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PRESSE/822: Reformation des deutschsprachigen Theravada-Buddhismus (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2010, Januar - April
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Versuch einer Reformation des deutschsprachigen Theravada-Buddhismus
Zu Jochen Maugs Buch "Buddha, Dhamma und Buddhismus"

Von Dr. Marianne Wachs


Um es gleich vorweg zu sagen: Jochen Maug hat mit der Grundthese in seinem Buch "Buddha, Dhamma und Buddhismus" (Münster: Edition Octopus 2008) Recht. Zu ungefähr 80 Prozent kann ich die von ihm getroffenen Aussagen unterschreiben - aber was ich nicht unterschreiben kann, sind einige seiner Äußerungen, die mehr als "Privatmeinung" aufgefasst werden müssen - und außerdem ist sich Maug nicht im Klaren, welche reformatorischen Konsequenzen sich aus seinem Buch ergeben könnten, wenn, ja wenn der deutschsprachige Theravada-Buddhismus nur ein wenig lebendiger wäre. Analysieren wir das Buch im Detail.

Maug äußert die Absicht, die Urlehre, den authentischen Kern des Dhamma freizulegen und sich auf die eigentlichen Elemente zurück zu besinnen. Unter diesem Kern versteht er die anatta-Lehre, von der schon Nyanatiloka gesagt hat, dass sie "den eigentlichen inneren Kern der ganzen Buddha-Lehre ausmacht und es ohne diese Lehre schlechterdings unmöglich ist, die Buddha-Lehre in richtiger Weise zu verstehen." Darüber hinaus wird ganz richtig betont, dass es primär darum geht, diese Lehre zu verwirklichen.

Doch jetzt wird es fragwürdig: Maug klopft den Pali-Kanon danach ab, welche Texte darin in Übereinstimmung mit der anatta-Lehre stehen und deswegen als authentisch angesehen werden können. Wissenschaftlich steht diese Vorgehensweise auf äußerst tönernen Füßen, da sie von einem einzigen hermeneutischen Kriterium ausgeht, nämlich der Übereinstimmung mit der anatta-Lehre, und diesem einzigen Kriterium alles unterwirft. Es muss zugegeben werden, dass er manchmal zusätzlich sprachliche und ordnungsmäßige Kriterien anführt, dies aber nie grundlegend und auch nie so, dass sie als Beweis gelten könnten. Er äußert dann immer, dass er gar nicht wissenschaftlich vorgehen wolle, sondern nach dem "gesunden Menschenverstand" - und ist sich nicht bewusst, dass dieses Kriterium des "gesunden Menschenverstandes" etwas ist, das erst in der englischen Philosophie des 18. Jahrhunderts aufkam und dort kritisch hinterfragt und definiert und in einen Kontext zu geschichtlich vorhergehenden Kriterien gestellt wurde. Ich will hier nicht zu ausführlich werden, aber die LeserInnen mögen einmal selbst recherchieren, was man unter "gesundem Menschenverstand" verstehen kann: Was bedeutet "gesund" im Gegensatz zu "krank" und "Verstand" im Hinblick auf "Bewusstsein" oder "menschlicher Geist"?

