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PRESSE/869: Auf dem Weg zu innerem Frieden (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 3/2010, September - Dezember
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Auf dem Weg zu innerem Frieden

Von der Ehrwürdigen Sucinta Bhikkhuni


Wie leicht verlieren wir unser inneres Gleichgewicht oder sogar die Fassung, und wie leicht findet sich etwas oder jemand, der unseren Frieden stört: das Wetter, die Zugverspätung, Arbeitskollegen, die Unverlässlichkeit eines Familienmitglieds oder eine schmerzhafte Empfindung in unserem Körper. Viele denken, wir müssten auf bestimmte unliebsame Ereignisse in unserem Leben mit Unzufriedenheit, Unruhe, Enttäuschung, Ärger oder Angst reagieren. Wir sehen schwarz oder rot und können nicht mehr das Gold oder das Glück im Unglück sehen. Oft reagieren wir auf eine ungeschickte Art und Weise, die alles noch schlimmer macht.

Vor etwa 10 Jahren hatte ich in den Buddhistischen Monatsblättern (Heft 3/2000) ein Zitat von Ayya Khema zu diesem Thema gefunden. Und da mir der innere Friede schon lange ein Herzensanliegen ist, habe ich mir diese Worte damals in mein Notizbuch und in mein Gedächtnis geschrieben:

"Innerer Friede bedeutet, dass man eine Basis gefunden hat, die aus vollkommener Sicherheit besteht. Diese Sicherheit resultiert daraus, dass man sich auf seine eigenen Reaktionen verlassen kann. Man kann sich auf seine eigenen Reaktionen verlassen und reagiert nicht mit Ärger, nicht mit Angst und nicht mit Habgier, man kann sich auf sich selbst verlassen und erst in diesem Moment zieht Frieden ein."

Doch wie kommen wir dazu, dass wir uns auf unsere eigenen Reaktionen verlassen können? Zunächst einmal bedeutet es, dass wir die Verantwortung für unsere Reaktionen nicht abgeben können, sondern sie selbst übernehmen müssen. Wir kommen nicht darum herum, uns mit uns selbst zu befassen, ohne jedoch in den Fehler zu verfallen, nur um uns selbst zu kreisen und gleichgültig dem gegenüber zu werden, was um uns herum geschieht.

Der Friede des Herzens ist eine Qualität, die wir nicht irgendwo draußen finden können. Er wird uns sozusagen in den Schoß fallen, wenn wir die richtigen Bedingungen in uns geschaffen haben. Ajahn Chah drückte es so aus:

"Nach Frieden Ausschau zu halten, ist wie die Suche nach einer Schildkröte mit einem Schnurrbart. Ihr werdet sie nicht finden können. Aber wenn euer Herz bereit ist, wird sie kommen und nach euch suchen."

Um das Herz bereit zu machen, können wir uns auf den Dhamma stützen, denn der Dhamma hat nicht nur den Geschmack von Freiheit, sondern genauso auch von Frieden. Wenn wir den "Mittleren Weg" einschlagen, laufen wir weniger Gefahr, aus dem Gleichgewicht zu geraten, und das in mehrfacher Hinsicht. Der ganze Edle Achtfache Pfad ist eine Strategie zum inneren Frieden.

Jeder Moment von "dukkha" ist ein Augenblick von Unzufriedenheit, die verschiedene Anlässe haben kann. In jedem Fall werden wir jedoch finden, dass wir die Realität nicht akzeptieren können, wie sie ist. Wir wollen es anders haben: einen jungen gesunden Körper, perfekte Familienmitglieder und Arbeitskollegen, angenehme Temperaturen; unsere Pläne und Wünsche sollen in Erfüllung gehen. Intellektuell wissen wir oft sehr gut, wie naiv und egozentrisch unsere Wünsche sind; und doch hängen wir an unserer Traumwelt. Friede zieht nur ein, wenn wir der Realität immer mehr vertrauen und ihr unser Einverständnis geben. Die Natur, die Wirklichkeit ist unser Lehrmeister und gleichzeitig das, was uns sein lässt und trägt. Je mehr sich unser Widerstand löst, desto weniger Reibung werden wir erfahren und desto friedlicher werden wir sein.

Der Mittlere Pfad ist ein Weg des Loslassens. Doch es geht darum, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige loszulassen. Wie Vimalo Kulbarz zu sagen pflegte, wir sollten nicht als Erstes unseren gesunden Menschenverstand aufkündigen. Es gibt viele Bestrebungen in uns, die dem inneren Frieden diametral entgegengesetzt sind, und diese gilt es aufzugeben. Selbst wenn uns bereits recht klar geworden ist, dass "der Friede des Herzens das Ziel unseres Lebens ist", wie wir es am Beginn des Metta-Sutta rezitieren, heißt das dennoch nicht, dass uns nicht immer wieder ehrgeizige Pläne in die Quere kommen, die uns vom Weg abbringen. Das Gefühl, "jemand" sein zu müssen oder gar "jemand Besonderes" sein zu müssen, sitzt tief. Ayya Khema hat auch dies sehr gut ausgedrückt:

