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PRESSE/703: Vom Schenken und Geben (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 3/2008, Juli-September
Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.

Vom Schenken und Geben

Von Armin Dao Ketterer


Wir Menschen sind von Faktoren wie Nahrung, Zuneigung, materiellen Gütern, die außerhalb von uns existieren, abhängig, um zu überleben und um uns glücklich zu fühlen. Um sie für uns nutzbar zu machen, müssen wir darüber verfügen können. Dies geschieht auf unterschiedliche Art und Weise: durch weg-nehmen, verdienen, gewinnen - oder geschenkt bekommen. Soweit der oberflächliche Blick auf den äußeren Mechanismus aus der Perspektive des Bedürftigen.

Welche Vorgänge und Mechanismen beim Schenken aus wissenschaftlicher und aus buddhistischer Sicht für die/den Gebende/n ablaufen, wird nachfolgend dargestellt. - Nicht bloß theoretisch und abstrakt, sondern, sofern gewollt, erkennbar praxisbezogen und praktisch überprüfbar.

Ist Schenken nicht nur einfach eine Handlung des Gebens ohne Gegenleistung?

Jein: ja, das ist es und nein, nicht nur und nicht einfach! Schenken ist ein komplexer und manchmal komplizierter Vorgang, dabei werden insbesondere die Aspekte Motivation, ideelle und materielle Wertvorstellungen und Beziehungsaspekte berührt.

Ist Schenken ein überholtes und nicht mehr zeitgemäßes Ritual?

Nein. Ein Geschenk ist ein wichtiges soziales Bindungsmittel. In archaischen Gesellschaften haben Gaben sogar Verträge ersetzt. Insofern hat das Geben seit jeher eine viel stärkere soziale Bindungskraft als beispielsweise der Tausch. Denn beim Geben vermischen sich Personen und Sachen: Ich gebe nicht nur etwas, sondern auch ein Stück von mir.

Kann man also am Geschenk ablesen, wie viel man dem anderen wert ist?

Das ist nur ein Aspekt. Diese Dinge sind ja auch von der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Beteiligten abhängig. Wichtig ist vor allem der symbolische Gehalt der Gabe. Andererseits kann man eine Beziehung durch zu große Geschenke kaputtmachen. Denn bei der Gabe kommt es auf die Möglichkeit zur Erwiderung an.

Dann ist ein Geschenk eher eine Art Leihgabe?

Ja. Allerdings eine, die nicht unbedingt, nicht unbedingt sofort oder gleichartig bzw. -wertig und nicht unbedingt direkt an die/den Gebende/n zurückkommen muss. Es gibt eine Art Kreislauf der Gabe. Denken Sie etwa an Eltern, die sich für ihre Kinder verausgaben. All das bekommen sie niemals ganz zurück; heutzutage noch viel weniger als früher. Bei funktionierenden Sozialbeziehungen ist aber davon auszugehen, dass die Kinder dies an ihre Kinder weitergeben.

Wenn die Kinder keine Kinder haben: Haben sie dann etwas unrechtmäßig behalten?

Nein. Zum einen besteht ja kein Rechts- oder anderer Anspruch und zum anderen kann "es" ja auch in andere Kanäle fließen, in Spenden oder in ehrenamtliches Engagement zum Beispiel.

Kann ein Geschenk auch ein Druckmittel sein?

Ja. Wir können Beziehungen zerstören, indem wir so übermäßig schenken, dass die/der andere es nicht erwidern kann oder will. Denken wir zum Beispiel an Armenfürsorge oder sonstige "Wohltätigkeit". Die Empfänger/innen haben meist kaum die Chance, das zu erwidern und fühlen sich dann in der Schuld derer, die gegeben haben. Und fühlen sich entsprechend unwohl. Ja, und herabgesetzt. Denn die Gabe hat ja auch etwas mit einer Art von Hierarchie zu tun. Wenn ich jemandem etwas gebe, fühlt sie/er sich in meiner Schuld, materiell oder moralisch. Ich habe also eine gewisse Macht.

Kann Gebenwollen auch krankhaft sein?

Ja. Es kann krankhaft sein, wenn man andere ständig in die Pflicht nehmen will. Übermäßiges Geben macht die/den Beschenkte/n abhängig. Andererseits kann man jemanden enorm erniedrigen, indem man ihr/ihm zu wenig gibt. Hinsichtlich des Beziehungsaspektes heißt das also, wer zu viel gibt, übt Macht über die/den Beschenkte/n aus und wer geizig ist, erniedrigt sie/ihn.

Heutzutage hat sich das Geldgeschenk einbürgert. Macht das einen Unterschied zum Sachgeschenk?

Ja. Da geht etwas verloren, weil der Geist des Gebers nicht mehr in dem Geschenk ist insofern, als sich die/der Schenkende keine Gedanken gemacht hat. Das führt dazu, dass der symbolische Gehalt entweder nicht so hoch ist wie bei einem Buch, das zum Beispiel in Muße und mit Bedacht ausgesucht wurde, oder er ist geringer gegenüber einem selbst hergestellten Geschenk wie ein Bild oder eine Speise. Hier spielt auch eine Rolle, ob bzw. inwiefern die/der Schenkende ein Gespür für soziale Beziehungen hat. Weiterhin: Gaben müssen nicht nur Dinge sein. Man kann ja auch Zeit und Freundschaft geben.

