Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → BUDDHISMUS

PRESSE/566: Den Dhamma immer im Blick (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Montsblätter Nr. 1/2007, Januar - März - Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.

Den Dhamma immer im Blick

Wiebke Jensen interviewt von Gino Leineweber


BM: Du bist seit vielen Jahren nicht nur Mitglied der BGH, sondern warst auch sehr aktiv für die Gemeinschaft in Vorstand und Redaktion der BM tätig. Wie und wann begann dein Interesse am Buddhismus?

Wiebke Jensen (WJ): Anfang der siebziger Jahre. Da lernte ich Kurt Fehrenz im Hamburger Wanderverein kennen, und durch ihn kam ich mit der BGH und später mit dem "Haus der Stille" in Roseburg in Verbindung. Damals lernte ich auch Wolfgang Netz kennen, der privat zu Kurt kam und dort Vorträge hielt. Seitdem bin ich der BGH verbunden. Nach einer etwa zweijährigen Unterbrechung habe ich sehr lange, insbesondere zusammen mit Wolfgang Krohn, hier gearbeitet.

BM: Unsere Leser interessiert sicher auch dein beruflicher und privater Hintergrund.

WJ: Ich wurde 1930 in Itzehoe geboren, und nach dem Abitur, einem Englandaufenthalt, um besser Englisch zu lernen, und einer siebenmonatigen Ausbildung bin ich erst einmal in einen Büroberuf gegangen, zuerst als sogenannte Fremdsprachenkorrespondentin, später als Übersetzerin, was ich eigentlich gewollt hatte. Dann bot mein Vater an, mir ein Studium zu finanzieren, und das habe ich angenommen und Volkswirtschaft studiert, wobei das nie so ganz meine Herzensangelegenheit werden konnte. Das war vielleicht ein bisschen so eine Verlegenheitswahl. Ich habe dann auch etwas Zeit gebraucht, um das Examen zu machen. Danach erhielt ich die Möglichkeit zu promovieren, während ich beim HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung eine Halbtagsstelle einnehmen konnte. Anschließend blieb ich beim HWWA- Institut. Insgesamt war ich dort 25 Jahre. Als ich 60 wurde, bin ich ausgeschieden, weil ich lieber etwas anderes machen wollte.

BM: Lieber etwas anderes... War das dann geprägt durch die buddhistische Erfahrung, zu der Du inzwischen gekommen warst?

WJ: Ja, ich wollte nun nicht länger Geld verdienen. Die Rente konnte man mit 60 schon bekommen. Und nach einiger Zeit, nach einiger Besinnung, habe ich dann mehr gemacht in der BGH. Sozusagen auch ersatzweise, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, dass ich noch etwas geben müsste, nachdem ich in meinem Beruf vielleicht nicht so das hatte geben können, was man eigentlich sollte.

BM: Ich bin sozusagen Dein Nachfolger im Redaktionsteam der BM, weswegen ich mich besonders freue, mit Dir dies Interview machen zu dürfen: Wie ich Dich kennengelernt habe, bist Du sehr kompetent, was die buddhistischen Schriften und die Lehrer anbelangt. Hast Du, nachdem Du pensioniert warst, einen großen Teil mit dem Studium der Schriften verbracht?

WJ: Kann ich eigentlich nicht sagen. Ich habe sehr viele Wochenendseminare hier mitgemacht, und da habe ich viele Vorträge gehört. Dadurch ist manches hängen geblieben. Ich war nie sehr intensiv im Lehrredenkreis (LK), obwohl ich immer wieder aus dem Gefühl heraus hingegangen bin, ich müsste mehr über die Lehrreden wissen. Ich gehe auch weiterhin in den LK, bin aber nie so intensiv dort gewesen, wie manche andere, weil ich immer der Meinung war, ich müsse die Praxis, wie ich sie auffasse, zu ihrem Recht kommen lassen.

BM: Also, nicht so sehr Studium der Schriften, sondern Du bist mehr zu Seminaren gegangen und hast die Lehre darüber kennengelernt?

WJ: Ja, dadurch habe ich viel mitbekommen.

BM: Praktizierst Du Meditation auch im Haus oder mehr in den Seminaren?

