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PRESSE/784: Die vier anziehenden Verhaltensweisen eines Bodhisattva (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 2/2009, Mai - August
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Die vier anziehenden Verhaltensweisen eines Bodhisattva

Von Dagmar Doko Waskönig
(NDR Info: Ansprache am 11. Januar 2009)


Sehr verehrte Hörerinnen und Hörer, sehr herzlich begrüße ich Sie an diesem Sonntagmorgen. Heute möchte ich Ihnen vier anziehende Verhaltensweisen nahe bringen, die jeden Menschen angehen können. In der Buddha-Lehre wird diese Vierergruppe auf die Bodhisattvas bezogen, Männer oder Frauen, die den Entschluss gefasst haben, den weiten Weg bis zum vollkommenen Erwachen, bis zur Buddhaschaft zu gehen, um in ihrem großen Mitgefühl den Lebewesen aufs Beste helfen zu können. Auf ihrem Wege stellen sie bereits alle Tugenden und Erkenntnisse, die sie entfalten, in den Dienst der Wesen. Unabhängig von solch ungemein weit reichender Perspektive und losgelöst von einer bestimmten Religion können diese vier Arten des Verhaltens jedoch von jedermann beherzigt werden - zum eigenen Wohle wie zum Wohl der anderen.

Die erste Tugend, in der sich ein Bodhisattva übt, ist das großzügige Geben, sei es im materiellen oder immateriellen Sinne. Diese Eigenschaft ist den meisten Menschen bereits auf natürliche Weise eigen. Wollen wir sie jedoch üben, entfalten und mehren wir sie auf eine bewusste und segensreiche Weise. Jedes Schenken, das mit reinem Herzen geschieht, ohne dass ichbezogene Erwartungen beigemischt wären, bedeutet pure Freude - auch für den Schenkenden selbst. Warum ist das so? Offensichtlich ist es so, weil sich dann mehr und mehr eine Umkehr des Habenwollens, des Festhaltens manifestiert, einer Form der Gier, der wir in eingespielter Weise allzu oft nachgeben. Gewöhnen wir uns stattdessen daran, nicht so häufig auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein und uns nicht selbst im Vordergrund unseres Tuns und Trachtens zu sehen, so lässt dieses Bezogensein auf andere Wesen ein gut Teil der Verengtheit unseres Herzens abfallen, die wir meist gar nicht wahrnehmen. Die damit einhergehende Ausweitung unseres Geistes lässt ganz natürlich Freude aufkommen.

Dabei hängt das Maß der Freude, diese Erfahrung wird Ihnen, verehrte Hörerinnen und Hörer, vertraut sein, nicht von der Größe der Gabe ab. Wohl aber sollte diese klug gewählt, nützlich und passend sein, was im Einzelfall gewiss nicht immer leicht zu realisieren ist. Unendlich viele Gelegenheiten, um solches Geben zur Gewohnheit werden zu lassen, tun sich auf, sobald wir diese Anempfehlung zur Großherzigkeit in uns wirken lassen. Freilich geht es dann nicht darum, die Warenproduktion zu unterstützen, vielmehr um eine Weise des Teilens, die ebenso mitfühlend wie hilfreich oder sinnreich ist.

Gerade der immaterielle Bereich bietet manch kostbare Gelegenheit zum Geben, beispielsweise dem Geben von Zeit, tätiger Unterstützung oder dem Geben der Furchtlosigkeit. Auch der letztgenannte, wenig beachtete Punkt, ein Ermöglichen der Furchtlosigkeit, verdient unsere Achtsamkeit. Die Gelegenheiten, etwa furchtsam oder ängstlich auftretenden Menschen eine konkrete Situation angenehmer zu machen, wären dann spontan zu erfassen. Am weitesten reichend ist freilich aus der Sicht des Buddha das Geben seiner Lehre, des Dharma, denn er ist dazu geeignet, langfristig das Wichtigste zu bewirken, nämlich den Geist des Menschen zu heilen. Dies ist freilich ein langwieriger Prozess, in dem Tugenden und Kräfte zu entwickeln, Erkenntnisse über die Natur und Wirkungsweise des menschlichen Geistes und die wahre Natur der Dinge und Phänomene zu erlangen sind. Dazu kommt eine stabile Ausgewogenheit des Herzens, die Gier, Hass und Getäuschtsein überwindet sowie Gelassenheit und Klarheit angesichts der Leidhaftigkeit des Daseins und eine stabile, feine Zufriedenheit erzeugt.

