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PRESSE/865: Buddhismus und Engagement in der Gesellschaft (Zenshin)


ZENSHIN - Zeitschrift für Zenbuddhismus, Nr. 1/10

Buddhismus und Engagement in der Gesellschaft

Von Genpo Döring


Buddhismus, die Lehre des Buddha, buddhistische Theorie und Praxis sind Leitlinie, Ansporn und Unterstützung, um das Leben mit all seinen Herausforderungen zu meistern und für sich und andere heilsam zu handeln. Die buddhistische Lehre ist nicht dogmatisch, sie fordert jedoch die Menschen auf zum wahren Menschsein zu erwachen und sich der Verantwortung für sich und dieses Dasein bewusst zu werden. Der Dharma, die Lehre, liefert kein Alibi für nihilistische Gesinnung oder Argumente dafür, ein Leben in Faulheit und Dummheit zu verbringen. Wer sich mit den Lehrreden des Pali-Kanon beschäftigt, findet darin Impulse und Hinweise, die aufzeigen, wie jeder Mensch zu Leidfreiheit und Glück gelangen kann. Der Buddha predigte nicht nur Mönchen und Nonnen oder weltabgewandten Eremiten, sondern allen Menschen, ohne Ansehen von Stand, Herkunft oder Vermögen.

Wer vom Vertrauen in die Lehre erfasst ist, sie befolgt und sich darin übt, sie im Alltag anzuwenden und umzusetzen, der erfährt ihre heilsame Wirkung bereits in diesem Leben. Alle fühlenden Wesen tragen die Buddha-Natur, das Potential zum Erwachen, in sich. Um dieses Potential zur Entfaltung zu bringen, bedarf es der Einsicht, guter Motivation und ausdauernder Übung. Wer Einsicht in das Gesetz von Ursache und Wirkung, den ständigen Kreislaufs des bedingten Werden und Entwerdens, erfahren hat, wird sein Denken und Handeln entsprechend ausrichten.

Das, was wir heute allgemein als Buddhismus bezeichnen, hat sich aus den Lehren des Siddharta Gautama entwickelt, dem Asketen aus dem Geschlecht der Shakya, der vor etwa 2500 Jahren in Nordindien lebte. Als er nach Jahren der Suche und asketischer Übung zur "Durchschauung der Wirklichkeit, zur Einsicht in die universellen Zusammenhänge gelangte", oder anders ausgedrückt, die vollständige Erleuchtung erfuhr, nannte man ihn den Buddha Shakyamuni, den Erwachten aus dem Shakya-Stamm.

Buddha ist kein Gott, kein Wesen, das getrennt ist von den Menschen. Buddha ist der erwachte Mensch, der als Vorbild und Wegweiser dient und zeigt, dass es für jeden Menschen möglich ist, den Zustand des Nirvana zu erfahren und ein dem entsprechendes Leben zu führen.

In Asien (obwohl es immer mehr "verwestlicht") sind die Begriffe "Buddhismus" und "Buddhist" bis heute noch nicht allgemein üblich. Man kann sagen, dass dies westliche Bezeichnungen sind, die das alles zusammenfassen, was sich irgendwie mit Buddha Shakyamuni und seiner Lehre in Verbindung bringen lässt. Die Menschen in Asien sehen sich als "Weggänger, Übende, Anhänger des Dhamma, Dharma-Praktizierende, etc...." Es gibt eine große Zahl verschiedenster Richtungen und Schulen, die sich seit dem Tode des Begründers, von Indien ausgehend, entwickelt haben. Gemeinsam haben die meisten von ihnen, dass sie die ursprünglichen Lehrreden des Buddha (wie sie in Form des Pali-Kanon überliefert sind) als Grundlage für ihre Ausrichtung anerkennen. Es gibt aber auch viele Gruppierungen und Gemeinschaften, die sich sehr weit von der ursprünglichen Lehre entfernt haben. Manche dieser "neuen Religionen" haben die Lehre Buddhas bis zur Unkenntlichkeit verändert und lehnen aus verschiedensten Gründen die traditionellen Texte ab. An dieser Stelle soll jedoch nicht auf diese Entwicklungen eingegangen werden. Der Buddha lehnt z.B. andere Religionen und Lehren nicht ab. Er lehrt, dass Alles, was zu mehr Frieden, zu Gerechtigkeit und Befreiung vom Leiden führt, seine Bejahung und Unterstützung findet.