WJ: Ich habe mich bemüht, immer wieder im Sitzen und Gehen zu praktizieren und habe auch durch meine Thailandaufenthalte immer wieder neue Impulse bekommen. Aber ich muss sagen, dass ich im Moment gar nicht praktiziere, und dass das aber wieder anders werden soll. Im Moment beschäftige ich mich fast ausschließlich mit dem Studium der thailändischen Sprache, und zwar sehr intensiv. Ich habe da ein ausgezeichnetes Lehrwerk, das ich schon zu fünf Sechsteln durchgearbeitet habe. Außerdem habe ich noch Unterricht bei dem Vorsitzenden des Thai Buddhistischen Vereins. So geht das parallel, und ich denke, das ist ein vorübergehender Zustand. Aber worum ich mich bemühe, auch jetzt, wo ich lerne, das ist den Dhamma immer Blick zu haben und in jedem Moment, von morgens bis abends, achtsam zu sein, wie das ja auch empfohlen wird. Ich hoffe, dass ich nachher, wenn ich mein Thai-Studium etwas langsamer angehen lassen kann, wenn ich die Grundlage gelegt habe, dass ich dann auch wieder mehr im Gehen und im Sitzen praktizieren kann. Wobei ich altersmäßig auch schon Schwierigkeiten mit den Knien bekomme.

BM: Ich kenne auch Zeiten, in denen ich zum Praktizieren gar nicht komme. Ich denke, was Du eben gesagt hast, ist wichtig: dass man sich dennoch bemüht, den Dhamma immer im Blick zu haben. Dann vermisst man aus meiner Sicht auch nicht allzu viel und man weiß, irgendwann kommt man auch wieder zum Sitzen. Aber, habe ich das richtig verstanden? Du lernst Thai-Sprache? Ich bin schon zweimal in Thailand gewesen, und habe registriert, wie unglaublich schwierig sie ist.

WJ: Ich bin dreimal in Thailand gewesen, und ein viertes Mal möchte ich nicht fahren und mich damit entschuldigen müssen, dass ich die Sprache nicht kann. Ich habe mir gesagt, wenn ich jetzt das vierte Mal hinreise, was vielleicht Ende nächsten Jahres sein kann, dann möchte ich soviel gelernt haben, dass ich mich mit diesen liebenswürdigen Menschen verständigen kann, die sich natürlich auch sehr darüber freuen werden, und dass ich vielleicht sogar die Vorträge von Ajahn Maha Bua ein wenig verstehen kann. Was ja noch eine andere Sache ist, als die alltägliche Sprache einigermaßen zu beherrschen.

BM: Du sagtest eben, Du seiest schon dreimal dort gewesen. Erzähle doch ein bisschen davon.

WJ: Obwohl ich nicht für große Reisen bin, hat mich seinerzeit ein, mit einer Thailänderin verheirateter, Deutscher bewogen, mit ihm zusammen ins Kloster Wat Pa Baan Taad zu reisen. Das war 2003, und es war nur für zwölf Tage.

BM: Darf ich mal unterbrechen? War das die Reise, von der Du einen Artikel im BM veröffentlicht hast (BM 3/2004)?

WJ: Ja, richtig. Dann habe ich im Spätsommer 2004 eine weitere Reise gemacht, diesmal für sechs Wochen, wiederum nach Wat Pa Baan Taad, obwohl ich dort immer ziemliche Schwierigkeiten hatte zu meditieren. Die Zahl der Bewohnerinnen der Frauenabteilung war von ursprünglich zehn auf über zweihundert angewachsen. Mir fehlte ein Meditations- Fahrplan, und auch das zweite Mal war es noch nicht sehr befriedigend. Doch bin ich erneut Ende September 2005 aufgebrochen, mit der Absicht, länger zu bleiben, um ein bisschen besser hineinzukommen. Ich hatte eine Mail von der deutschen Nonne Mae Chee Maria bekommen. Das gab den Ausschlag dafür, dass ich mich ziemlich schnell entschloss, doch zu reisen. Sie hatte in Wat Pa Baan Taad eine etwas abgelegene Unterkunft für westliche Besucher geschaffen und gemeint, dort könnte ich doch wohnen. Wenn sich auch meine Hoffnung, in diese ruhige Kuti (so heißen die Hütten im Kloster) zu ziehen, später zerschlug, so hatte sie mich doch bewogen, die Reise zu wagen. Eine Thailänderin war sehr hilfsbereit und setzte sich dafür ein, dass ich auf einem Meditationsweg ungestört Gehmeditation üben durfte und ich habe es dann einige Monate richtig als meine Berufsarbeit aufgefasst, wenig zu schlafen und möglichst kurz nach Mitternacht aufzustehen, um zu meinem Pfad zu gelangen. Ich übte dort ziemlich lange im Gehen, setzte mich auch und schlief meistens für einige Zeit ein. Erst, wenn die Sonne so weit aufgegangen war, dass man die Linien in der Hand sehen konnte, durfte ich meine Bananen essen. Man hatte natürlich Hunger, wenn man seit Mittag des Tages davor nichts mehr gegessen hatte.