Die Übung des großzügigen Gebens wird eine Grundeinstellung in uns ausprägen. Wir werden uns immer deutlicher dessen bewusst, dass Geben und Empfangen unsere Lebensbedingungen ganz grundsätzlich bestimmen. So ist es durchaus möglich, saubere Luft und sauberes Trinkwasser wie ein Geschenk aufzufassen, das ja beileibe nicht allen Menschen zur Verfügung steht. Das ganze Universum, dazu viele arbeitende Menschen schenken uns die benötigte Nahrung, auch wenn wir dafür bezahlen müssen. Uns stehen überdies die geistigen Anstrengungen unserer Zivilisation und Kultur zur Verfügung, allein wenn wir zum Beispiel die Straßenbahn benutzen oder ein Buch lesen.

Noch tiefer gesehen wird uns womöglich aufgehen, dass uns gar nichts, nicht einmal unser Körper, wirklich und bleibend gehört. Allmählich kann diese Erkenntnis die Neigung verstärken, nicht festzuhalten, sondern - bildlich gesprochen - die Hände zu öffnen. Und dann wird die Erfahrung immer deutlicher hervortreten, wie vieles in unerwarteter Form auf uns zuzurückkommt - wiederum im materiellen und immateriellen Sinne. Herz und Geist eines Menschen, dem es leicht fällt, mit reinem Herzen zu geben, wird ohne Worte verstanden. Und die Kraft eines solchen Tuns ist weit reichend. Wir fangen an, den Geist der Mitwesen zu verändern.

Die zweite Art des anziehenden Verhaltens, die ein Bodhisattva übt, betrifft wiederum etwas, das jedem vertraut ist und doch nicht durchgängig praktiziert wird, nämlich die freundliche Rede. Dem einen Menschen fällt es bereits leicht, entsprechend zu reden, ein anderer hat es damit schwerer. Auch ist nicht zu leugnen, dass eine freundliche Unterredung mit dem einen Menschen leichter gelingt, mit dem anderen schwerer fällt. Auch hier tut sich ein weites Feld auf, in dem man sich der eigenen Defizite bewusst werden und danach streben kann, sie allmählich zu überwinden. Grobe und böswillige Worte gilt es hier zu unterlassen, doch wäre dies erst eine grobe Vermeidungsebene.

Auf dem Buddha-Weg wird besonderes Gewicht auf die jeweils wirksame Motivation gelegt. Es kommt bei der Übung dann darauf an, eine entspannende Motivation, einen Vorschuss an Wohlwollen zu entwickeln und dergleichen im Prozess der Kommunikation stabil aufrecht zu halten, was im Konfliktfalle gewiss alles andere als leicht ist. Man wird auch damit vertraut werden, sogar gegenüber denjenigen, die sich selbst schädigen oder auch uns selbst übelwollen, statt wie gewohnt Wut oder Enttäuschung etwas sehr anderes, nämlich Mitgefühl zu entwickeln.

Erfahrungsgemäß sträuben sich etliche Menschen, die diesen Gedanken zum ersten mal hören, dagegen, ihn zu akzeptieren - ein Zeichen dafür, dass hierzu tatsächlich ein Umdenken nötig wäre, das erst auf der Basis vertieften Nachdenkens möglich scheint. Vor allem wäre es ratsam, sich zu fragen, aus welchen Ursachen übelwollendes Reden entsteht, und zu erforschen, wie man sich dabei fühlt. Ein nachhaltiges Unwohlgefühl, Druck oder eine Art Betäubung wird man dann wohl wahrnehmen, eine Befindlichkeit, die auch beim Gegenüber vorauszusetzen ist, uns selbst aber den Anstoß für einen Perspektivwechsel geben könnte. Dann wird es vielleicht zu einem Bedürfnis, das Bestreben darauf zu richten, durch ein Reden in freundlicher Absicht zur Harmonie und Klarheit beizutragen und Spannungen vermeiden zu helfen.

