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PRESSE/645: Die Kyoto-Schule (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 4/2007, Oktober-Dezember
Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.

Die Kyoto-Schule
Ostasiatische Philosophie auf buddhistischem Fundament

Von Dr. Holger Stienen


Asien ist bis in die Neuzeit gänzlich ohne Philosophie im westlichen Sinne ausgekommen. Das liegt darin begründet, dass Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus bereits alle philosophischen Elemente in sich bergen und diese in das Alltagsleben der Menschen, besonders des östlichen Asiens, getragen haben. Dieses betrifft nicht etwa nur Ethik oder Logik, sondern auch, was gern übersehen wird, Ontologie, Erkenntnistheorie, Metaphysik und besonders Ästhetik und auch die Psychologie, als im Westen ganz und gar abgetrennte "Disziplin". Für Asiaten gilt aber bis heute diese Einheit, um das Leben zu meistern und zu betrachten - zuerst einmal für das eigene Selbst, das seitens der Gesellschaft und der einzelnen Person ganz anders wahrgenommen wird als ein verindividualisiertes westliches Ego. Nur so kann man beispielsweise verstehen, dass man in China Geschäfte mit neuen Partnern frühestens nach drei Tagen formloser Gespräche, mehrmaligen Essensverabredungen, gemeinsamen Ausflüge usw. ansprechen kann. In Asien ist bis heute Zeit nicht Geld, sondern persönliche Beziehungen sind von großem Wert.

Erst mit den Kontakten zu europäischen Eroberern im 15. Jahrhundert (von den frühen griechischen Kontakten zum buddhistischen Reich Baktrien im heutigen Afghanistan abgesehen) gab es durch christliche Gelehrte relativ erfolglose Versuche, europäische (christliche) Weltanschauung (Ontologie, Ethik) nach Asien zu bringen. Auch umgekehrt konnte man die Lebensweise und Spiritualität Asiens nicht verstehen, was im Wesentlichen bis heute anhält. Kein Mensch braucht zu glauben, dass Demokratie, Menschenrechte, Recht allgemein, Religiosität usw. irgendwann in Asien mit unseren moralistischen Maßstäben betrachtet werden. Dort gilt Praktikabilität, Ethik und Bewahrung von Tradition, wenn dies auch manchmal, wie im modernen Japan, nicht mehr so gut sichtbar ist. Typisch für Asien sind auch die "Rollbacks", wie z. B. heute in China. Nach der Unterdrückung vor 30 Jahren durch die Kulturrevolution erlebt das Land ein Aufblühen von Taoismus und Buddhismus.

In Japan hat sich mit der Meji-Restauration ab 1874 und der Öffnung gen Westen erstmals in Asien eine in etwa, zumindest der Form nach, philosophische Schule entwickelt, die im Buddhismus, namentlich im Zen fußt. Hatte dieser doch neben Shintoismus und Konfuzianismus die Kultur und das Leben im Lande bereits ca. 800 Jahre lang maßgeblich geprägt, besonders die Ethik, Spiritualität und Ästhetik betreffend, wie der vorherige Buddhismus, der bereits seit dem 6. Jahrhundert in Japan bestand. Dieses gilt ähnlich auch für China, Korea und Vietnam. Die so genannte Kyoto-Schule war an der Universität der Großstadt angesiedelt, an der auch westliche Philosophie gelehrt wurde, die die Professoren, allesamt praktizierende und teilweise ordinierte Zen-Buddhisten, aufgriffen und kritisch erarbeiteten. In Bezug auf den ursprünglichen Ausgangsstandpunkt spielte hierbei das Werk Shobogenzo (Schatzkammer des wahren Dharmaauges) von Meister Dogen (1200-1253) die Hauptrolle. Dieses Werk mit über 90 Kapiteln hat bis heute im Zen eine einzigartige Stellung und gilt als die größte Leistung der japanischen Philosophie. In seinem Mittelpunkt steht der erleuchtete Mensch als vollkommen Erwachter und damit auch vollständiger Herr seines Selbst. Ein anderer Ansatz ist der der Philosophie der Leerheit, die auf den frühen indischen buddhistischen Lehrer Nagaijuna zurückgeht.

