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PRESSE/718: Bemerkungen zum "Alles-ist-Karma"-Glauben (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 3, September - Dezember 2008
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Noch einmal nachgelesen:
Bemerkungen zum "Alles-ist-Karma"-Glauben

Von Axel Rodeck


Unsere Ausführungen in Heft 2/2008 DMW, daß "Karma" nur einen Teil der Konditionalität ausmacht, wurden von einigen langjährig anders unterrichteten Buddhisten in Zweifel gestellt. Weil um ergänzende Hinweise gebeten wurde, soll das Thema folgend noch einmal kurz anhand von Fachliteratur aufgegriffen werden. Daß es immer wieder aktuell ist, beweisen gerade wieder der "Fehltritt" einer amerikanischen Schauspielerin (s. Editorial S. 5! [Schattenblick: PRESSE/717: Der Mittlere Weg - Editorial Ausgabe 3/2008 (DMW)]) und die Aussage in einer anderen buddhistischen Zeitschrift, das Leiden der Tibeter sei von diesen selbst gewirkt (s. S. 18!).


Die upanishadische Ausgangslage

Fragen wir uns zunächst, welches Gedankengebäude Siddhartha Gautama, der spätere Buddha, in seinem Kulturkreis vorgefunden hatte. Dort, so berichtet der Indologe Axel Michaels, fand gerade ein geistiger Umbruch statt. Es kam die Vorstellung auf, dass es von den Taten im irdischen Leben abhängt, wo die Seele des Menschen nach dem Tode hingelangt - im Idealfall in die Götterwelt. Mit den frühen Upanishaden setzten dann Spekulationen über die Seelenwanderung ein, verbunden mit dem Wunsch nach einer Erlösung aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten und dem Glauben an eine "karmische" Vergeltung. Die Erklärung des leidhaften und ungerechten Diesseits als Folge früherer Taten ist aber stets nur eine von vielen Erklärungen für das den Menschen treffende Schicksal - auch Götter, der Tod als unabhängige Macht, die Natur sowie weitere Faktoren kommen als Ursachen für persönliches Ungemach in Betracht! A. Michaels stellt deshalb fest: "Die verbreitete Vorstellung, dass in Indien Schicksal deterministisch und fatalistisch gedacht werde, ist falsch."


Das Karmaverständnis Buddha Gautamas

Der Buddha hatte in der Nacht seiner Erleuchtung das Karmagesetz als zutreffend erkannt, es jedoch später durch Abstellen auf die "Tatabsicht" psychologisiert (s. DMW 2/2008 S. 7). Fragen wir uns nun, ob der Buddha nach seinen überlieferten Äußerungen Anlaß zu der Vermutung gibt, er habe auch den Umfang des Karma (karmavipaka) über die bisherige upanishadische Tradition ausgedehnt und andere Erklärungsmöglichkeiten für das den Menschen treffende Schicksal abgelehnt. Das ist aber nicht der Fall, jedenfalls nicht aus den vorliegenden Pali-Texten ersichtlich. Das Karma-Gesetz vollzieht sich danach mechanisch und ohne göttlichen Richter innerhalb der fünf Welten (loka) der buddhistischen Kosmographie (Götterwelt, Menschenwelt, Geisterreich, Tierwelt und Hülle). Hier nehmen die Wesen unter dem Zwang des Karma-Gesetzes nach ihrem Tode eine der Qualität ihrer Taten entsprechende Daseinsform an und der Indologe H.W. Schumann stellt hierzu fest:

"Nicht in der Wiedergeburt genießt oder erleidet der Wiedergeborene die Auswirkung seiner alten Taten, wie manchmal behauptet wird, sondern als die Wiedergeburt." Das Karma bestimmt den "geographischen Ort des Wiedergeborenen, seinen geistigen Rang, seine Lebenserwartung, seinen Gesundheitszustand, seine Schönheit, seinen gesellschaftlichen Einfluß, seinen Vermögensstand, seine Kaste und seine Intelligenz - kurzum sein Geburtsmilieu und seine körperlich-geistigen Anlagen, nicht aber das Wohl und Weh, das er in seinem Leben erfährt."

Daß alles, was man an Gefühlen erlebt, die Frucht alten Tuns (karma) sei, gehört laut H.W. Schumann zu den Auffassungen, die der Buddha als falsch ablehnte: "Ebenso entschieden abzulehnen ist die manchmal von westlichen Bekennern geäußerte Meinung, auch äußere Schicksalsschläge, beispielsweise von einem herabfallenden Dachziegel verletzt zu werden, seien Frucht des Karma. Man müsste totale Prädestination allen Geschehens annehmen, wenn man solche Ereignisse als Karma-Folgen rechtfertigen wollte." Wer also meint, der Tod eines Mannes durch den Dachziegel beruhe auf in früherem Leben erworbenen (schlechten) Karma, der unterstellt, dass dieser Tod dem Mann schon karmisch vorbestimmt war, als er in seiner Vorexistenz starb. Das ist aber genau der Determinismus und Fatalismus, wie er den Indern fälschlich unterstellt wird und wie er vom Buddha heftig bekämpft wurde.