"Anscheinend ist unser Bedürfnis, 'jemand' zu sein, viel tiefer in uns verwurzelt und viel stärker als das nach Frieden. So müssen wir sorgfältig erforschen, was wir wirklich suchen. Was wollen wir vom Leben? Wollen wir wichtig, geschätzt, geliebt sein, dann müssen wir das Gegenteil auch in Kauf nehmen. Jedes Positive bringt ein Negatives mit sich, so wie die Sonne Schatten wirft. Wenn wir das eine wollen, müssen wir das andere akzeptieren, ohne darüber zu stöhnen."
(Der Pfad zum Herzen)

Ist es nicht eine große Erleichterung, dass der Wunsch nach Frieden uns von viel angestrengtem Bemühen um die perfekte Persönlichkeit und um die höheren Etagen in der Gesellschaft befreit?

"Wenn wir wirklich Frieden wollen, müssen wir niemand sein. Weder wichtig noch klug, weder schön noch berühmt, weder recht haben noch die Leitung übernehmen. Wir müssen ganz unaufdringlich sein und so wenig auffallen wie möglich."
(ebd.)

Neben dem Loslassen von Besitzstreben und selbstbezogenen Ambitionen ist die Entwicklung von metta, der Freundlichkeit und Güte, ein weiterer Aspekt, der uns zu innerer Ruhe und Frieden führt. Schließlich ist metta das Heilmittel gegen alle Formen des Übelwollens von milder Irritation und Aversion bis hin zu blinder Wut und tiefem Hass. Bereits die Qualitäten, die am Beginn des Metta-Sutta als Grundlage genannt werden, auf die liebende Güte aufbauen kann, sind wichtige Aspekte des friedlichen Weges: innere Stärke und Entschlossenheit, Aufrichtigkeit, Sanftmut, Bescheidenheit, Genügsamkeit, Zufriedenheit und Unbeschwertheit (von zu vielen "Eisen im Feuer"). Ein wichtiger Aspekt der liebenden Güte ist die Nachsicht menschlichen Unvollkommenheiten und Schwächen gegenüber. Das Metta-Sutta leitet uns dazu an, niemanden von unserer Liebe auszugrenzen und diese Zuneigung nicht davon abhängig zu machen, dass unser Gegenüber immer uns zu Gefallen lebt. Selbst wenn andere uns Schaden zugefügt haben, gibt es für uns keinen Frieden, solange wir nicht bereit sind zu verzeihen.

Unsere Sprache spielt eine sehr wichtige Rolle auf dem Weg zum Frieden. Worte können viel dazu beitragen, Dissonanz oder aber Harmonie zu schaffen. Im Aranavibhanga-Sutta (MN 139 - Die Darlegung von Konfliktfreiheit) sprach der Buddha davon, dass es geschickter ist, ein Prinzip allgemein aufzuzeigen ("Dhamma zu lehren"), als Handlungen mit Personen zu verknüpfen, was leicht als Vorwurf, Anschuldigung oder Drohung empfunden wird. Wir sollen Dinge und Angelegenheiten nicht einseitig sehen, sie weder in den Himmel heben noch verdammen. Auch bei der Sprache gilt es, dem "Mittleren Weg" zu folgen. Das darf natürlich nicht so verstanden werden, dass wir ein kleines bisschen heilsame Rede mit etwas unsauberer Rede mischen, ruhig ein wenig lügen ("weiße Lügen"), übertreiben oder ein kleines bisschen tratschen könnten. Weiterhin sollen wir uns Zeit lassen beim Reden, nicht hastig sprechen. Und wir sollen nicht auf einem bestimmten Gebrauch von Begriffen beharren, sondern Anpassungsfähigkeit an lokale Sprachgewohnheiten zeigen.

Natürlich trägt auch das rechte Handeln zum friedlichen Zusammenleben bei und damit auch zum Frieden in uns. Denn wir können beide Aspekte nicht voneinander trennen. Mit der Einhaltung der fünf ethischen Richtlinien, die der Buddha gegeben hat, beachten wir das Prinzip von "ahimsa", der Gewaltlosigkeit. Wir verpflichten uns dazu, keinem Wesen vorsätzlich seine Unversehrtheit und seinen Frieden zu rauben, und indem wir diesen Richtlinien folgen, werden wir sanfter und aufmerksamer, so harmlos, dass andere Lebewesen nichts von uns zu befürchten haben.

Bei unserem Bemühen, die Richtlinien immer genauer und feiner zu beachten, werden wir auch unsere Geisteszustände berücksichtigen müssen, da hier die Quellen unserer Intentionen und Handlungen liegen. Wir merken, dass, wenn wir die helleren Qualitäten im Geist nähren und den dunkleren die Energie versagen, der Friede eine viel größere Chance hat, in uns einzuziehen und bei uns zu bleiben.