Daran wird schon deutlich, dass das Abklopfen des Pali-Kanons nach einem einzigen Kriterium äußerst fragwürdig ist - wobei noch hinzukommt, dass Maug bei den von ihm benutzten deutschsprachigen Versionen des Pali-Kanons auch den Neumann-Text aufführt - es steht zwar jedem frei, sich an dem Neumann-Text privat zu verlustieren, aber wegen dessen unzähligen Übersetzungsfehlern, Ungenauigkeiten und der wagnerianisch angehauchten Sprache kann er unmöglich für eine Argumentation benutzt werden. Auch bezieht sich Maug nicht auf die Zumwinkel-Version der Mittleren Sammlung, was schon äußerst merkwürdig ist, zumal er bei der Mittleren Sammlung von der Kurt Schmidt-Version ausgeht, die so radikal kürzt, dass die Mittlere Sammlung eigentlich nicht mehr wiederzuerkennen ist. Also alles etwas sehr, sehr seltsam. Mit Maugs Kenntnissen des Pali scheint es auch nicht weit her zu sein: Wie sonst ist es zu erklären, dass er das Wort "Tathagata" ausschließlich mit "Der-so-daher-Gekommene" übersetzt? Dieses Wort bedeutet nach der einen Herleitung "der So-Gegangene (tatha gata) und nach der anderen Herleitung "der So-Gekommene (tatha agata). Schumann übersetzt es mit "Vollendeter" und die Geschwister Blau mit "einer, der die Soheit verwirklicht hat". Und wenn Maug behauptet, der Buddha hätte sich "Tathagata" genannt, um "das möglicherweise misszudeutende "Ich" zu vermeiden", dann scheint er nicht zu wissen, dass im Pali das Personalpronomen sehr häufig nicht genannt wird, da auf die Person von der Endung des verwendeten Verbs her meist eindeutig geschlossen werden kann.

Gemäß seinem einzigen Kriterium werden aus dem Pali-Kanon alle Äußerungen herausgeworfen, die etwas mit Karma - soweit es über das aktuelle Leben hinausgeht - und Wiedergeburt zu tun haben. Das ist konsequent und so radikal, wie es einem Reformer, der "zurück zu den Ursprüngen" will, auch gut ansteht. Aber sollte man dies wirklich tun? Maug hat durchaus Recht, wenn er auf Stellen im Kanon hinweist, an denen eindeutig gesagt wird, dass beim Tod die Daseinsbereiche - die khandhas - auseinanderfallen und dass zu ihnen das Bewusstsein gehört. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass es nur ein Trick des "geliebten Ego-Komplexes" ist, davon auszugehen, dass das Bewusstsein in irgendeiner Form nach dem Tode weiterbesteht, nur: Wenn der Buddha nicht die indische Überzeugung von der Wiedergeburt und dem über den Tod hinausreichenden Karma in irgendeiner Form unterstützt hätte, dann wäre seine Lehre zu Grunde gegangen und dann hätte sich Maug auch nicht auf diese Lehre und die in ihr vermittelten Methoden stützen können, um die falsche Ich-Vorstellung und die falsche Vorstellung von einem dauerhaften Bewusstsein zu überwinden!!! Wenn Maug immer wieder den Buddha mit seinem "Normativismus" entschuldigt, also behauptet, Buddha hätte Wiedergeburt und über den Tod hinausgehendes Karma nur gelehrt, um die Menschen zu einem ethischen Verhalten anzuhalten, dann rückt dies den Buddha in ein sehr zwiespältiges Licht. Der "Normativismus" reicht nicht aus, um die Haltung des Buddha verständlich zu machen. Sie wird aber verständlich, wenn man zwei Dinge mit bedenkt: einmal das Wissen des Buddha, dass die Lehre und der Orden nur im Kontext des gesamten indischen Denkens - und dazu gehören Wiedergeburt und über den Tod hinausreichendes Karma - für längere Zeit überleben würde, und zum zweiten das Mitgefühl des Buddha. Er hat schnell erkannt, dass er bestimmten Überzeugungen der Menschen, die tief im Nichtwissen, im Irrtum befangen sind, nicht widersprechen darf, um sie nicht zutiefst zu verletzen und zu verunsichern, und dass sich dieses "Nichtwissen", welches den falschen "Ego-Komplex" bedingt, mit allen Mitteln und sehr geschickt gegen die Auflösung, gegen die Wahrheit zur Wehr setzt. Um eben nicht - wie auch Maug sagt - eine Lehre nur für eine Elite zu sein, müssen bestimmte Überzeugungen mitgeschleppt werden und es muss auch in Kauf genommen werden, dass sie bei vielen die Oberhand gewinnen. Nur so kann den verwirrten Menschen geholfen werden, nur so können sie ganz allmählich der Wirklichkeit des Nicht-Ich näher gebracht werden.