Wie ist das Phänomen zu erklären, dass immer mehr Menschen Probleme damit haben, zu schenken oder Geschenke anzunehmen?

Neben der mittlerweile sprichwörtlichen Geiz-ist-geil-Mentalität liegt das wohl daran, dass, wer etwas annimmt, sich in einem Schuldverhältnis sieht. Nichts annehmen zu wollen, ist eine moderne Art der Autonomie - ebenso wie das Nicht-Gebenwollen. Denn Geben bedeutet Selbstverlust, also Autonomieverlust. Und unsere Moderne ist gekennzeichnet durch einen besonderen Drang zur Autonomie. Da ist Selbstverlust eine Schande. Und das wiegt oft sogar schwerer als der drohende oder tatsächliche materielle "Verlust". In früheren Gesellschaften war es umgekehrt und ist es heute noch in anderen, z.B. buddhistischen: Da gewinnt man durch Selbstverlust Prestige. Sichtbar wird der Unterschied an der Sitte, ob sich die/der Gebende oder die/der Beschenkte bedankt. Soweit in Fragen und Antworten die Ergebnisse sozial- und kulturwissenschaftlicher Gaben-Forschung über das Wer-wem-was-wie-warum-wann-wieviel-wozu-Schenken.


Die buddhistische Sicht auf das Schenken stimmt hinsichtlich der Wechselwirkungen mit der wissenschaftlichen Sicht weitgehend überein. Sie blickt aber vor allem auf die/den Gebende/n und weist auf Buddhas Lehre als Geschenk mit weitgehender einzigartiger Qualität hin:

Da karmisch betrachtet die Lebensbedingungen das Ergebnis unseres eigenen Denkens und Handelns sind, ist rechtes Geben (dânam) eine notwendige Voraussetzung, um Heilsames zu bekommen; der gute Samen, der reiche Frucht trägt. Wer schenkt, wird beschenkt, wer nichts gibt, erhält nichts zurück. Geben ist eine Kunst und damit sie gelingt, stellt sich auch hier die Frage nach dem Wer-wem-was-wie-warum-wann-wieviel-wozu und dabei vor allem nach der rechten Motivation. Geben ist heilsam, wenn freiwillig ohne inneren oder äußeren Zwang; besser ist es, gerne und herzlich auch wenig zu geben, als widerwillig viel. Andererseits darf dies nicht als vorgeschobenes Argument zur Entschuldigung für Anhaften, Geiz und Bequemlichkeit benutzt werden. Heilsam wird das Geben durch eine loslassend geringstmögliche Ich-Bezogenheit mit einer für die/den Gebende/n und die/den Empfangende/n angemessenen größtmöglichen Großzügigkeit. Dieses nicht berechnende Geben führt für alle Beteiligten zu verschiedenen positiven Folgen, materiell, sozial und geistig: Das übende Praktizieren von Geben als Teilen mit anderen und Teilhaben lassen anderer an eigenen Möglichkeiten verändert zum einen die/den Gebende/n, stärkt inneres Wohlergehen, Freude und Zufriedenheit (santutthi), Wohlwollen aus Mitgefühl (anukampâ) und Güte (mettâ) und führt zu größerer Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen; damit wird wieder die Motivation, der innere Weg, gestärkt. Zum anderen vermehren sich wirtschaftliches Wohlergehen und die gesellschaftliche Anerkennung, das Zusammenleben mit anderen wird dadurch und auch bedingt durch die verbesserte eigene soziale Kompetenz harmonischer. - Soweit beim Geben die ausgleichende Angemessenheit gefunden und erhalten bleibt.

Aber nicht immer liegen Ursache und Wirkung dicht oder erkennbar zusammen, manche Wirkung kommt oder zeigt sich erst viel später, kann sogar über den Tod hinausreichen, auch das lehrt der Buddha.

