Der Mittlere Weg - Nr. 1, Januar - April 2011
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.
Zur Pessimismusfrage: Gedenken an Arthur Schopenhauer
Von Axel Rodeck
Am 21. September 2010 war die 150. Wiederkehr des Todestages unseres auch für die Durchsetzung des Buddhismus so bedeutsamen Philosophen Arthur Schopenhauer. Schon früh stellte sich Schopenhauer gegen Kant, was die Lehre von der inneren Mitte der Welt, vom "Ding an sich" betrifft. Zwar stimmt er Kant zu, dass zwischen den bloßen Erscheinungen und dem "Ding an sich" unterschieden werden muß, jedoch ist es erst unser "Wille" (verstanden als all unser Wünschen, Sehnen, Lieben, Leiden usw., kurz: unser ganzes Erleben), mit dem wir in Kontakt mit der Welt als "Ding an sich" kommen.
Unser Leib ist nichts anderes als eine Objektivation des Willens: Der Wille zu gehen erscheint als Fuß, zu greifen als Hand und zu denken als Gehirn. DerWille liegt allen Erscheinungen der Welt zu Grunde und macht deren innerstes Wesen aus: Alles ist nur Wille, nur ewiges Begehren - und damit unstillbar. Keine auf der Welt mögliche Befriedigung kann das Begehren des Menschen dauerhaft befriedigen, jeder befriedigte Wunsch gebiert schon bald einen neuen. Ein solcher Wille ist sinnlos - und weil es der Weltwille ist, ist die ganze Welt sinnlos, eine Tragikkomödie.
Erlösung soll uns nach Schopenhauer eine auf "wunschloser Nirvanastimmung" beruhende Mitleidsethik bringen. Dann sehen wir in jedem Menschen den Bruder ("tat twam asi" = "das bist du") und darüber hinaus in allen Wesen das All-Eine und verlieren uns darin im Geiste der buddhistischen oder christlichen Mystik.
Wir zitieren folgend den Schlussabsatz von Schopenhauers Hauptwerk
Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, 4. Buch
"Kein Wille: keine Vorstellung, keine Welt.
Vor uns bleibt allerdings nur das Nichts. Aber das, was sich gegen dieses Zerfließen ins Nichts sträubt, unsere Natur ist ja eben nur der Wille zum Leben, der wir selbst sind, wie er unsere Welt ist. Daß wir so sehr das Nichts verabscheuen, ist nichts weiter als ein anderer Ausdruck davon, daß wir so sehr das Leben wollen und nichts sind als dieser Wille und nichts kennen als eben ihn.Wenden wir aber den Blick von unserer eigenen Dürftigkeit und Befangenheit auf diejenigen, welche die Welt überwanden, in denen der Wille zur vollen Selbsterkenntnis gelangt, sich in allem wiederfand und dann sich selbst frei verneinte und welche dann nur noch seine letzte Spur mit dem Leib, den sie belebt, verschwinden zu sehen abwarten, so zeigt sich uns statt des rastlosen Dranges und Treibens, statt des steten Überschwanges von Wunsch zu Furcht und von Freude zu Leid, statt der nie befriedigten und nie ersterbenden Hoffnung, daraus der Lebenstraum des wollenden Menschen besteht, jener Friede, der höher ist als alle Vernunft, jene gänzliche Meeresstille des Gemüts, jene tiefe Ruhe, unerschütterliche Zuversicht und Heiterkeit, deren bloßer Abglanz im Antlitz, wie ihn Rafael und Correggio dargestellt haben, ein ganzes und sicheres Evangelium ist: Nur die Erkenntnis ist geblieben, der Wille ist verschwunden.
Wir aber blicken dann mit tiefer und schmerzlicher Sehnsucht auf diesen Zustand, neben welchem das Jammervolle und Heillose unseres eigenen, durch den Kontrast, in vollem Licht erscheint. Dennoch ist diese Betrachtung dieeinzige, welche uns dauernd trösten kann, wann wir einerseits unheilbares Leiden und endlosen Jammer als der Erscheinung des Willens, der Welt, wesentlich erkannt haben, und andererseits, bei aufgehobenem Willen, die Welt zerfließen sehen und nur das leere Nichts vor uns behalten. Also auf dieWeise, durch Betrachtung des Lebens undWandelns der Heiligen, welchen in der eigenen Erfahrung zu begegnen freilich selten vergönnt ist, aber welche ihre aufgezeichnete Geschichte und, mit dem Stempel innerer Wahrheit verbürgt, die Kunst uns vor Augen bringt, haben wir den finsteren Eindruck jenes Nichts, das als das letzte Ziel hinter aller Tugend und Heiligkeit schwebt und das wir wie die Kinder das Finstere fürchten, zu verscheuchen, statt selbst es zu umgehen wie die Inder durch Mythen und bedeutungsleere Worte oder wie Resorption in das Brahm oder Nirwana der Buddhisten.Wir bekennen es vielmehr frei:Was nach gänzlicher Aufhebung des Willens übrigbleibt, ist für alle die, welche noch des Willens voll sind, allerdings Nichts. Aber auch umgekehrt ist denen, in welchen der Wille sich gewendet und verneint hat, diese unsere so sehr reale Welt mit allen ihren Sonnen und Milchstraßen - Nichts."
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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
43. Jahrgang, Januar - April 2011/2554, Nr. 1, Seite 17-18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2011