Die Kyoto-Philosophen setzten sich insbesondere mit Spinoza, Comte, Mill, Darwin, Voltaire, Rousseau, Kant, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche, Bergson, Tolstoi und W. James auseinander. Aber auch neuere Philosophen wie Kierkegaard, Heidegger und Sartre, mit partiell ähnlichem Denken, wurden in die Auseinandersetzung einbezogen, um im westlichen Denken Anknüpfungen für ein Verständnis östlicher Anschauungen zu finden bzw. auch die Gegenpole aufzuzeigen, von denen es viele gibt. Besonders bekannt wurde die Kyoto-Schule im Westen durch ihren Exponenten D. T. Suzuki, der im frühen 20. Jahrhundert in die USA kam und dort Jahrzehnte lang lehrte und publizierte. Er hat nicht nur die Gedanken und Beschreibung der Praxis des Zen in den Westen gebracht, sondern auch die Gesamtheit der Begriffe, wie wir sie heute kennen und, oft unreflektiert, übernommen haben (z. B. Soheit, Erleuchtung, Selbst, Nicht-Denken, Dualität bzw. Nondualität). Der Kyoto-Schule gebührt insgesamt der große Verdienst, ostasiatische Philosophie, Lebensweise und Spiritualität im Westen bekannt gemacht zu haben. Viele Werke ihrer Vertreter wurden ins Englische übersetzt; ohne sie wäre die weltweite Verbreitung des Zen nicht denkbar, auch nicht die Enttarnung der Hilflosigkeit großer Teile der westlichen Philosophie, insbesondere der der humanistischen Neuzeit hinsichtlich ihrer spirituellen Flachheit. Eine Epigonin der "Schule" und große Lehrerin, Frau Hisaki Hashi, lebt in Wien und ist dort Professorin für Philosophie.


Die wichtigsten Vertreter der Kyoto-Schule, ihre Gedanken und Werke


Nishida Kitaro (1870-1954)

Nishida setzt auf der indischen Prajnaparamita - Literatur und der Philosophie des Mittleren Weges - auf. Seine Eigenleistung ist hierbei, dass er von einem "Ort der Nichtheit" spricht, der dort erscheint, wo unmittelbare, intuitive Erfahrung in Meditation und eigener Wesensschau gemacht wird. Hierbei vermeidet er den Terminus Leerheit und führt ergänzende Betrachtungen, beeinflusse durch die Entwicklungen der Neuzeit, ein. So das Konzept des "Kraftfeldes", entlehnt von Einsteins Metapher vorn "kosmischen Feld". Um den Ort (der Nichtheit) näher zu fassen, ist dieser der "Platz", an dem sich der menschliche Alltag abspielt, "weder ein bloßes nicht existierendes 'Nichts' noch ein existierendes 'Etwas'". Dieser "Ort" entspricht eher Jaspers' "Allumgreifendes", so dass den Dingen erlaubt wird, zu sein wo sie sind und wie sie sind, jedes für sich, aber alle zusammen in einer Art von Vereintheit. Seine Erfahrungsweitung zum Begriff Shunyata ist "die Form des Formlosen zu sehen und die Stimme des Stimmlosen zu hören." "Der Schatten der Selbstreflektion in der Nichtheit, die ihre Funktion erfüllt, indem sie sich selbst auf den einen Punkt des Topos (Ortes) projiziert". Nishida führt drei Schlüsselkonzepte in die Philosophie ein: Die "Handlung-Intuition", das "Ewige Jetzt" und die "Historischen Welt in ihrer Einheit von Widersprüchen". "Handlung-Intuition" ist beides, Struktur und Dynamik allen kreativen Handelns. Nishida erklärt dies mit dem Bildhauer, der mit jeder Bewegung am Objekt das Bild von diesem verändert und angeregt ist, das Bild weiter zu verändern. So zeigt er, dass menschliche Kreativität nur möglich ist, wenn sich die selbstreflektierende Welt selbst im menschlichen Wesen zum Ausdruck bringt. Das drückt sich dadurch aus, indem es in der Spiegelung durch die (UmWelt) tätig ist. Diese Synthese geschieht in der "Historischen Welt" (s. u.).