Ein Mangel des Buches ist es ebenfalls, dass nicht ausführlicher auf die Bedingte Entstehung eingegangen wird. Die Bedingte Entstehung ist in allen ihren Gliedern auf das gegenwärtige Leben und zusätzlich sogar auf jeden Augenblick dieses Lebens anwendbar und sollte nicht einfach auf ein paar Punkte reduziert werden. Es wurde nicht bedacht, dass sie einen Konditional- und nicht einen Kausalzusammenhang darstellt - und dass dieser Konditionalzusammenhang auch auf die Möglichkeit einer eventuellen Wiedergeburt anwendbar ist! Wenn man ihn aber darauf anwendet, was meines Wissens der Abhidhamma extensiv geleistet hat, dann ergibt sich nicht das Problem, dass das aktuelle Bewusstsein nach dem Tod unbedingt weiterbesteht! Die LeserInnen und auch Maug sollten noch einmal intensiv über den Unterschied zwischen Kausalität und Konditionalität nachdenken.

Maug formuliert überhaupt mit zu wenig Bedachtsamkeit. Beispiele dafür sind, dass er das Leben als sinnlos und ungerecht erklärt. Aber es verhält sich anders: Die Kategorien "Sinn" und "Gerechtigkeit" sind vielmehr Kategorien, welche unzulässigerweise auf die Wirklichkeit angewendet werden. Sie sind wie überhaupt nicht sitzende, viel zu enge Kleidungsstücke, die jemandem mit Gewalt übergestreift werden.

Es ist äußerst konsequent, dass Maug auch die Vorstellungen von "Einmal-" und "NichtwiederkehrerInnen" wegwirft und in diesem Punkt stimme ich ihm weitestgehend zu: Alle Stufen außer dem Stromeintritt und dem Erreichen der Arahatschaft betreffen nur fließende Übergänge, die in keiner Weise mit der Erschütterung von Stromeintritt und Erreichen der Arahatschaft vergleichbar sind. Es sind jedoch bestimmte Wegmarken - und warum sollte man sie nicht als solche extra kennzeichnen? Sie sind ursprünglich als Hilfe gedacht, als Hinweise auf die Stelle, an der ein sich in der Entwicklung befindlicher Mensch gerade steht.

Da es nur um das Verwirklichen der anatta-Lehre geht, werden natürlich auch Pujas u.ä. verworfen. Dies sind "Riten und Regeln". Dabei wird wieder zu weit gegangen. Maug bedenkt nicht, dass es auch einen "Weg der Hingabe" gibt, welcher zur Erkenntnis des Nicht-Ich führt, einen Weg der Verehrung des Buddha, bei dem jegliche Ichvorstellung aufgegeben wird. Natürlich bedenkt er es nicht, denn es liegt ihm vollkommen fern! Dieser "Weg der Hingabe" führt über Pûjas, über die Buddha-Verehrung u. ä. Er führt über Riten und Regeln - und es ist sowieso die Frage, wie im indischen Denken Riten und Regeln verstanden werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mit "Regeln" jede Form von Gewohnheit gemeint ist, da Gewohnheiten auch zur Befreiung führen können und in gewissem Ausmaße lebenswichtig sind. Sie werden an keiner Stelle des Pali-Kanons explizit abgelehnt. An diesem Punkt wäre gleichfalls eine weitergehende Diskussion angemessen.

Im Sinne einer Rasenmäher-Methode wird fast der gesamte Abhidhamma einschließlich der Kommentare als reine Scholastik verworfen. Der arme Sariputta wird als der erste Scholastiker hingestellt, als der "Bösewicht", welcher das spekulative Denken in die buddhistische Lehre eingeführt hat. Dies ist viel zu undifferenziert und ich gehe davon aus, dass Maug nicht allzu viel Ahnung vom Abhidhamma hat. Aber wenn ich von etwas nicht allzu viel Ahnung habe, dann urteile ich nicht vorschnell und tue es als spekulativ, reine Denkakrobatik, rein philosophisch ab! Dies gebietet schon die intellektuelle Redlichkeit. Wer sagt mir denn, ob es nicht Menschen gibt, die mit den Methoden des Abhidhamma erwacht sind?