"Um Frieden und Glück zu erlangen, muss man unerbittliche Anstrengungen im eigenen Herzen unternehmen. Man kann sie nicht dadurch erreichen, nach Neuem zu suchen und mehr zu bekommen, sondern nur dadurch, weniger zu wollen, leerer und leerer zu werden, bis da nur noch ein weiter Raum ist, der gefüllt werden kann mit Frieden und Glück. Solange unsere Herzen voll sind mit Neigungen und Abneigungen: wie könnten Frieden und Glück dort Raum finden?"
(ebd. S. 48)

Die Achtsamkeit ist dabei eine große Hilfe. Denn sie erlaubt uns, sozusagen am Ball zu bleiben, sodass wir mehr über unseren Geist in jedem Moment wissen und erfahren und es nicht aus Mangel an Geistesgegenwart zu Ausreißern kommt.

Außerdem bahnt die Achtsamkeit den Weg zum samadhi, zu Ruhe und Glück in der Meditation, eine Art der Glückserfahrung jenseits der Vergnügen durch Sinneseindrücke. Der Blick nach innen lässt Nachteile wie die Flüchtigkeit der Sinnesfreuden deutlich werden. Im Sutta über die Darlegung der Konfliktfreiheit (MN 139) heißt es: "Man sollte wissen, wie man Glück definiert, und wenn man das weiß, sollte man nach dem Glück in sich selbst trachten." Hier sind die jhanas gemeint, die Vertiefungsstufen in der Meditation, die eine reinere Form von Glück darstellen und Grundlage für tiefen Gleichmut bis hin zur Unerschütterlichkeit sind.


Mit den Windmühlen Frieden schließen

Bis zu einem gewissen Grad kann Gleichmut auch außerhalb der Meditation im Alltag entwickelt werden. Wie Ajahn Lee es nannte: Wir können lernen, mit zwei Augen in die Welt zu sehen, statt mit einem. Normalerweise teilen wir Ereignisse und Dinge in zwei Kategorien ein: Sie gefallen uns oder nicht;sie sind "gut" oder "schlecht". Wir sehen entweder die Vorderseite der Medaille oder die Rückseite. Mit zwei Augen sehen wir Vor- und Nachteile, und wir lernen, durch geschickte Betrachtung unsere Balance zu wahren. Wer verliebt ist, tut gut daran, nicht so leichthin über die Schwächen des Geliebten hinwegzusehen. Wer grollt, sollte sich zur Aufgabe machen, mindestens eine gute Eigenschaft bei der Person zu finden, gegen die sich der Ärger wendet. Auch dies ist eine Weise, den Mittleren Weg zu praktizieren, die Einseitigkeit, die Extreme, zu vermeiden.

Gleichmut ist die Fähigkeit, einfach zuschauen zu können, ohne kontrollieren oder manipulieren zu wollen. Er basiert auf dem Wissen um das Gesetz von Ursache und Wirkung bzw. im menschlichen Bereich um das Gesetz von kamma. In gewissem Sinn ist Gleichmut die Krönung der vier brahmavihara, der "sublimen Emotionen". Da wird nicht mehr ein Wunsch ausgesprochen: "Möge ...", sondern da ist die Erkenntnis: "Jeder ist Erbe seiner intendierten Handlungen ..." Wir akzeptieren, was nicht zu ändern ist, und setzen unsere Kraft für das ein, was in unserer Reichweite liegt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Gleichmut das Mitgefühl, die Mitfreude oder die Freundlichkeit überflüssig machen würde. Eine sehr schöne Definition von Gleichmut ist die des amerikanischen Meditationslehrers Shinzen Young, die sinngemäß lautet: Gleichmut bedeutet, sich zu erlauben, alles zu fühlen. Das hat mit Offenheit, also nichts mit Gleichgültigkeit zu tun. Zudem ist dies mit der Erkenntnis verbunden, dass jede Emotion vergänglich ist und dass jede Identifikation mit ihr uns nur in unnötige Verstrickungen verwickelt. Wir sind nicht der Zorn oder die Zornige, nicht die Gelassenheit oder die Gelassene. Emotionen sind wie Papiertiger oder Windmühlen.

Selbst wer noch nicht den Gleichmut des vierten jhana oder gar der noch höheren Vertiefungsstufen oder die Reinheit und Weisheit eines Arahants erreicht hat, kann dennoch lernen, sich etwas weniger gegen die vielen Windmühlen des täglichen Lebens zu stemmen. Und das wird längerfristig helfen, einen Frieden zu finden, der mit uns "durch dick und dünn geht".

"Warum gegen all die Windmühlen kämpfen? Sie sind selbst gebaut und können auch selbst beseitigt werden. Es sind sehr lohnende Erfahrungen nachzuprüfen, womit unser Herz und unser Geist angefüllt sind. Wenn man Gefühl über Gefühl findet und keine Rechtfertigung mehr für sie hervorbringt, sondern man erkennt, dass sie die Schlachtfelder der Welt darstellen, und damit anfängt, diese Waffen abzubauen, dann kann Abrüstung Wirklichkeit werden."
(ebd. S. 50/51)


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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 3/2010, September - Dezember
Seite 5 - 10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2010