BM: Das glaube ich gern.

WJ: Ja, es war sehr anstrengend. Es war auch sehr anstrengend für mich, die Vorträge zu hören, und nichts zu verstehen. Mit der Verständigung von Herz zu Herz hat das bei mir nicht so richtig geklappt, wie es eigentlich erwartet wurde.

BM: Hast Du Dich sonst auf Englisch verständigt?

WJ: Ja, da waren sehr viele Damen, Laienanhängerinnen, die waren hoch gebildet und viele konnten sehr gut Englisch. Die sprachen mich auch an und das hat natürlich bewirkt, dass ich mich nicht genügend bemühte, die Sprache zu lernen. Mit denen, die nicht Englisch konnten, war dann keine Unterhaltung möglich. Das hat mir sehr leid getan. Ich habe dort so viel Freundlichkeit erfahren. Es gab viele Laienanhängerinnen, die schon jahrelang dort lebten und sich auf dem geistigen Weg bemühten, und die heute noch da sind. Und die waren wohl auch von Ajahn Maha Bua angeleitet worden (vielleicht kam es aber auch aus ihrem eigenen Herzen) Menschen aus dem Westen, besonders wenn sie zu Jahren gekommen waren, so wie ich, besonders entgegenkommend zu behandeln. So kümmerten sie sich darum, dass ich nicht immer hinten saß, sondern schoben mich buchstäblich nach vorne, damit ich Luangta, d. h. Ajahn Maha Bua, gegenüber saß. Das ist nur eines von zahllosen Beispielen. Ihre Herzlichkeit hat mich wirklich getragen.

BM: Dann kann man sagen, dass Du dort ein besonders schönes Sangha- Erlebnis hattest, in diesem Kloster.

WJ: Ja, das kann ich wohl sagen. Einmal musste ich wegen des Reiserntefestes meine Kuti räumen. Und zwar ziemlich schnell. Da kamen zwei Frauen und boten mir eine Unterkunft "im Wald" an. Tatkräftig luden sie mein inzwischen schon recht umfangreiches Gepäck auf einen Handwagen und begleiteten mich bis zu meiner neuen Bleibe.

BM: Ich erinnere mich an Deinen damaligen Artikel und daran, dass es dort sehr einfach war. Kein Strom und so etwas. Und deswegen finde ich es sehr bemerkenswert, dass Du nach dem einen Aufenthalt jetzt noch zweimal wieder hingefahren bist, und sogar einen weiteren planst. Das heißt also, die Umgebung, der Sangha und das, was Du dort an Positivem angefunden hast, überlagert diese Einfachheit und damit kommst Du auch zurecht?

WJ: Ja, ich kann sagen, dass ich diese Einfachheit sehr schätze, und ich sogar hier in Hamburg so wohne, etwa wie die besser untergebrachten Nonnen oder Laienanhängerinnen. Ungefähr so lebe ich hier auch. Gar nicht viel anders. Das Einfache das hat mich geradezu begeistert: dass wir wenig Zeug hatten usw. Man hatte einmal zum Wechseln, und musste jeden oder jeden zweiten Tag waschen. Als Schuhe hatte man auch nur diese thailändischen Slipper. Hauptsächlich ging man barfuss. Alles war sehr, sehr einfach. Doch das Essen war reichlich, das kann ich sagen. Aber eben nur bis 12 Uhr. Das einfache Leben ist sogar etwas, das mich geradezu bewegt, wieder hinzufahren. Als ich die erste Zeit da war, habe ich mir sogar vorstellen können, hier alles aufzugeben, und ganz da zu bleiben.

BM: Aber diesen Gedanken hast Du aufgegeben, oder?

WJ: Das weiß ich nicht. Also, das dort trägt enorm. Dass da andere sind, die sich auch bemühen, und die einem auch irgendwo zutrauen, dass man den Weg gehen kann. Das trägt. Hier sagt leicht jemand: "Ach, was tust du dir das an. Das kannst du doch auch hier". Ich weiß es nicht genau.

BM: Ich komme noch einmal zurück auf Dein Zusammentreffen mit dem Buddhismus. Du bist gleich zur BGH gekommen und zum Theravada oder hattest Du Dich auch mit anderen Traditionen beschäftigt?