Ewiges Jetzt. Allein in der unmittelbaren Gegenwart kann das "Sich selbst als Individuum bewusst werden" im Kontext des unmittelbaren Erlebens erfolgen. Dieses Jetzt ist Wahrheit (die mehr als bloße Realität ist). Hierin ist in jedem Moment das eigene ganze Sein eingebunden, aber ebenso das Sein aller anderen Dinge der ganzen Welt (des ganzen Kosmos'). Ein Sein folgt von "Moment" zu "Moment" auf das nächste. Etwas verschwindet, etwas entsteht, so dass das vorherige verschwindet. Hierin sind Sein und Nichtsein in ihrer wahren Struktur miteinander verbunden. Deshalb ist Gegenwart eine Einheit widersprüchlicher, sich abstoßender Momente. Aber warum kann der fliehende Moment eine unendlich lange Reihe von "Zeitmomenten" in sich tragen? Nach Nishida ist dies möglich, weil die Gegenwart im Ewigen wurzelt. Das Ewige reflektiert sich selbst, und der Fokus dieser Selbstreflektion ist "das Gegenwärtige der Gegenwart". Gegenwart und das Ewige sind jedoch alles andere als Widersprüche, da beide durch ihre letzte Selbstidentität miteinander verbunden sind. Erst das Ewige macht den Moment zur Wahrheit. Die Historische Welt in ihrer Einheit von Widersprüchen. Das kreative Jetzt ist nicht nur eine Synthese in der Zeit, sondern auch im Raum. Die Welt ist die Verkörperung des ewigen Selbst und auch Nichtselbst. Nishida denkt Zeit sowohl linear als auch räumlich. Daher gibt es eine "historische" Welt, in der Raum und Zeit verknüpft sind. Diese Welt ist per se religiös, weil in ihr absolute Nichtheit und Welt immanent verknüpft sind. Weil beständig Nichtheit zutage tritt (erfahrbar wird), ist die reale historische Welt unbegrenzt geheiligt (heil, intakt) und dadurch spirituell, bezogen auf den Menschen. Religiosität allerdings kommt bei Nishida erst vor einem kulturellen Hintergrund auf: Wenn wir unsere eigene Unruhe und unseren Aktivismus sowie die Kürze dieses Lebens spüren, dann entdecken wir Religiosität als Tatsächlichkeit. Den Christen baut Nishida zunächst eine Brücke, da er den Geist Gottes und den der Menschen als diametral entgegengesetzt sieht. Als absolutes Sein gegenüber dem absoluten Nichtsein in vollständiger Einheit des Widerspruchs: Gott ist und ist zugleich nicht in jedem Moment und Ort von Zeit und Raum. Im erleuchteten Geist ist jedoch auch diese behelfende Sichtweise überwunden.


Tanabe Hajime (1885-1962)