Dass Maug all das ablehnt, wovon er keine Ahnung hat, zeigt sich in ähnlicher Weise bei seiner Behandlung der Jhanas. Die weitergehenden Stufen des vierten Jhana werden schlichtweg als unnötig zum Erwachen und die "übernatürlichen Kräfte" als nicht existierend gegeißelt. Nun, sie existieren nicht: aber nur in dem engen rationalistischen Weltbild von Maug! Gerade in letzter Zeit gibt es im internationalen Theravada-Buddhismus eine rege Diskussion der Jhanas, die von Erfahrungsberichten ausgeht. Man sollte sich erst einmal gründlich damit beschäftigen und selbst gewisse Erfolge in der Jhana-Meditation vorweisen können, ehe man sich an Aussagen darüber wagt. Auch das gebietet die intellektuelle Redlichkeit. Ich kann nicht auf Grund eines einzigen Kriteriums etwas ablehnen, wovon ich nicht die geringste Ahnung habe. Das betrifft übrigens auch die Ekelübungen, von denen Maug erklärt, dass sie nicht vom Buddha stammen. Kann schon sein, dass er Recht hat, meine ich auch - aber ich mache aus meiner Meinung keine hundertprozentige Überzeugung, die ich anderen ohne Beweise aufdrängen muss! Es gibt keinen überzeugenden Beweis dafür, dass die Ekelübungen nicht vom Buddha stammen!

Nun zu etwas, das schwerer wiegt. Maug ist zu sehr von der Philosophie Schopenhauers beeinflusst. Er sieht den Dhamma nur durch die Brille von Schopenhauer und so kommt es, dass er im Sinne Schopenhauers den Akzent auf das Zurückdrängen und spätere vollständige Erlöschen des Willens legt. Damit hebt er einen der Daseinsbereiche unzulässig heraus, betont ihn gegenüber den anderen in einer Weise, wie es in den Pali-Texten nicht zu finden ist. Er stellt es so dar, als wäre das Erreichen des Nibbana mit dem Erlöschen des Willens gleichzusetzen. Das ist im Sinne Schopenhauers, aber nicht im Sinne einer Lehre, bei der die Willensäußerungen und Willensregungen auch nur Teil eines Bedingungszusammenhanges sind und nur nach dem vollständigen Erwachen nicht mehr ergriffen werden! Wenn es keine Willensregungen mehr gäbe, würde beispielsweise auch nicht mehr der Impuls, Wasser zu trinken, entstehen, wenn der Körper Flüssigkeit verlangt - und wenn dieser Impuls wegfällt, dann bestände die Gefahr einer Körperschädigung. Wenn es keine Willensimpulse mehr gibt, ist der Tod nicht allzu weit. Maug würde nun antworten, dass man dann ganz und gar der Vernunft entsprechend handeln würde. Dies ist ein Denken, welches erst nach der europäischen Aufklärung mit ihrer Betonung und Wertschätzung der Vernunft überhaupt vorstellbar war! Es stimmt durchaus mit Schopenhauer überein - nicht aber mit dem Buddhismus.