Wenn man sich das weite Spektrum der Schulen, Traditionslinien und Richtungen in den verschiedensten Regionen dieser Erde genauer ansieht, welche sich von den Lehren des Buddha inspiriert und bestätigt fühlen, dann kann es sein, dass man etwas von der Tiefe und Vielschichtigkeit des Buddha-Dharma erahnt. Es ging und geht dem Buddha und seinen Nachfolgern nie darum, die Menschen in Dummheit zu halten und sie in Abhängigkeit zu führen, sondern sie dahin gehend anzuregen selbstständig zu denken, eigene Erfahrung zu machen, sowie Weisheit, Mitgefühl und ethisches Verhalten zu entwickeln. Letztendlich geht es darum, allen Wesen den Weg zur Leidfreiheit aufzuzeigen. Dieser Weg ist jedoch selbst zu gehen, niemand kann dies an Stelle für einen Anderen tun.

Buddha Shakyamuni hat eine Lehre hinterlassen, die sich auf alte Bereiche des Daseins, der menschlichen Existenz anwenden lässt. Man kann sie als Weltanschauung, Religion, Mystik, Philosophie, System, Therapie, Psychologie, Ethik, etc. betrachten. Sie kann das alles sein. Für seine Zeit war der Buddha gerade zu revolutionär. Er verwarf alles, was den Menschen daran hindert, Befreiung vom Leiden zu erlangen. Buddha lehnt das Kastenwesen ab. Er lehrt, dass der Wert eines Menschen nicht daran zu messen ist, ob er in einer reichen oder armen Familie geboren wurde. Auch heute noch stehen viele seiner Gedanken und Hinweise im Widerspruch zu bestehenden Gesellschaftsordnungen. Manche seiner Lehrreden lesen sich wie die Vorwegnahme der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen oder Entwürfe für demokratische oder kommunistische Verfassungen oder Manifeste.

Nachdem ich mich bereits viele Jahre mit dem Buddha-Dharma beschäftige und bisher auf dem Boden der traditionellen (religiösen) Unterweisung tätig war, möchte ich noch weitere Aspekte, die mir wichtig erscheinen und oft nicht ausreichend betont werden, aufzeigen. Die Lehre Buddhas ist ein Heilsweg, der sich nicht nur auf das Gebiet der Religion oder der Mystik festlegen lässt. Beschreibt er doch (fast wissenschaftlich genau) die universellen Gesetzmäßigkeiten und das Verbundensein des Menschen mit dem Ganzen. Buddha zeigt wirklichkeitsgemäß auf, was und wie wir Menschen sind, wie wir funktionieren, denken und handeln.

Für mich stellt sich die Lehre des Buddha u. a. als eine Weltanschauung dar, die aufzeigt, dass sich die Herrschaft von Menschen über Menschen nicht rechtfertigten lässt. Nicht nur dann, wenn sie repressiv und gewaltsam agiert. Im Mittelpunkt der Buddha-Lehre stehen Freiheit, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung und Selbstverwaltung der Individuen, die Ausübung von Zwang wird (nicht nur bei der Ausübung der Religion) zurückgewiesen. So empfinde ich es nicht als Widerspruch mich als Buddhist politisch zu betätigen oder in gesellschaftliche Prozesse einzumischen. Die praktische Umsetzung der Buddha-Lehre inspiriert mich dabei. Gerechtigkeit ist für mich keine leere Worthülse, sondern eine Notwendigkeit, die tagtäglich umgesetzt werden muss. Die Goldene Regel, von anderen nichts zu verlangen, was man selbst nicht bereit zu tun ist, weist darauf hin, dass man sich selbst und seine Bedürfnisse und Gefühle kennen und verstehen muss, um menschlich heilsam zu handeln.

Buddha weist immer wieder daraufhin, dass niemand durch Geburt besser oder schlechter als andere ist, sondern allein durch seine Einsicht, sein Denken, Sprechen, Handeln, etc. Er zeigt und erklärt aber auch Karma, das Gesetz von Ursache und Wirkung. Karma ist kein passives Erleiden oder unveränderliche Vorherbestimmung, sondern Wirkung und Handeln. Alles, was man denkt, spricht und tut, fällt letztendlich wieder auf einen selbst zurück und betrifft letztendlich den gesamten Daseinsbereich unserer Existenz. (siehe globale Klimaerwärmung, Finanzkrise, etc.).