Tanabe war ein Schüler Nishidas, aber auch dessen Kritiker. Er hatte seine Wurzel im Shin-Buddhismus (Shinran, 11. Jh., Amida-Buddhismus). Er widmet sich u. a. der Dialektik, die weder die spekulative "und-und"-Synthese Hegels, noch eine ethische "oder-oder"-Synthese Kierkegaards ist, sondern ein "weder-noch" in doppelter Negation unser Unmittelbarkeit durch die mitempfindende Aktivität des Absoluten. Das, was im Westen als Sünde bezeichnet wird, wird durch vollständige Selbstaufgabe wieder Leerheit. Auch für ihn ist das Absolute die allumfassende Nichtheit, die nur von Lehrer zu Schüler gelehrt und "übertragen" werden kann. Er hebt das Bodhisattva-Prinzip hervor und schreibt hierzu eine kleine Geschichte, in der der zukünftige Bodhisattva in einen Raum tritt, in dem Buddha sich befinden soll, um mit ihm zu sprechen. Der Raum jedoch stellt sich als leer heraus, ist Leerheit. In diesem Moment bemerkt der Eintretende, dass Buddha schon "draußen" in der Welt ist, und schreitet von da an Seite an Seite mit ihm durch die folgenden Leben, um den Menschen zum Erwachen zu helfen. Tanabe geht noch weiter und schlussfolgert, dass dann das edle Ziel, ein Buddha zu werden, bereits durchstoßen und somit überflüssig ist. Er entmystifiziert auch die Figur des Amida (Buddha) und des so genannten "Reinen Landes". "Amidas Licht" wird zu einem Hilfskonstrukt der Ermutigung. Wir können uns, bewusst, von ihm durchdringen lassen, um unbeirrt auf dem Weg zu bleiben. Dem "Reinen Land" nimmt er den räumlichen Charakter und die naive Anschauung als ein "Paradies" (die wohl auch durch die Berührung Ostasiens mit dem Christentum zugenommen hatte). In jener Betrachtung war der samsarische Aspekt noch im Vordergrund. Tanabe betont jedoch den nirvanischen Aspekt und die zugrunde liegende eigene Anstrengung.


Keiji Nishitani (1900-1990)

