinnen und doch, weil deshalb vielversprechend, geradewegs auf jene Gefährdung oder auch Fremdbestimmung reduziert, erreicht das Flüchten oder die Flucht nicht einmal den Status des Selbstzwecks. Als das fortgesetzt pure Versprechen und damit der Anschein einer erfolgreichen Antwort bleibt es doch in seinem Wesen das dauerhafte Opfer welcher Umstände und Einflüsse auch immer.

Nach jedem Schlaf und nach jedem Vergessen der Beginn und die Fortsetzung einer Flucht, die sich ihrem Wesen nach offensichtlich jedem Versuch, sie zu erfassen, sie zu begreifen oder ihrer habhaft zu werden, zielstrebig entzieht. Eher getrieben von mit ihr verknüpften Hoffnungen, Kalkülen und Perspektiven, Schatten, Unabsehbarkeiten oder fehlgeschlagenen Erwartungen löst sie aller Erfahrung nach ihre Versprechen doch nie ein.

Stattdessen entfaltet sie trotz vieler erreichter Ziele und mancher erfüllter Wünsche einen ungebrochenen Sog sicher nicht immer auszumachender Stetigkeit. Sie bleibt der Spannkraft und Dynamik nicht endender Ambivalenz in der Pflicht und versieht auf diese Weise den Verlauf jeder Strecke mit einem Anfang und mit einem Ende. Daraus leitet sich leichterhand die perfekte Erst- und Letztbegründung zur Ergebnislosigkeit und Wiederholung her. Schmerzlich, trügerisch und unvermeidbar bleibt die Flucht auch dann, wenn ihrer Natur durch vergebliche Ausweichmanöver und durch spontane Vermeidung immer wieder Rechnung getragen wird.

Es könnte mit entschiedener und unaufhörlicher Verweigerung allerdings ihr Ende gefunden und ihre Vorherrschaft gebrochen werden. Der Mensch hätte fortan nicht mehr den Widerstreit im Haus, sondern sein Zuhause im Streit und nichts müßte mehr über die Routinen des Vertrauten und durch die Aussicht auf bloßes Erkennen aufgeschoben werden.

Ihre Schattenblick-Redaktion


29. Juni 2018


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