Der Schopenhauer-Einfluss zeigt sich besonders bei der Betonung des Leidensmomentes. Maug spricht nicht von den Vier Edlen Wahrheiten, sondern von den Vier Edlen Leidenswahrheiten! Dies ist unzulässig, da das Wort dukkha eben nicht nur "Leiden" bedeutet, sondern weitere Bedeutungen in sich schließt, die alle in Nyanatilokas Buddhistischem Wörterbuch nachgelesen werden können. Wenn dukkha schon übersetzt werden muss, sollte man viel differenzierter vorgehen. An manchen Stellen kann man z.B. auch von "Unzulänglichkeit" sprechen. So kann man vermeiden, dass man von vornherein mit Pessimismus in Verbindung gebracht wird. Und obwohl Maug dies nicht unbedingt möchte (allerdings hat er nichts gegen den Pessimismus und die Resignation, was geradezu einlädt, ihn misszuverstehen), ist es ganz unvermeidbar, seine Aussagen als äußerst pessimistisch - im Sinne Schopenhauers - aufzufassen: Glück ist bei ihm - wie bei Schopenhauer - nur verbrämtes Leiden! Damit kann man nun allerdings keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken, und wenn man schon ein Buch schreibt, sollte man sich doch wenigstens ein paar Gedanken über dessen Rezeption machen. Dieses Buch mit seiner - keineswegs dem Mittleren Weg entsprechenden - extremen Haltung, gemäß welcher Resignation gepredigt, Leiden alles und Glück nur Illusion ist, ist dazu angetan, die Leserschaft, die zufällig darauf stößt, vom Theravada-Buddhismus von vornherein fernzuhalten. Es schadet dem Theravada-Buddhismus. Es rechtfertigt das Klischee der buddhistischen Trauerklöße, die nur "Alles ist Leiden" vor sich hinmurmeln und fern von allen Menschen zusammen mit einem Pudel (Schopenhauer) oder einem Kater (Maug), gebeugt, schlurfenden Ganges, als sehr seltsam abgeschrieben, ihren einsamen Weg gehen. Eine solche Betonung des Leidens führt dazu, dass Abneigung aufkommt, so wie die Betonung des Glücks dazu führt, dass Zuneigung aufkommt. Der buddhistische Weg führt aber über Abneigung und Zuneigung hinaus! Es müsste viel mehr betont werden, dass das Leiden durch das Begehren, die Anhaftung bedingt ist und dass es mit dem Erlöschen der Anhaftung ebenfalls erlischt! Die Grundtendenz der Vier Edlen Wahrheiten ist eine optimistische, nicht eine pessimistische.

Maug hebt in unzulässiger Weise den Gleichmut hervor. Dies hat er möglicherweise ebenfalls von Schopenhauer. Er bedenkt nicht, dass im Theravada wie im Buddhismus insgesamt alle vier brahmavihara in gleicher Weise im Blickfeld stehen und keineswegs gesagt wird, dass der Gleichmut die Krönung sei, zu der Liebevolle Freundlichkeit (metta), Mitgefühl (karuna) und Mitfreude (mudita) als Stufen auf dem Weg hinaufführten. Es ist vielmehr so, dass es auch dann, wenn man Gleichmut erreicht hat, Situationen gibt, in denen man statt Gleichmut z.B. Liebevolle Freundlichkeit zeigen muss. Dies macht die Legende des Buddha, in der er sich einem wild gewordenen Elefanten gegenübersieht, deutlich: In dieser Situation zeigt er Liebevolle Freundlichkeit und nicht Gleichmut! Er verschiebt also den Schwerpunkt zu metta hin. Ich würde Maug insgesamt vorschlagen, einmal mehr metta zu üben und sich nicht allzu verbissen um Gleichmut zu bemühen. Ein Mangel an Liebevoller Freundlichkeit zeigt sich bei ihm z.B. an bestimmten persönlichen Meinungen, die gegen Ende des Buches angeführt werden und in Richtung Sozialdarwinismus gehen.

Er betont auch, dass es um das Ausschalten von Gedanken geht - und das hat er vom Zen. Ich finde es ausgesprochen gut, dass er über den Tellerrand des Theravada schaut und auch Zen übt, was natürlich nicht allen zu empfehlen und dem Prinzip nach natürlich auch nicht notwendig ist. Wenn man zwei Traditionen praktiziert oder sich als traditionsübergreifend versteht, dann sollte dies nur aus innerer Notwendigkeit heraus erfolgen, denn es ist schwieriger: Man muss nämlich letzten Endes für sich einen Weg finden, beide Traditionen so miteinander in Einklang zu bringen, dass sie assimilierbar sind und dass sie zugleich nicht verfälscht werden. Dies ist eine Gratwanderung. Viel leichter ist der Weg des Befolgens einer einzigen Tradition.