Keiji widmet sich besonders der Thematik der Shunyata im Vergleich zum europäischen Nihilismus. Er greift Nishidas "Tätiges Selbst" auf und betont, dass (Natur-) Gesetzmäßigkeit und "Realität" nur im Handeln zustande kommen und sich auf diese Weise offenbaren. Aber die Seienden sind diesen nicht ausgeliefert, sondern haben auf einer tiefen Ebene Macht über sie und können sich von ihnen emanzipieren. Beide Aspekte sind untrennbar verbunden. "Je höher die Ebene des Seins ansteigt, desto tiefer ins Seiende reicht die Herrschaft der Naturgesetze; umso mehr wird aber zugleich die Freiheit der Wesen realisiert, die sich ihrer bedienen". Der Mensch produziert z. B. Dinge, die sich in der Natur nicht finden. Das zuvor Herrschende wird zum Beherrschten. Das Seiende befreit sich vom zuvor Herrschenden. Der Mensch beraubt sich hierdurch allerdings auch seiner eigenen Natur. Ja, es kommt vielmehr zu einer erneuten Umkehr, in der die Naturgesetzlichkeiten den Menschen seinerseits mechanisieren. Dem setzen die Menschen heute eine Sichtweise entgegen, in deren Folge sie sich so verhalten, als ständen sie ganz und gar außerhalb der Naturgesetze. "Dies ist die Seinsweise des Menschen, auf deren Grund sich das nihilum auftut ... Wo die Maschine entsteht, wo sich die Interaktion des nach wissenschaftlicher Rationalität verlangenden Intellekts mit der denaturierten Natur durchsetzt, tut sich schließlich das nihilum im Grunde des Menschen, der sich auf sein Intellekt verlässt, ....auf". Der Mensch sieht sich als gänzlich frei vom Einfluss aller Naturgesetze. Äußerlich manifestiert sich das nihilum in Massenkonsum, Großevents, umherschweifendem Reisen und Einsamkeit. Alles vor dem Hintergrund des so genannten Rationalen. "Tatsächlich aber entsteht auf dem Grunde dieses rationalisierten Lebens allmählich ein Leben, das jener Rationalisierung vorausliegt, das nackte Leben.... dessen Sein sich auf das nihilum gründet. Es tut sich auf einer Ebene auf, die jeglicher Rationalisierung zugrunde liegt". Keiji nennt dieses die "gegenwärtige Kulturkrise". Nach Keiji bewegen sich in diesem Kontext Wissenschaft und Technik einerseits und Ethik andererseits nicht nur auseinander, sondern in entgegen gesetzte Richtungen auf einen großen Crash (Atom, Umwelt, Entfremdung) zu. "Zugleich vermag der Mensch aber dieser Perversion nicht zu entgehen, solange er sich auf den Ort des "Nichts" stellt. Denn das nihilum hat sich ja gerade durch diese Perversion aufgetan. Der Nihilismus schließt wesenhaft ein solches Dilemma ein. In diesem Dilemma tritt jedoch auch "das Problem von Wissenschaft und Religion ... in grundlegender Weise" hervor. Schon Descartes baute gegen diese Entwicklung Widerstand auf und sah in der Persönlichkeit und dem Geist den Kern wahren Menschseins. Das Band zwischen Gott und den Menschen sah er als durchschnitten an und damit die menschliche Natur dehumanisiert. Und bereits Meister Eckhart hatte im "Gottesbegriff" ein überpersönliches Moment erkannt, das er als "Wüste", die absolute Negativität, bezeichnete. Auf dieser Ebene wird unsere Subjektivität als 'Persönlichkeit' an ihrem eigenen Ort durchbrochen, und andererseits ist sie ein Ort "absoluter Bejahung, in der unsere Persönlichkeit wieder zum Vorschein kommt und in ihre eigene Realität tritt, als den Ort des absoluten 'Tod (oder) Leben'. Dieser Ort liegt nicht irgendwo jenseits 'dieser Welt' oder des 'irdischen Lebens'. Er ist nicht einfach nur 'transzendent'. Im Gegenteil: Er muss in Wahrheitradikal diesseitig sein". Meister Eckhart erlebte in der Abgeschiedenheit nicht nur das Übersteigen des Selbst und der Welt, sondern auch Gottes. Er sah den Gottesgrund in sich. Leben und Tod gewannen eine neue Dimension. "In dem buddhistischen Gedanken der Shunyata, der Leere, treten derartige Bezüge noch deutlicher hervor, sie ist der Ort, wo jeder von uns sich in seiner eigentlichen Realität, seiner Soheit, realisiert als der konkrete und ganze Mensch, der er ist, was nicht nur seine Persönlichkeit mit einschließt, sondern auch seinen Leib; und ist zugleich der Ort, wo alle Dinge, die uns umgeben, sich in ihrer eigentlichen Realität und Soheit vergegenwärtigen". "'Auferweckung' meint hier..., dass man zu seinem authentischen Selbst, so wie es real ist, zurückkehrt". Und zwar "in einem Diesseits, das diesseitiger ist, als wir selbst es sind". Hierzu gehört auch die radikalste mögliche Umkehrung der 'Tod sive Leben'-Thematik. Bezogen auf den modernen Nihilismus (schon im Indien Buddhas gab es tendenziell nihilistische Philosophien), setzt sich Keiji in diesem Zusammenhang besonders mit Nietzsche und Satre auseinander. Ihren Nihilismus sieht er als Ebenen an, die sie am Rande des 'Ozeans des Garnichts' befinden, Nietzsches in einer gewissen, sichereren Entfernung, Satres weit an diesen herangeschoben, beide im negativen Denken um den Menschen verhaftet. Im Falle Satres sogar ganz und gar resignativ und ohne Hoffnung. Keiji sieht hierin ein Abbruch des Denkens an falscher Stelle und fordert, diese Ebenen zu durchstoßen, um zu erkennen, dass "dahinter" nicht das Garnichts liegt, sondern Kosmos und Leben in ihrer ganzen bejahenden Fülle. Diese Betrachtungsweise kann nur vom Standpunkt der Shunyata aus erfolgen, in der die "Soheit" von Persönlichkeit als auch jener der stofflichen Dinge als ganz und gar gleicher Art angesehen wird. Das ist, vom Standpunkt des "Nichts" aus, der jedoch nicht jenseits dessen liegt, was wir gemeinhin unsere Persönlichkeit nennen, sondern mit dieser selbstidentisch , als das "absolut Diesseitige", etwas ganz anderes, als das nihilum im Nihilismus, als ein "Unding". Shunyata dagegen ist "nihilum für uns". In Shunyata kommt jedoch Leerheit gar nicht mehr vor, sie ist von diesem Gedanken befreit und realisiert "ineins" mit dem Sein (und hat nichts mit westlichem Negativdenken oder hiesigen religiös-philosophischen Leerheitsdeutungen zu tun). Leerheit bedeutet auch "absolut nicht Verhaftetsein". "Die Shunyata ist ein Ort, wo dieses subjektivistische nihilum transzendiert wird und zwar auf eine Dimension hin, die diesseitiger ist als die Subjektivität des existenziellen Nihilismus. Die Leere ist eben jener Standort, der sich in keiner Weise objektivieren lässt". In dieser Leere sind wir der "Dies-Seite unserer selbst näher als in unserem Bewusstsein". An diesem Ort erst wird auch das Erkennen möglich, was der moderne Nihilismus mit "Abgrund" meint und "die älteren Religionen die personale Beziehung zwischen Gott und Mensch".