In verschiedenen buddhistischen Traditionen und Lehren finden sich Ideen von einer gerechten und gewaltlosen Gesellschaft, in der Menschen ohne politischen Zwang und ohne willkürliche Herrschaft, ohne Standesunterschiede miteinander leben und sich frei entfalten können. Es gibt buddhistische Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaft ohne (all-)mächtige Hierarchie und daraus resultierende politische Denkansätze, die die Notwendigkeit und den Sinn der Herrschaft des Menschen über den Menschen bestreiten oder in Frage stellen. Ahimsa, Gewaltlosigkeit, und Metta, unparteiisches (alles umfassendes) Mitgefühl, stehen dabei im Mittelpunkt allen Handelns. Frieden und Gerechtigkeit werden nicht im Außen gesucht oder bloß von anderen gefordert, sondern im eigenen Herzen gepflegt und kultiviert.

Die oben beschriebenen Ideale sind eben nicht von oben zu verordnen. Das hat sich bereits deutlich in Vergangenheit und Gegenwart gezeigt. Denn an Versuchen, Frieden mit Gewalt durchzusetzen, hat es bis heute wahrlich nicht gemangelt. Der Buddha und seine Nachfolger gehen davon aus, dass es notwendig ist, dass sich der Einzelne, das Individuum, auf Grund seiner eigenen Einsicht in diesem Sinne ändert. Auch wenn es ein langer und schwieriger Weg ist, wird er doch mit Geduld und Ausdauer aufgezeigt und von jedem einsichtigen Menschen gegangen.

Betrachtet man die gegenwärtige Situation, ist festzustellen, dass egoistisches Denken und Handeln an der Tagesordnung ist. Kapitalismus, Ausbeutung, Intoleranz, Fanatismus, Terror und Ungerechtigkeit agieren völlig ungeniert. Ein Klima der Entsolidarisierung hat sich ausgebreitet. Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen "Erster, Dritter und Vierter Welt" wird immer größer. Die Gier der Reichen und Mächtigen erscheint immer unstillbarer und dreister. Populistische Fanatiker missbrauchen die Religion und Politik für ihre Ziele. Welcher Politiker, welche Regierungsform könnte (wenn der Wille vorhanden wäre) denn im Stande sein, diese Missstände zu beseitigen? Kaum, dass jemand an die Macht gelangt, dann argwöhnt er schon und muss befürchten, dass ihm jemand seine Macht schmälert oder sie ihm ganz wegnehmen möchte. So ist kaum zu erwarten, dass Menschen, sind sie einmal in einflussreiche Positionen gerückt, die kurze Zeit nicht dafür nutzen würden, um für sich und diejenigen, die ihnen nahe stehen, mit Privilegien und materiellen Vorteilen auszustatten. Selbst in so genannten demokratischen Staaten oder Volksrepubliken mit dem "Volk als Souverän" werden die Bürger gegängelt, befinden sich in freiwilliger Sklaverei. Sie lassen sich fremd bestimmen und das nur, weil sie sich ihrer eigenen Potenziale nicht bewusst sind. Von Kindheit an wurden sie so erzogen, dass sie sich möglichst reibungslos in dieses System des Oben und Unten einpassen lassen. Sie bekommen von den Reichen und Mächtigen immer gerade so viel, damit sie nicht auf die Idee kommen, etwas ändern zu wollen. Satte Knechte betrachten ihre Herren meist als Wohltäter oder als notwendiges Übel. Auf diese und andere Weise wird versucht, die bestehenden Machtverhältnisse aufrecht zu erhalten. Die etablierten Kirchen und Religionen machen da meiner Meinung nach keine Ausnahme. Es geht doch meistens um Macht und Sicherung der Pfründe.