Ein seltsamer Kauz

Die Ablehnung solcher fatalistischen Auffassung durch den Buddha soll abschließend mit einem Hinweis auf Makkhali Goshala abgerundet werden. Dieser war ein Zeitgenosse Gautamas, ein seltsamer Kauz und möglicherweise eine Präexistenz unseres Till Eulenspiegel. Er war ursprünglich ein Schüler Mahaviras und mit diesem sechs Jahre unterwegs gewesen. Dabei entwickelte er schon seine Überzeugung, daß alles Geschehen determiniert sei. Mahavira sah sich dann aber veranlaßt, seinen Schüler wegen dessen unbotmäßigen Betragens und seiner Streiche davonzujagen, die dieser zum Beweis seiner Fatalismus-These ausübte. So hatte Goshala beispielsweise bei einem zufällig vorüber ziehenden Hochzeitszug lautstark kommentiert, Braut und Bräutigam seien auffallend häßlich, was ihm eine deftige Tracht Prügel von den erbosten Trauzeugen einbrachte. Immerhin Goshala akzeptierte diese Prügel als folgerichtige Konsequenz seines Tuns.

Goshala und seine als Ajivikas ("Bettelasketen") bezeichneten Anhänger vertraten die Auffassung, der ganze Weltprozeß gehe durch das Zusammenwirken der Elementaratome und der Seelenatome vor sich. Die Weltwanderung eines jeden einzelnen Wesens sei bis in alle Einzelheiten durch eine unpersönlich gedachte Schicksalsmacht prädestiniert, es lohne sich somit auch nicht, sich sittlich positiv zu verhalten. Kein Wunder, daß der Buddha Gautama, der von einer sich im Karmagesetz manifestierenden sittlichen Weltordnung ausging, die Lehre Goshalas als schlechteste von allen zeitgenössischen Lehren ansah. Buddha bezeichnete Goshala als "Verrückten" (moghapurisa), da er an ein Fatum (niyati) glaubte, das jedem Wesen den Weg durch die Wiedergeburtenkette schicksalhaft vorzeichne.


Keine Wirkung ohne Ursache

Die Lehren von "Karma" und von "Wiedergeburt" gehören eng zusammen und wir können beispielsweise der Definition von P. Gäng zustimmen, wonach "Karma die Summe aller Werke" ist, "die das künftige Leben bestimmen". Da die Dauer des Reifens der "Karmafrucht" gewöhnlich die augenblickliche Existenz überschreitet, findet die Vergeltung nach einer oder mehreren Wiedergeburten statt, was insgesamt den Daseinskreislauf (samsara) ausmacht. Freilich soll nicht ausgeschlossen werden, dass ausnahmsweise - etwa bei besonders schändlichen Verbrechen eines jungen Täters - noch im gegenwärtigen Leben die karmischen Konsequenzen eintreten. Die "Hölle" findet dann schon in der jetzigen Existenz statt. Nach Georg Grimm sind dies "offenbare Leidensverkettungen", im Unterschied zu den über den Tod hinaus erfolgenden "verborgenen Leidensverkettungen".

Allerdings gibt es - nicht nur gemäß buddhistischer Vorstellung - weitere Verknüpfungen zwischen Tun und Handeln. Jeder weiß, dass er oft sehr schnell die Konsequenzen tragen muß, wenn er sich unethisch verhalten hat - die geschilderte Rüpelei des Makkhali Goshala mit auf dem Fuß folgender Prügel gibt hierfür ein gutes Beispiel. Die Buddhisten vertreten zudem die Lehre vom "bedingten Entstehen", wonach jedes Ereignis auf einem unendlich großen Strom von Bedingungen beruht (Konditionismus). Und diese Bedingungen sind vielfältig, etwa auch physikalischer Art oder schlichte Zufallsereignisse. Sie haben mit "Karma" nichts zu tun. Genau gesehen, so Georg Grimm, ist das Karmagesetz nichts weiter als ein Sonderfall des (allgemein anerkannten) Gesetzes von Ursache und Wirkung, der jedoch von der Beschränkung auf das Physische befreit ist und über den Tod hinaus herrscht.

Es hat also jede Wirkung ihre Ursache(n), diese ist/sind aber nur teilweise karmischer Natur. Statt "alles ist Karma" wäre richtig zu sagen "alles ist Konditionismus".


Literatur:
Axel Michaels, Der Hinduismus
H. W Schumann, Handbuch Buddhismus


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
40. Jahrgang, September - Dezember 2008/2553, Nr. 3, Seite 24-25
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
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Internet: www.buddha-hannover.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2008