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Das "Wesensmerkmal des Buddhismus besteht darin, dass er die Religion der absoluten Dies-Seite ist". "Die absolute Dies-Seite.... ist vollständig eins und selbst-identisch mit unserem Selbst..." Ich habe schon davon gesprochen und zitiere ein Gedicht von Gasan Joseki:

Der bewusste Sinn dieses Phantom-Menschen
Ist mir allerorts höchst vertraut -
Seit jeher geheimnishaft wunderbar,
Weder ich noch ein anderer Mensch.


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Nishitani spricht auch vom "Ureigenen des Selbst", dem er sich immer wieder widmet. Er kritisiert darüber hinaus auch die westliche Ontologie (Seinslehre), da der "Ort, wo das Sein dessen, der nach dem Weg fragt, zu einem Fragezeichen wird, von ihr nie erschlossen wurde". Dem Ort, an dem der "Große Zweifel" aufscheint. Shunyata stellt bei ihm Substanz und Subjekt, infrage. Also die Grundlage, von der die westliche Philosophie aus gedacht hat. Hintergrund hierfür ist die Subjekt-Objekt-Spaltung im westlichen Denken und insofern eine im Denken entstandene Fiktion. Durch solch duales Denken (was jedem Schüler im Westen ab der Grundschule eingetrichtert wird, in allen Fächern wie Mathematik, Deutsch, Religion, Philosophie, Sport etc.) verstellt sich der Blick und das Gespür für das "An-Sich-Sein" der Wesen und Dinge. Nishitani sieht einzig in Heideggers Fundamentalontologie einen ersten Aufbruch im westlichen Denken. Diese sieht sich als nicht-gegenständliche Grundlage aller Wissenschaften. An die Stelle des zeitlos Allgemeinen setzt sie das in der Besonderheit konkreter Existenz durchscheinende tatsächliche Sein.


Daisetz Teitaro Suzuki (1870-1966)

Er machte den Zen-Buddhismus im Westen bekannt und lehrte lange Jahre an Universitäten in den USA. Er trat weniger als Philosoph in Erscheinung, sondern als Lehrer, der Inhalt und Begrifflichkeiten des Zen und dessen kulturelle Einbettung meisterhaft und feinfühlig darzustellen vermochte. Von ihm liegen zahlreiche Werke auch in deutscher Sprache vor. immer wieder arbeitet er den Erfahrungscharakter des Zen heraus und benutzt dafür seine einzigartige Kenntnis der Zen- und Mahayana-Literatur. Er setzte sich auch mit den westlichen Gegenwartsphilosophen kollegial und fruchtbringend auseinander und wagte sich tief in die (nur im Westen entwickelte und offenbar in dieser Form nötige) Psychologie hinein. Andererseits zeigt er auch die Problematik der Übertragung des Buddhismus in den Westen auf. Buddhistisches Denken ist in gänzlich anderen als unseren gesellschaftlichen Zusammenhängen und Kulturen entstanden und hat jene geprägt, wie auch umgekehrt. Daher die tiefe Einbettung besonders des Zen in die Kultur Japans (auch Koreas und teilw. Chinas), wenn dieses heute manchmal auf den ersten Blick auch nicht sichtbar wird.