WJ: Es kamen hier ja auch Lehrer und Lehrerinnen aus dem Zen, und ja, wir hatten auch ein bisschen Kontakt mit dem Tibetischen Zentrum. Ich habe Seminare bei Prabasha Dharma Roshi und anderen Zen-Lehrern mitgemacht. Aber es stand für mich immer fest, dass ich im Theravada beheimatet bin, wenn ich das so sagen kann.

BM: Wer von den vielen Lehrerinnen und Lehrern, die Du kennengelernt hast, haben den größten Eindruck bei Dir hinterlassen?

WJ: Im Moment ist es so, dass diese deutsche Nonne in Thailand, Mae Chee Maria, wohl eine Lehrerin ist, die ich anerkennen würde. Bei der ich mich wohlfühle, obwohl sie viel jünger ist als ich. Sie strahlt soviel Liebe aus. Gerade hat sie mir wieder geschrieben. Sie meinte, ich sollte doch wieder kommen.

BM: Man hört und liest jetzt so oft von westlichem Buddhismus. Kannst Du Dir etwas darunter vorstellen und was ist Deine Meinung dazu?

WJ: Meine Meinung ist, dass der Buddhismus, wenn man den Theravada- Buddhismus ansieht, wohl in einigen asiatischen Ländern in der bestmöglichen Reinheit praktiziert wird. Westlicher Buddhismus ist für mich zu sehr verbunden mit ausschließlich Vipassana. Vipassana ist ja nur ein Teil. Samatha Vipassana wurde z. B. von Ayya Kema gelehrt, und das ist es im Grunde: dass die Sammlung die Weisheit stützt und die Weisheit wiederum die Ruhe vertieft. So sollte es doch sein. Vipassana ist eigentlich die Frucht der Bemühung. Es heißt ja manchmal, die Menschen hier im Westen hätten zuviel zu tun und könnten sich nicht so lange mit Samatha und reiner Ruhemeditation befassen. Dem kann ich nicht so folgen.

BM: Ich würde Dich noch gern fragen, wie stehst Du zum Tod? Hat der Tod einen Schrecken für Dich?

WJ: Der Tod, ja, der Tod ist etwas, was mir ständig im Bewusstsein ist. Auch die Vergänglichkeit, vor allem eben die des menschlichen Körpers, die im Alter besonders gut beobachtet werden kann. Ich bin mir nicht ganz klar darüber, wie der Tod aussehen kann. Es ist wohl manchmal ein furchtbarer Kampf, aber es gibt anscheinend auch Menschen, die ganz friedlich hinübergehen. Mein Bestreben ist, dass ich einmal ruhig gehen kann. Dafür muss man aber etwas tun.

BM: Die BGH hat eine Mitgliederumfrage gemacht. Es gibt Wünsche von Mitgliedern nach einer buddhistischen Wohngemeinschaft. Gerade im Alter. Wie ist Deine Meinung dazu?

WJ: Das fände ich sehr gut. Würde ich auch sehr begrüßen. Aber bisher sind solche Bestrebungen nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Die Idee ist ideal. Henning Scherff, der frühere Bremer Bürgermeister, hat es neulich im Radio sehr schön beschrieben. Das ist nun zwar kein buddhistischer Hintergrund. Aber, wie er mit Menschen, die sich lange geprüft haben, ob sie zusammen passen, jetzt in einem geräumigen Haus wohnt, hörte sich sehr gut an, besonders, wie sie schon zwei Mitglieder ihres Freundeskreises in den Tod begleitet haben. Wenn man das unter buddhistischen Menschen machen könnte, würde ich das sehr gut finden.

BM: Zum Abschluss die Frage, was wünschst Du Dir für die Zukunft?

WJ: Ich wünsche mir körperliche und geistige Gesundheit, um auf meinem Weg weitergehen zu können, um immer mehr voran zu kommen. Ja, so will ich das ausdrücken. Ich kann wohl sagen, um an die Frage über den Tod anzuknüpfen, dass ich mir wünsche, ihm, wenn der Zeitpunkt da ist, mit Gelassenheit ins Auge blicken zu können.

BM: Liebe Wiebke, ich danke Dir für das Gespräch.


*


Quelle:
Buddhistische Montsblätter Nr. 1/2007, Januar - März, Seite 21
Herausgeberin: Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.,
Beisserstr. 23, 22337 Hamburg
Tel.: 040 / 6313696, Fax: 040 / 6313690
E-Mail: bm@bghh.de
Internet: www.bghh.de

Die Buddhistischen Monatsblätter erscheinen
vierteljährlich.
Abonnementspreis: 20,-- Euro jährlich.