Aus buddhistischer Sicht ist dânam eine Grundlage und ein Teil weitreichender spiritueller Praxis. Da Geben ein tätiger Akt ist, erweitert dânam die tugendhafte Angewohnheit (sîlam) sich zu enthalten, Nichtgegebens zu nehmen von einem Willensakt hin zu einem Willens- und Tun-Akt. Neben der guten sichtbaren Wirkung erhält dabei auch der Motivations-Faktor eine größere Bedeutung und so wird der heilsame karmische Gehalt der Praxis noch mehr gestärkt. Ethische Verhaltensregeln und das Geben lehren uns, angemessen und dadurch heilsam mit den fünf Daseinsfaktoren (kandhas) umzugehen, wodurch Leiden (dukkha) reduziert und minimiert wird. Ihre Wirkkraft ist aber begrenzt, sie bleiben deshalb systemimmanent den Daseinsfaktoren verhaftet und überwinden diese und damit das Leiden nicht. Die völlige Beendigung des Leidens kann erst mit dem Kennen, Verstehen und Anwenden aller vier Wahrheiten, von Buddhas Lehre (dhamma), gelingen. Deshalb ist der dhamma ein Geschenk von bleibendem, nicht vergänglichem Wert. Er kann an beliebig viele weiter gegeben werden und wird doch nie weniger werden. Das ist das Wesen der Wahrheits-Lehre, die umfassendste und beste Gabe. Der dhamma selbst ist ein vollkommenes Geschenk, der menschliche Umgang damit aber ist unvollkommen, erfordert eine angemessene Annäherung auf dem mittleren Weg, was wiederum mit Hilfe des dhamma-Geschenks gelingt. - Ein heilsamer dualistischer Kreislauf, der beim Fortschreiten Bedingtheiten und Leiden vermindert bis am Ende die Wahrheit von der Daseinswirklichkeit völlig erkannt, das dhamma-Geschenk völlig angenommen wird. Das Geschenk (dhamma) und die/der Beschenkte (empirische Person) sind dann deckungsgleich, unterscheiden sich nicht, und damit enden Dualismus, Kreislauf, Leiden.


Im Pâlikanon ist vom Geben überliefert*:

Die drei Arten verdienstvollen Wirkens

Diese drei Arten, verdienstvoll zu wirken, gibt es. Welche drei? Das verdienstvolle Wirken des Gebens, das verdienstvolle Wirken ethischen Verhaltens, das verdienstvolle Wirken geistiger Schulung.
(Angereihte Sammlung/Anguttara Nikâya 8/36)

Gut, Herr, ist das Geben. Was man ohne Geiz, Nachlässigkeit und Verdiensterwartung der Gaben Würdigen gewährt in dieser Welt, das trägt überreiche Frucht. Wie Samen, gesät auf gutem Boden.
Gut, Herr, ist das Geben. Gerade bei kleinem Besitz ist Geben gut und wird tausendfach geschätzt. Und wenn man im Vertrauen mit Bedacht gibt. Geben und Kämpfen gleichen sich, heißt es: Auch wenn es wenige sind, besiegen sie doch viele. Wer aufrichtig und aus rechtmäßig erworbenem Besitz gibt, und sei es auch nur wenig, ist schon deshalb glücklich in der nächsten Welt.
(Gruppierte Sammlung/Samyutta Nikâya 1/33)

Wer den dhamma sieht, der sieht mich. Wer mich sieht, der sieht den dhamma.
(Samyutta Nikâya 22/87)

Das Geben im Vertrauen wird vielfach gepriesen, aber besser als eine Gabe ist ein Wort der Wahrheits-Lehre. Denn die Guten, die zur Erkenntnis kamen, sind zum nibbâna gelangt.
(Samyutta Nikâya 1/33)

Acht Gaben eines guten Menschen gibt es. Welche acht? Reines gibt er, Auserwähltes gibt er, zu rechter Zeit gibt er, was zulässig ist gibt er, mit Bedacht gibt er, häufig gibt er, beim Geben erheitert sich sein Herz, und nach dem Geben fühlt er sich zufrieden. Diese acht Gaben eines guten Menschen gibt es.
(Anguttara Nikâya 8/37)

Die Almosengabe

Ist es möglich, Herr, dass eine Gabe, von dem einen gegeben, hohen Lohn und Segen bringt, während dieselbe Gabe, von einem anderen gegeben, keinen hohen Lohn und Segen bringt? - Das ist möglich, Sâriputta. - Was ist der Grund, was ist die jeweilige Ursache dafür? - Da gibt jemand, Sâriputta, aus selbstischem Verlangen, gibt gefesselten Herzens auf eine Belohnung dafür nach dem Tode im künftigen Dasein hoffend, gibt aus Gewinnsucht. Andererseits gibt da jemand, Sâriputta, ohne jede Erwartung, gibt freimütig, gibt nicht aus Gewinnsucht, gibt nicht in der Hoffnung auf Belohnung dafür nach dem Tode, gibt als eine Veredelung und Läuterung seines Geistes.
(Anguttara Nikâya 7/49)

Zweierlei Gabe

Zwei Arten von Gaben gibt es. Welche zwei? Die materielle Gabe und die Gabe der Wahrheits-Lehre. Diese zwei Arten von Gaben gibt es. Die beste aber ist die Gabe der Wahrheits-Lehre.
(Anguttara Nikâya 2/142 und Aussprüche des Meisters/Itivuttakam 98)

Die Gabe der Wahrheits-Lehre übertrifft alle anderen Gaben.
(Pfad der Wahrheits-Lehre/Dhammapada 354)


* Die Formulierungen beruhen auf Übersetzungen von Nyânatiloka, Nyânaponika, Wilhelm Geiger, Dr. Hellmuth Hecker, Alfred Weil.


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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 3/2008, Juli-September, Seite 9-12
Herausgeberin: Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.,
Beisserstr. 23, 22337 Hamburg
Tel.: 040 / 6313696
E-Mail: bm@bghh.de, buddha-hamburg@gmx.de
Internet: www.bghh.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2008