Die Menschen sind jedoch noch "irgendwie" von diesem Geist durchdrungen und auch nur so ist das schnelle Wiederaufleben des Buddhismus im heutigen China erklärbar (wieder über 20.000 Klöster, über 100 Mio. Anhänger). Buddhismus und besonders Zen, ist nicht einfach so auf uns übertragbar, ist auch nicht einfach eine "Denkschule" oder Philosophie, sondern eine diesseitige Erfahrungsreligion (Körper und Geist betreffend). Nicht zuletzt deswegen hat ihr Einzug von Indien nach China vor ca. 2.000 Jahren etwa 400 Jahre gebraucht. In den Westen kam der Buddhismus erst vor 100 Jahren. Seine Formen sind da, seine Denksysteme auch, aber noch nicht seine transzendente Weisheit wie in Asien. Dafür muss auch die technologisch-aufgeklärte Gesellschaft, zudem durch die, wenn manchmal auch sympathische, so doch die geistig Klarheit verbrämende, Romantik verkleistert, erst noch in Weisheit wachsen. "Wir machen westlichen Zen" mit etwas christlicher Mystik, Disziplin und achtsamer Alltagserfahrung bzw. anderen, oft angelegenen, Versatzstücken des Buddhismus, springt ins wahrlich Leere.

Nur die allmähliche Assimilation, gepaart mit der Erfahrung Asiens, kann Früchte bringen. Dafür muss man diese jedoch erst einmal authentisch, insbesondere durch Lehrer, kennenlernen.


Weitere wichtige Vertreter der Kyoto-Schule sind u. a.: Takeuchi Yoshinori und Abe Masao, Shizuteru Ueda und Sinichi Hasematsu.


Benutzte Literatur:

Dumoulin, H., "Zen-Geschichte und Gestalt", 1959, Vlg. Francke, Bern, 332 S.
Fromm, E., Suzuki D. T., de Martino, R., "Zen-Buddhismus und Psychoanalyse", 1972, Vlg. Suhrkamp, Frankfurt/M., 225 S.
Hashi, H., "Die Aktualität der Philosophie - Grundriss des Denkweges der Kyoto-Schule", 1999, Edition Doppelpunkt, Wien, 74 S.
Hashi, H., "Vom Ursprung und Ziel des Zen", 2000, Edition Doppelpunkt, Wien, 75 S.
Nishitani, K., "Was ist Religion?" 1982, Vlg. Insel, Frankfurt/M., 438 S.
Suzuki, D. T., "Zen und die Kultur Japans", 1941, Dtsch. Verlagsanstalt, Stuttgart, 268 S.
Suzuki, D. T., "Wesen und Sinn des Buddhismus", 1993, Vlg. Herder, Freiburg, Basel, Wien, 139 S.

Diese Schriften sind weitgehend vergriffen, aber meist noch antiquarisch erhältlich, z. B. unter ZVAB.de


Hisaki Hashi wird von Freitag 23.11. - Sonntag 25.11. in Hamburg sein und einen Vortrag und ein Seminar zum Thema: "Handelnde Einsicht - Reflexion im Alltag. Die Philosophie des Zen-Buddhismus in der Kyoto-Schule" geben (Fr 16 Uhr Vortrag im IAA, Edmund-Siemers-Allee 1, Sa 9-18 Uhr u. So 9-16 Uhr Seminar in der BGH). Anm./Info in der BGH.


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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 4/2007, Oktober-Dezember, Seite 6-12
Herausgeberin: Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2007