Wie oft haben wir bereits die Erfahrung gemacht, dass ein freundliches Wort, sogar in Situationen ohne größere Bedeutung das Gesicht aufhellt und eine gute Gestimmtheit aufkommen lässt, die weiter in den Tag hineinwirkt oder sogar, dass sich ein freundliches Wort tief ins Herz einprägt! Ein bewusstes Einüben in solches Verhalten mag dazu führen, dass die gütige Hinwendung zu den Mitmenschen mehr und mehr unser Gemüt bestimmt und freundliches Reden häufiger und wie von selbst geschieht. Auch diese zweite Verhaltensart sollten wir hochschätzen. Zen-Meister Dogen fasste im 13. Jahrhundert deren unmessbare Auswirkung in die Worte, solches Reden habe die Kraft, den Himmel zu bewegen.

Die dritte hier zu behandelnde anziehende Verhaltensform lautet: Zum Nutzen der anderen wirken, betrifft also ganz direkt die eingangs angesprochene Ausrichtung eines Bodhisattva. Hier gilt es, die trefflichen Methoden, die möglichst hilfreichen Mittel zu entwickeln, um den verschiedenen Situationen und den Bedürfnissen der Wesen Rechnung zu tragen. Viel Erfahrung ist dazu vonnöten, ein vielfältiges Erproben des Vorgehens unter konkreten Bedingungen. Es bleibt also nicht bei einer abstrakten Einstellung, dem bloßen Wunsch, anderen Lebewesen zu nutzen. Vielmehr entwickelt der oder die Übende Fähigkeiten, Umsicht und Kraft, um gemäß der eigenen Grundeinstellung gut und mit Weitsicht wirken zu können. Nur Unwissende würden glauben, so Zen-Meister Dogen, das eigene Wohl werde beeinträchtigt, wenn das der anderen über das eigene gestellt werde. Natürlich sollten diese Worte nicht so aufgefasst werden, dass wir uns überfordert fühlen würden. Vielmehr mögen sie unsere Motivation bestärken, uns in diese Richtung entwickeln zu wollen.

Die vierte und letzte der hier vorzustellenden Verhaltensweisen ist folgende: Das gleiche Ziel haben. In der erläuternden Literatur wird dieser Punkt oft in dem Sinne verstanden, dass der Bodhisattva als Lehrer das, was er lehrt, auch selbst in die Praxis umsetze. Es ist plausibel, dass er vor allem dann wirklich überzeugend und anziehend auf seine Schüler wirken kann. Mir scheint, dieser Gedanke macht auch umgekehrt einigen Sinn: Was der Lehrer selbst praktiziert, sollte er auch lehren, seinen Schülern also nichts vorenthalten, sie nicht nur mit den ersten Schritten auf dem Übungsweg, sondern im geeigneten Falle mit den weit reichenden, letztlich befreienden Praktiken und Erkenntnissen bekannt machen.

Auf andere Funktionen als die des Lehrers bezogen, mag diese vierte Verhaltensweise bedeuten, in Harmonie mit sich selbst und zusammen mit anderen solche Wege und Ziele zu befördern, die, wo es nur möglich scheint, ein freundlicheres und friedlicheres Zusammenleben der Menschen herbeiführen, dazu mehr Klarheit darüber, wie im eigenen Geist Konflikte erzeugende Regungen zustande kommen und wie solche Zustände zu überwinden sind.

Alle vier behandelten Verhaltensweisen, die in der Lehre vom Weg des Bodhisattva eine Gruppe bilden, also das großzügige Geben, das freundliche Reden, zum Nutzen der anderen wirken und das gleiche Ziel haben, sie alle werden anziehend genannt. Dazu abschließend noch einige Anmerkungen. Anziehend wird zunächst der Mensch, der dementsprechend im guten Sinne unterstützend handelt, für andere Menschen sein. Sein entspannendes, hilfreiches und förderliches Wirken wird zweifellos viel gute Resonanz erzeugen. Doch natürlich wird der Bodhisattva all dies nicht mit der Absicht tun, anziehend zu wirken, denn das wäre ja ein ichbezogenes Kalkulieren, das im Widerspruch zu seiner inneren Grundhaltung stünde. Genauer betrachtet gilt das Anziehende nämlich der zu Grunde liegenden Lehre, dem Dharma. Menschen, denen ein Handeln in den vier besprochenen Arten wohl tut, die eventuell gar davon beeindruckt werden, beginnen vielleicht, sich selbst entsprechend zu ändern oder sie fragen sogar nach der Lehre, die soviel Klarheit in das Verhalten zu bringen vermag.


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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 2/2009, Mai - August, Seite 12-16
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2009