Buddhismus ist kein Nihilismus oder Quietismus. Buddhismus fördert die Selbstbestimmung und Freiheit des Einzelnen. Wenn er etwas negiert, dann die Beschränktheit der Menschen, die sich von Gier, Hass und Ignoranz in Abhängigkeit halten lassen. Regeln und Schranken für sein Denken und Handeln setzt sich der Buddhist aus eigener Einsicht selbst. Nichts soll dem Menschen von außen aufgezwungen werden. Auch Frieden kann nicht mit Gewalt erzwungen werden. Frieden beginnt im eigenen Herzen und führt letztendlich zur Einsicht in die Weltzusammenhänge. Wer sich selbst kennt, kennt auch den anderen und weiß, dass alle fühlenden Wesen Schmerz und Leiden verabscheuen und nach Glück und Wohlergehen streben. Um seine Ziele zu erreichen, ist dem Menschen jedoch oft jedes Mittel Recht. Ohne Rücksicht auf andere versucht er das durchzusetzen, was er für seinen Vorteil ansieht. Das ist im Kleinen genau so, wie im Großen. Dabei verhält sich der Einzelne, das Kind, der Jugendliche so, genau so, wie er es von seiner Umgebung erlebt und erlernt. Der Staat, unsere Gesellschaft, jede Institution, besteht aus Individuen. Unser Gemeinwesen ist nicht besser oder schlechter als seine Individuen. Soll sich der Staat verbessern, ist es notwendig, dass sich die Individuen verbessern. Wir können das Wort Staat auch mit Dorf, Stadt, Firma, Verein, Gemeinschaft oder Konzern, etc. ersetzen.

Buddhismus ist sehr pragmatisch und geht entsprechend daran, seine Idealvorstellungen zu verwirklichen. Die Lehre Buddhas hat dabei immer das nahe liegende im Hier und Jetzt vor Augen. So lange es von einer "Sache" nichts Besseres gibt, nimmt der Buddhist mit dem Vorhandenen vorlieb und versucht, es zum Positiven zu verändern. Er sieht sich als Teil des Ganzen und beginnt seine Arbeit bei sich. So lange er von der eigenen Gier, seinem Hass und seiner Unwissenheit beherrscht wird, so lange lässt er sich auch von gierigen, hasserfüllten, unwissenden Menschen beherrschen. Sehen wir auf unseren "Staat", er ist nicht perfekt, doch wir haben keinen anderen. Also nützt es nichts nur zu meckern oder sich faul oder resigniert in den Schmollwinkel zurück zu ziehen. Wer nicht bei sich beginnt, der verändert nichts. So stelle ich eine provokante These auf: Wie wäre es, wenn die große Masse der Bevölkerung sich nicht mehr von Parteien und ihren "weltfremden" Politikern gängeln lassen würde? Gerade mal ca. 5% der Bürgerinnen und Bürger sind in Parteien organisiert. Werden sie einmal gewählt und kommen zu Amt und Würden, dann scheint es, als vergäße ein Großteil von ihnen sogleich, wem sie diese Situation zu verdanken haben. Darum sollte spätestens beim nächsten Urnengang der mündige Bürger unfähige oder unehrliche Politiker und ihre Parteien abwählen. Doch nur zur Wahl zu gehen und sonst auf Mitwirkung am gesellschaftlichen Leben zu verzichten, das möchte ich nicht mehr und kann es auch niemandem empfehlen. Es ist meiner Meinung nach nicht genug, sich alle vier oder sechs Jahre mit einem Gang zum Wahllokal am politischen Geschehen zu beteiligen! Von den sogenannten Politikverdrossenen, die nicht einmal mehr zur Wahl gehen wollen, ganz zu schweigen.

Unsere Demokratie braucht die engagierten kritischen Bürger, die sich informieren, sich einmischen und den Volksvertretern auf die Finger (sc)hauen. Nicht nur in Parteien, sondern auch in Bürgerinitiativen, Kirchen und religiösen Gemeinschaften, sowie gemeinnützigen Vereinen, kann sich jeder Einzelne für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden einsetzen.


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Quelle:
ZENSHIN - Zeitschrift für Zenbuddhismus, Nr. 1/10, S. 14-17
Herausgeberin: Hakuin Zen Gemeinschaft Deutschland e.V. (HZG)
Burggasse 15, 86424 Dinkelscherben
Redaktion: Nanshu Susanne Fendler / Bunsetsu Michael Schön
Übelherrgasse 6, 89420 Höchstädt a.d.D.
E-Mail: s-fendler@t-online.de / schoen-bio@gmx.de
Internet: www.shoboji.de

ZENSHIN erscheint halbjährlich.
Einzelheft 7,50 Euro inklusive Versand


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2010