Im Zen wird bis zum Erreichen des Durchbruchs betont, dass die Gedanken möglichst ausgeschaltet werden sollten - und dies ist in den Pali-Texten so nicht zu finden. Da geht es vielmehr darum wahrzunehmen, dass die Gedanken ein Teil der Daseinsbereiche sind, dass sie bedingt sind und deswegen in sich keine Bedeutung besitzen. Wenn man sich dies immer wieder klar macht, dann gelangt man dahin, dass man sie einfach vorüberziehen lassen kann. Dies wird übrigens auch im Zen praktiziert, aber erst dann, wenn man den Durchbruch hatte. Maug wäre es hier anzuraten, etwas mehr zu entspannen und den Geist - und damit ebenfalls die Geistesinhalte, die Gedanken - einfach zu betrachten. Sollten sie etwas zu aufdringlich sein, ist es immer besser, sie mit Humor zu behandeln. Das verhindert, dass man sie zu ernst nimmt und ihnen damit einen Wert an sich zuspricht, den sie nicht besitzen.

Noch ein letzter Kritikpunkt. Maug sieht alles nicht nur durch die Schopenhauersche, sondern durch die (natur)wissenschaftliche Brille. Dies ist typisch westlich - und das fassen übrigens auch die AsiatInnen als typisch westlich auf! Die (Natur)Wissenschaften bieten jedoch nur ein beschränktes Weltbild, sozusagen ein Fenster, durch das man die Welt betrachten kann. Für die Wissenschaften - und ebenfalls für unseren Autor - existiert nur das, was logisch ist, was mit dem Verstand bewiesen, im Versuch reproduzierbar und messbar ist. Dass gemäß einem solchen Denken z.B. Vorstellungen von einer "unkörperlichen Sphäre" abgelehnt werden, ist selbstverständlich. Aber dieses wissenschaftliche Paradigma ist nur eines von vielen möglichen Paradigmen und es gibt keinen Beweis und braucht es auch nicht zu geben (weil "Beweise" auch schon zu dem wissenschaftlichen Paradigma gehören!), dass es eine größere Gültigkeit als andere hat.

Dies wären die wichtigsten Kritikpunkte. Maug ist in der Hinsicht ein Reformator, als er wieder "zum Kern", "zum Ursprung" zurück will, als er die "Ornamente" streicht, die zum "Übernatürlichen tendierende" Volksfrömmigkeit, als er zum ernsthaftesten Bemühen aufruft - ein neuer Martin Luther. Er bedenkt aber nicht, dass reformatorische Bemühungen verstärkt zu fundamentalistischen Tendenzen, zu Puritanismus - und allgemeiner Freud- und Freundlosigkeit! - führen. Für die Freudlosigkeit ist er ja das beste Beispiel. Man kann nur sagen, es ist gut, dass der deutschsprachige Buddhismus so wenig lebendige Kraft besitzt: So besteht eine große Chance, dass das Buch von Maug ein paar Wellchen hervorruft, aber nicht mehr. Allerdings sei hier noch einmal betont: Von seinem Grundsatz aus hat er Recht. Es geht primär darum zu erkennen, dass das irrtümliche Bewusstsein von einer Persönlichkeit, die als ewig, unwandelbar, unbedingt und fest verstanden wird, zu jeder Form von Leiden führt und dass der Weg zum Erwachen über die direkte Erfahrung von anatta geht. Jochen Maug ist auf dem Weg und für diesen Weg wünsche ich ihm viel Glück (auch wenn er von Glück nicht so viel zu halten scheint)!


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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2010, Januar - April, Seite 22-29
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2010